Rede von Gudrun Bernhard, stv. Betriebsratsvorsitzende im Diakoniewerk OÖ, am 16. Mai bei der Auftaktveranstaltung der Kampagne "Zeit-Druck-Menschlichkeit", mit der Gewerkschaften GPA, vida und younion in Oberösterreich Druck für Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Betreuungs-, Pflege- und Gesundheitsbereich machen wollen.


Hallo auch von meiner Seite – mein Name ist Gudrun Bernard und ich bin Stv. Betriebsratsvorsitzende im Diakoniewerk OÖ - ich stehe hier für meine ca 1300 Kolleg:innen in der Behindertenarbeit, die meisten arbeiten im Wohnen, ein Teil in Werkstätten oder der integrativen Beschäftigung.

Bei uns werden Menschen mit kognitiven und zusätzlich körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen betreut. Die Behindertenarbeit in OÖ wird auf Grundlage des Chancengleichheitsgesetzes geregelt und finanziert. Hier gab es in den letzten Jahren massive Einschnitte: 15% weniger Personal. Das hat massive Auswirkungen auf die Betreuungsqualität und auf die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiter:innen.  Wo beispielsweise früher zwei Fachkräfte im Dienst waren, ist es jetzt nur mehr eine, und wenn die ausfällt, muss jemand in seiner Freizeit einspringen.

Basisversorgung heißt Warm-Satt-Sauber – das war vor 30 Jahren ein No-Go, heute ermöglicht der Personalschlüssel oft nicht viel mehr.

Bezeichnenderweise steht gleich im §1 des Chancengleichheitsgesetzes, dass „es Ziel ist, Menschen mit Beeinträchtigung zu fördern sowie ihnen ein normales Leben und eine umfassende Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen“. Dies steht im krassen Widerspruch zu dem, was heute finanziert wird. Auch unsere Fachsozialbetreuer sind dafür ausgebildet und beauftragt – und dementsprechend frustriert, wenn über weite Strecken pädagogische Arbeit und wichtige Aspekte der Betreuung in den Hintergrund treten.

Dienstpläne ausdünnen führt aber auch zu unattraktiven Arbeitszeiten – bei uns sind die Klient:innen halb- oder ganztags in den Werkstätten, d.h. im Wohnen wird das meiste Personal in der Früh und am späten Nachmittag bis in die Abendstunden gebraucht. Das hat zur Folge, dass die Kolleg:innen entweder kurze Dienste haben oder auch geteilte Dienste – mit mehreren Stunden „frei“ dazwischen –  und dem Gefühl, den ganzen Tag im Einsatz zu sein oder selbst bei Teilzeitanstellung an fünf Wochentagen verfügbar sein zu müssen.

Solche Arbeitszeiten und wenn nur mehr Basisversorgung gefragt ist, macht die Arbeit auf Dauer nicht mehr befriedigend, daher wollen und können immer weniger Kolleg:innen unter diesen Bedingungen weiterarbeiten, die Personallücken werden immer größer.

Leere Stellen werden mit Personen ohne oder minimaler Ausbildung nachbesetzt, nach dem Motto „Lieber irgendjemand als gar niemand“. Das hat zur Folge, dass immer , dass  immer weniger kompetentes Personal im Dienst ist und es zu teils überfordernden Betreuungssituationen kommt.

Das Eingehen auf die höchst unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner:innen erfordert Knowhow und Erfahrung – und ausreichend Personal im Dienst. Zur Veranschaulichung: ein Bewohner im Rollstuhl braucht Unterstützung, um die Wohnung überhaupt verlassen zu können, ein Mensch mit Autismus benötigt sicherheitgebende Begleitung, Klient:innen mit hohem Bewegungsdrang können nicht alleine im öffentlichen Raum unterwegs sein können. Wenn dann zu wenige Betreuungspersonen da sind oder jemand, der überfordert ist, nimmt selbst- oder fremdaggressives Verhalten zu und es kommt zu Übergriffen mit Verletzungsrisiko für wehrlose Mitbewohner und Betreuer:innen.

Damit wir wieder zufriedenstellend arbeiten und menschenwürdig betreuen können brauchen wir:

  • eine Finanzierung, die sich am tatsächlichen Bedarf orientiert - und nicht nach Maßgabe der bereitgestellten Geldmittel
  • einen Personalschlüssel, der Bedürfnisse bei psychischen und geistigen Behinderungen genauso berücksichtigt wie notwendige Fachlichkeit bei Pflegehandlungen - und nicht reine Konzentration auf Basis-Pflege
  • und wir brauchen attraktive Arbeitszeitmodelle mit garantierter Freizeit - und nicht unendliche Flexibilität auf Kosten der Mitarbeitenden

Erst wenn das gewährleistet ist, wird es auch wieder möglich sein,

  • gute Arbeit im Sinne der Klient:innen zu leisten
  • dabei selbst gesund zu bleiben und
  • neues Personal zu finden

Ich bin zuversichtlich: nachdem viele unserer Nöte und Probleme hausgemacht – sprich Landhaus gemacht sind – lassen sie sich auch wieder beheben. Setzen wir uns gemeinsam dafür ein!

(16.5.2024)