Durch die Gesundheitsreform sollen in Hinkunft die Gesundheitsausgaben mit den Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts gedeckelt werden. In Zahlen gegossen heißt das, dass bis 2016 3,4 Milliarden, bis 2020 11 Milliarden gegenüber den Bedarfsprognosen im Gesundheitsbereich eingespart werden sollen. Offensichtlicher Hintergrund dafür sind die EU-Budgetvorgaben, wie sie mit dem EU-Sixpack (2011), den Fiskalpakt (2012) und den Verordnungen des EU-Two-Packs (2013) beschlossen wurden. Bei Gesundheit und Pensionen verlangt die EU-Kommission vehemente Einschnitte von der österreichischen Regierung. Die „Gesundheitsreform“ würdigte die Kommission daher jüngst als „wahrscheinlich in die richtige Richtung gehend“, um sogleich nachzusetzen, dass man ein strenges Auge darauf haben werde, „ihre Wirksamkeit in den nächsten Jahren zu prüfen“ (1).
Doppelpass zwischen EU-Establishment und rechtsaußen
Dabei mehren sich schon jetzt die Symptome der Zwei-Klassen-Medizin ; schon jetzt sind die Beschäftigten im Gesundheitsbereich zunehmend an der Belastungsgrenze. Die Beteuerungen der Regierung, diese milliardenschweren „Kostendämpfungen“ würden „niemand merken“, sind daher völlig unglaubwürdig. Die Gefahr, dass diese "Gesundheitsreform" der Einstieg zur Privatisierung des Gesundheitssystems darstellt, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Nationalrat und den Landtagen wurde die Reform von SPÖ, ÖVP und Grünen gemeinsam beschlossen. Die Mandatare dieser Parteien haben sich damit nicht nur zu Handlangern für neoliberale EU-Vorgaben gemacht, sie haben damit auch der schwächelnden FPÖ eine regelrechte Mund-zu-Mund-Beatmung gemacht. Denn ausgerechnet die extreme Rechte kann sich nun als Opposition zur „Gesundheitsreform“ inszenieren. Natürlich wissen wir, dass das pure Demagogie ist. Die FPÖ hat als Regierungspartei gemeinsam mit der ÖVP durch eine massive Anhebung der Selbstbehalte und die Schwächung der Sozialversicherung selbst die Weichen in Richtung Zwei-Klassen-Medizin gestellt. Die Strache-FPÖ hat Anträge im Nationalrat gestellt, die härteste Sparprogramme im Ausmaß von 12 Milliarden jährlich verlangten – ganz im Sinne von EU-Kommission und Industriellenvereinigung. Nun machen sich die Regierungsparteien gemeinsam mit den nach Regierungssitzen heischenden Grünen zum Erfüllungsgehilfen genau dieser rabiaten Sparpolitik und die FPÖ kann Opposition dagegen vorgaukeln. In diesem Doppelpass zwischen EU-Establishment und rechtsaußen drohen unsere sozialen Errungenschaften, zu denen nicht zuletzt ein solidarisches Gesundheitssystem gehört, zerrieben zu werden.
AK und ÖGB auf Tauchstation
Arbeiterkammer und ÖGB haben sich wiederholt kritisch mit der Entwicklung in Richtung Zwei-Klassen-Medizin auseinandersetzt. Gerade dann aber, als es darum ging, dieser Kritik in der Auseinandersetzung mit der „Gesundheitsreform“ Taten folgen zu lassen, sind AK- und ÖGB-Funktionäre auf Tauchstation gegangen, obwohl gerade die arbeitenden Menschen zu den Hauptverliereren dieses Gesundheitsbeschränkungsprogramm gehören werden – als PatientInnen wie als Beschäftigte in den Krankeneinrichtungen. Die ehemalige ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits hat sich mittlerweile sogar die Ideologie der früheren schwarz-blauen Regierung zu eigen gemacht und lobt, dass „Selbstbehalte nicht zuletzt zur Bewusstseinsbildung über den Wert einer Gesundheitsleistung beitragen könnten“ (2).
Widerstand braucht Organisation, die vom Establishment unabhängig ist
Neben den Ärztevertretungen war die Solidar-Werkstatt gemeinsam mit DIDF eine der ganz wenigen Organisationen, die Protest gegen diese „Gesundheitsreform“ organisiert hat. Der Zuspruch, den wir beim Unterschriften sammeln von der Bevölkerung dabei erfahren haben, steht in diametralem Gegensatz zur geschlossenen Politik des Establishments. Gesundheit ist einer der letzten Bereiche, bei dem die übergroße Mehrzahl der Menschen Einsparungen will. Dieser Gegensatz wird aber erst dann politisch wirksam werden, wenn Organisationen stärker werden, die von den Machthabern vollkommen unabhängig sind und dem Doppelpassspiel zwischen EU-Establishment und rechtsaußen nicht auf den Leim gehen. Wer dazu beitragen will, laden wir herzlich zur Mitarbeit in der Solidar-Werkstatt ein. Denn auch wenn die „Gesundheitsreform“ nun bereits durch den Nationalrat und durch die meisten Landtage gewunken worden ist, der Kampf gegen die Auswirkungen dieser „Reform“ hat erst begonnen.
Bilder von der Übergabe der Unterschriften gegen die Deckelung der Gesundheitsausgaben an VertreterInnen der Parteien im OÖ Landtag, 16. Mai 2013.