Die ILO (Internationale Arbeitsorganisation der UNO) untersuchte die Auswirkungen der Pensionsprivatisierung vor allem in Lateinamerika und Osteuropa. Das Urteil fällt – aus Sicht der arbeitenden Menschen - vernichtend aus. Davon unbeeindruckt will die EU-Kommission die Privatisierung der Altersversorgung im Interesse privater Versicherungskonzerne vorantreiben.

Die ILO-Studie über die Auswirkungen der Pensionsprivatisierung kommt zu einem vernichtenden Ergebnis - in vielerlei Hinsicht:

  • Verfall der Rentenhöhen: In vielen Ländern, in denen das Pensionssystem privatisiert wurde, stürzten die Ersatzraten (also Pensionshöhe in Prozent des Aktiveinkommens) regelrecht ab: in Kasachstan von 60% auf unter 30%, in Polen von 67% auf 40%, in Ungarn nahmen die Ersatzrate zwischen 9,8% und 18% ab. Die reduzierten Leistungsniveaus verfehlen in aller Regel die ILO-Mindeststandards und führten zu steigender Altersarmut.

  • Rückgang der Abdeckungsrate (d.h. Anzahl der Pensionsversicherten an allen Beschäftigten): In den lateinamerikanischen Staaten, die Pensionsprivatisierungen vornahmen, sank diese Abdeckungsrate von 38% auf 27%. Auch in einigen osteuropäischen Staaten sank sie (Ungarn, Kasachstan), bestenfalls stagnierte sie.

  • Explodierende Verwaltungs- und Overheadkosten: Im Unterschied zu öffentlichen Sozialversicherungssystemen haben private hohe Ausgaben für Marketing, Kundengewinnung, Risikoauslese, Gewinnausschüttung an Aktionäre (sh. Grafik). Spitzenreiter ist Argentinien, wo die Verwaltungskosen nach der Privatisierung von 6,6% der Beiträge auf über 50% in die Höhe schnellten.
    Pensionen explodierende Verwaltungskosten
  • Steigende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. In privaten Pensionssystemen schlagen die kürzeren Erwerbszeiten von Frauen (aufgrund Kinderbetreuung und Pflege) noch stärker durch. Zugleich haben Frauen aufgrund niedrigerer Erwerbseinkommen auch geringere Möglichkeiten privat vorzusorgen. So sank z.B. in Bolivien der Anteil von Frauen mit Anspruch auf eine Alterspension von 23,7% auf 12,8%.

  • Hohe Übergangskosten für den Staat: In der Zeit der Umstellung vom öffentlichen auf das private Pensionssystem fallen enorme Kosten für den Staat an, die zuvor völlig unterschätzt worden waren. „Während vermeintliche Entlastungseffekte in den öffentlichen Haushalten als ein zentrales Argument für Rentenprivatisierungen angeführt wurden, sahen sich viele Staaten mit kaum tragbaren Zusatzkosten konfrontiert. Die zur Finanzierung begebenen Staatsanleihen fanden sich dann zu einem Gutteil in den Portfolios der Pensionsfonds wieder, womit sich ein kostspieliger Kreis schloss, von dem letztlich nur die Finanzbranche profitiert.“ (https://awblog.at/pensionsprivatisierung-ilo-studie/)

  • Enorme Markt- und Machtkonzentration bei großen Versicherungskonzernen innerhalb kürzester Zeit. In El Salvador und Bolivien blieben nur mehr zwei Konzerne im Versicherungsmarkt über. In Ungarn teilen sich sechs Konzerne 90% des Marktes, in Chile entfallen 86% der Versicherten auf die drei größten Pensionsfonds 86%. Die staatliche Regulation gegenüber den privaten Konzern erweist sich zumeist als schwach, da „die Regulierung und Überwachung des Pensionssystems oft von denselben wirtschaftlichen Gruppen gekapert wurde, die für die Verwaltung der Pensionsfonds verantwortlich waren.“ (Seite 26). Selbst die Weltbank hat mittlerweile das Problem der „Drehtüre“ zwischen dem Management der Versicherungskonzerne und den staatlichen Überwachungsagenturen erkannt.

  • Entdemokratisierung: Bei öffentlichen Sozialversicherungssystemn sind Arbeitnehmer-VertreterInnen bzw. Gewerkschaften in die Verwaltung eingebunden; diese Beteiligung wurde durch die Privatisierung eliminiert.

  • Große Unsicherheit durch Finanzkrisen: Die Finanzkrisen haben die Alterversorgung einer ganzen Generation ins Bodenlose stürzen lassen, weil private Pensionsfonds das Risiko individualisieren. In Argentinien vernichtete die Finanzkrise 2001/02 44% des Werts der privaten Pensionsfonds. In der Finanzkrise 2008 verloren die privaten chilenischen Pensionsfonds 60% der Erträge, die im Zeitraum 1982-2008 zugeflossen waren.

Viele Staaten haben ihre Schlüsse aus den katastrophalen Erfahrungen mit privatisierten Pensionssystemen gezogen. 60 Prozent der 30 Länder, die ihre Pensionssysteme weitgehend oder vollständig privatisierten, haben inzwischen den Ausstieg aus der Privatisierung in die Wege geleitet. Der lakonische ILO-Kommentar: „Das Pivatisierungsexperiment ist gescheitert.“ Bei der EU-Kommission ist diese Einsicht noch nicht angekommen. Im Gegenteil: Sie steigt aufs Gaspedal in Richtung Privatisierung der Pensionssysteme.

EU-Kommission gibt Gas für Pensionsprivatisierung

Zwei Hebel stehen der EU-Kommission zur Verfügung, um die Privatisierung der Alterversorgung zu forcieren:

(1) die Verschlechterung der öffentlichen, solidarischen Pensionsversicherungssysteme durch permanente Sparauflagen für die Nationalstaaten (EU-Fiskalpakt, Six-Pack).

(2) die Forcierung der „Vollendung der EU-Kapitalmarktunion“ durch ein EU-weit standardisierten Produkt der privaten Altersvorsorge

Zum Ersten: Pensionsraub schreitet voran

Der EU-Fiskalpakt sowie verschiedene EU-Verordnungen (Sixpack, Twopack) geben der EU-Kommission scharfe Instrumente in die Hand, um die öffentlichen Haushalte unter permanenten Kürzungsdruck zu bringen. Mit dem Damoklesschwert von finanziellen Sanktionen kann die EU-Kommission im „Europäischen Semester“ als „Empfehlungen“ getarnte Vorgaben für die Budgetpolitik der Mitgliedsstaaten formulieren. Und Länder, die sich unter den „EU-Rettungsschirm“ gedrängt werden, werden schlichtweg erpresst. So musste Griechenland seine staatlichen Pensionen im Schnitt um 30% senken und das gesetzliche Antrittsalter auf 67 Jahre erhöhen. Auch in Österreich erfolgen die Verschlechterungen bei der Pensionsversicherung im Gleichklang mit der EU-Entwicklung. Der Pensionabbau der schwarz-blauen Regierung unter Schüssel in den Jahren 2003 ff geht unmittelbar auf die sog. „EU-Lissabon-Strategie 2010“ zurück, auf die sich die Regierungen der EU-Staaten Anfang 2000 verständigt hatten.
Die langfristigen Folgen dieser „Pensionsreformen“ v.a. durch die Ausweitung der Durchrechnungszeiträume sind gravierend: Ein Mann erhält in 20 Jahren – unter sonst gleichen Eckdaten – um 25% weniger Pension als heute; Frauen müssen sogar Einbußen von 36% in Kauf nehmen. Die EU-Kommission lobte sodann diesen Raubzug an den Pensionen als „beträchtlichen Fortschritt“ bei der Umsetzung der EU-Lissabon-Ziele (Salzburg 24, 11.12.2007), mahnte aber zugleich aber kräftigere Abschläge bei Frühpensionen an. Maßnahmen gegen . Diese erfolgten dann unter rot-schwarz, als der EU-Kommission ab 2010/2012 mit dem EU-Fiskalpakt und diversen EU-Verordnungen ein probates Druckmittel zur Verfügung stand. Besonders bemerkenswert: Während diese EU-Verordnungen einen strikten Austeritätskurs einfordern, sind höhere staatliche Defizite, die zur Finanzierung „des Aufbaus einer vollständig kapitalgedeckten Säule“ im Rentensystem dienen, ausdrücklich erlaubt.

Zum Zweiten: Das hat PEPP!

Das Schlechtmachen und Schlechtreden öffentlicher solidarischer Versicherungssysteme dient dazu, die Menschen in die private Altersvorsorge zu drängen. Unter dem Titel „Vollendung der EU-Kapitalmarktunion“ hat die EU-Kommission 2017 Pläne für neues europaweites privates Altersvorsorgeprodukt vorgestellt. Der klingende Titel des Projekts: PEPP („Pan-European Personal Pension“). Damit soll ein einheitliches EU-Sparprodukt geschaffen werden, das die privaten Pensionskassen in der EU von derzeit 700 Milliarden auf 2,1 Billionen (!) Euro im Jahr 2030 in die Höhe katapultieren soll. Denn derzeit – so lamentiert die EU-Kommission – „haben nur 27 % der Europäerinnen und Europäer zwischen 25 und 59 Jahren eine private Altersvorsorge abgeschlossen.“
Völlig unbeeindruckt von der Tatsache, dass gerade die Expansion die privaten Pensionsfonds Treibriemen der tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise gewesen sind, der in vielen Ländern eine ganze Generation in die Altersarmut gestürzt hat, verkauft die EU-Kommission diese geplante Verdreifachung des Markes für private Pensionsvorsorge als „Schutz vor Altersarmut“ und als „enormes Potenzial“, um „Investitionen in unsere Wirtschaft fördern.“ Die Arbeiterkammer über PEPP: „Mit PEPP forciert die EU-Kommission die Verlagerung der Kosten und Risiken auf die Individuen.“ (A&W-Blog, 13.12.2018)

Da die EU gleichzeitig über den EU-Fiskalpakt auch alles unternimmt, um öffentliche Investitionen in lebensnotwendige Infrastrukturen auszuhungern, wird damit der nächste Turbomotor zur Privatisierung weiter Bereiche der Daseinsvorsorge gezündet – von Gesundheit und Bildung bis zu Energie und Wasser. Das hat tatsächlich PEPP – für private Vermögensverwalter, die im Vorfeld dieser EU-Initiative kräftig bei der EU-Kommission lobbyiert hatten.

Gerald Oberansmayr
(April 2019)

Siehe dazu auch:
https://www.solidarwerkstatt.at/soziales-bildung/eu-verordnung-kurbelt-pensionsprivatisierung-an

Die AK OÖ hat eine unterstützenswerte Initiative gestartet:

Parlamentarische Bürgerinitiative betreffend

DIE VERFASSUNGSRECHTLICHE ABSICHERUNG DES SOLIDARISCHEN GESETZLICHEN PENSIONSSYSTEMS NACH DEM UMLAGEVERFAHREN.

Laut Prognosen werden in Österreich die Staatsausgaben für alle gesetzlichen Pensionen im Verhältnis zur gesamten Wirtschaftsleistung (BIP) –ganz ohne Änderungen im System – bis zum Jahr 2070 nur minimal um 0,5 Prozentpunkte auf 14,3 Prozent des BIP steigen: Das Pensionssystem ist also langfristig sicher und seine Finanzierung keineswegs gefährdet. Dennoch behaupten immer wieder führende Politiker, dass es nicht möglich sein werde, das Pensionssystem „auf Dauer auf rein staatlicher Pension sichern zu können“ und wollen diese teilweise durch private Pensionen ersetzen. Diese sind aber in einem hohen Ausmaß von den Spekulationsrisiken und Verwerfungen auf den Finanzmärkten abhängig und – anders als die gesetzlichen Pensionen – unsicher.

Ich fordere daher den Österreichischen Nationalrat auf, das Vertrauen aller Generationen, vor allem junger Menschen, in die gesetzliche Pension zu stärken, indem er folgende aktuelle Prinzipien des österreichischen Pensionssystems verfassungsrechtlich absichert:

  • Das gesetzliche Pensionssystem Österreichs basiert auf einer solidarischen Pflichtversicherung nach dem Umlageverfahren,
  • bei dem die Pensionsversicherungsbeiträge der aktuell Erwerbstätigen direkt an die Pensionsbezieher/-innen ausbezahlt werden. Die erwerbstätigen Generationen können von zukünftigen Generationen verlässlich das Gleiche erwarten.
  • Das gesetzliche Pensionssystem garantiert jeder/jedem Erwerbstätigen eine Pension, die den Lebensstandard sichert und vor Altersarmut schützt. Die Republik verpflichtet sich, diese lebensstandardsichernden Pensionen auch weiterhin durch staatliche Zuschüsse zu garantieren.

Diese Parlamentarische Bürgerinitiative kann jetzt online unterstützt werden:
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/BI/BI_00065/index.shtml