ImagePersonalmangel und Arbeitsverdichtung lassen immer mehr Menschen im Gesundheits- und Pflegebereich ausbrennen. Dem Gesundheitssystem “droht der Kollaps” warnen Gewerkschaftsvertreter. Protestaktionen in Wien konnten erste Erfolge erzielen. 

Eine Studie der Arbeiterkammern Wien und NÖ und der Ärztekammer NÖ kommt zu alarmierenden Ergebnissen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in Gesundheitsberufen in Wien und Niederösterreich. Pfleger, Krankenschwestern, ÄrztInnen lieben zwar ihre Arbeit, aber der Druck auf sie ist enorm. Das beginnt bei der Arbeitszeit: 34% der Gesundheitsbeschäftigten in Wien und 83% der ÄrztInnen in Niederösterreich haben eine Wochenarbeitszeit jenseits der 40 Stunden Woche. Nimmt man die arbeitsgebundene Zeit (Arbeitzeit plus Wegzeit), so ergibt sich eine klare Tendenz zu überlangen Arbeitszeiten, die langfristig die psychische und physische Gesundheit beinträchtigen: 43% der Wiener, 29% der Niederösterreichischen Beschäftigten und 48% der ÄrztInnen in NÖ haben einen Arbeitstag von über 12 Stunden.

Unter diesen Bedingungen ist kaum verwunderlich, dass immer mehr Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, „ausbrennen“. Die Studie kommt zum Ergebnis, dass fast ein Drittel der ÄrztInnen und des Pflegepersonals vom „burn out“ bedroht sind und unter „emotionaler Erschöpfung“ leiden. Auch Mobbing, überbordende Bürokratie und Unzufriedenheit mit der Leitungsorganisation werden oft beklagt. Nur ein Drittel der Beschäftigten war im letzten Jahr nicht im Krankenstand. Mehr als 50 Prozent fühlen sich „stark“ bis „sehr stark“ belastet. Bernhard Harreither, Vorsitzender der Hauptgruppe II in der GdG-KMSfB (Gewerkschaft der Gemeindebediensteten - Kunst, Medien, Sport, freie Berufe) zu diesem Ergebnis: "Für die Gewerkschaften kommt dieses erschreckende Studienergebnis nicht überraschend. Durch den Abbau von Überstunden im Pflegedienst ist der Gegenwert von 600 Vollzeitarbeitsplätzen eingespart worden."

Faust aufs Auge. Demnach verwundert es wenig, wo die Beschäftigten den höchsten Handlungsbedarf orten: mehr Personal! 46% bzw. 47% der Wiener bzw. niederösterreichischen GesundheitsarbeiterInnen und sogar 60% der ÄrztInnen aus NÖ sehen im Personalmangel eines der, wenn nicht das Hauptproblem in ihrem Beruf. Es mutet daher wie die Faust aufs Auge an, wenn die derzeitige Gesundheits- und Spitalspolitik vor allem darauf hinausläuft, weiter Personal einzusparen. So kündigte das Management des Wiener Krankenanstalten-Verbundes (KAV) im Sommer 2011 weitere Einsparungen in der Höhe von 50 Millionen Euro an. Und das obwohl 1.200 Dienstposten der insgesamt 30.000 Stellen in den Wiener Spitälern und Pflegeheimen vakant sind; d.h. sie existieren nur auf dem Papier, da sie durch die vielen Personalwechsel nicht nachbesetzt werden. Dagegen mobilisierte die Gewerkschaft mit der Kampagne „Zeit für Menschlichkeit“. Im Gewerkschaftsaufruf für diese Kampagne heißt es: „Dem Wiener Gesundheitssystem droht der Kollaps. Wiederholte Einsparungen haben zu Personalknappheit und extremer Arbeitsverdichtung geführt. Zeitgleich ist die Anzahl an Posten in der Führungsetage gestiegen, die Beraterhonorare sind explodiert. Ausgetragen wird diese unsoziale Finanzpolitik auf dem Rücken der Beschäftigten und Patienten. Sie werden kaputt gespart.“ Rund 1.500 Beschäftigte demonstrierten am 14. September gegen diese unsoziale Kürzungspolitik, tausende schlossen sich den Forderungen für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen in den Gesundheitsberufen über Unterschriftslisten an; in einer Umfrage zeigten sich drei Viertel der Belegschaft streikbereit.

Die Beschäftigten wehren sich. Diese gewerkschaftliche Mobilisierung zeigt Wirkung: Die KAV-Führung hat einen Teil der Einsparungen zurückgezogen (sh. Interview mit Christine Rudolf). Aufgeschoben ist freilich nicht aufgehoben. Denn im Hintergrund lauert das „Spitalskonzept 2030“, mit dem die Wiener Stadtregierung bis 2030 die Zahl der Gemeindekrankenhäuser von zwölf auf sieben reduzieren will. Es ist zu befürchten, dass diese „Strukturbereinigungen“ zu weiterem Personalabbau und Arbeitsverdichtung genutzt werden. Ähnlich wie in Oberösterreich, wo unter dem Titel „Spitalsreform 2020“ von den 19.000 Beschäftigten rd. 1.700 „abgebaut“ und in den nächsten zehn Jahren zwei Milliarden Euro bei der Gesundheit eingespart werden sollen.

Drohung aus Brüssel. Eine unverhohlene Drohung für PatientInnen und MitarbeiterInnen im Gesundheitsbereich kommt von den Neoliberalismus-Wächtern in Brüssel. Die EU-Kommission fordert in den “Empfehlungen zum nationalen Reform- und Stabilitätsprogramm 2011” von Österreich eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge - im Klartext: der Gesundheits- und Pensionsleistungen.

Völlig im Gegensatz dazu steht die Kampagne der Solidarwerkstatt für eine Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung. Denn wir sind überzeugt: Die Sozialversicherung ist eines der erfolgreichsten Systeme, deshalb ist sie den Neoliberalen ein solcher Dorn im Auge. Sie muss ausgebaut und weiter entwickelt  - im Interesse der PatientInnen und der Beschäftigten.