Die Coronapandemie greift in unser Leben unmittelbar ein. Entschlossenes rasches Handeln ist notwendig. Wir wollen nicht in eine Situation kommen, in der Ärzte darüber entscheiden müssen, wessen Leben angesichts knapper Ressourcen noch lebenswert ist. Doch wir müssen auch hier und heute die Frage stellen, ob unser Gesundheitssystem bzw. unsere Sozial- und Wirtschaftspolitik auf dem richtigen Weg sind. Nie wieder Kürzen bei Gesundheit und Pflege! Weg mit dem Deckel! Ausreichende Akutbetten in Krankenhäusern sind wichtiger als die Motorleistung des neuen SUV.
Zerstörung der wohnortnahen Krankenhausversorgung schwächt Widerstandskraft
Allein im Zeitraum 2009 bis 2016 wurden in Österreich fünf Spitäler und über 40 Spitalsabteilungen geschlossen. Von 2009 bis 2018 sank die Zahl der Spitalsbetten um knapp 5% je EinwohnerInnen, die Zahl der Akutbetten – gerade in der jetzigen Krisensituation besonders bedeutend – um sogar 14% (siehe hier). Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte mit Kassenvertrag geht gemessen an der wachsenden Bevölkerung seit langem zurück. Kamen 2009 rd. 980 Menschen auf einen Kassenarzt, so sind es 2018 bereits 1080 gewesen (siehe hier). Die Zahl der landesgesundheitsfonds-finanzierten Krankenanstalten ist deutlich gesunken: von 131 (2009) auf 112 (2018) – ein Minus von fast 15% (siehe hier). Diese Schließungspolitik wird fortgesetzt. Alleine in Wien sollen bis 2030 von 12 Spitälern 5 geschlossen werden. In der Steiermark sollen im Bezirk Liezen drei Regionalspitäler einem Zentralspital weichen, obwohl die Bevölkerung in einer Volksbefragung mit großer Mehrheit für den Erhalt der Spitäler gestimmt hat.
Zumeist werden diese Schließungen damit argumentiert, dass große, zentrale Spitäler viel „effizienter“ seien, als kleinere regionale. Nun zeigt aber gerade die Coronakrise, wie wichtig die medizinische Nahversorgung in der Region ist. Und dieses Virus führt uns vor Augen, dass die ganz großen Spitäler oftmals besonders für die Verbreitung von Krankheitserregern verantwortlich sind. In Deutschland, wo die Politik der Zentralisierung und Schließung im Spitalsbereich schon länger und radikaler betrieben wird, erkennen manche schon die „Zerstörung der wohnortnahen Krankenhausversorgung als Seuchenfaktor“.
Schwächung unseres Immunsystems durch Pflegenotstand…
Ältere Menschen sind ungleich verletzlicher als jüngere Menschen, die über ein starkes Immunsystem verfügen. Das wissen wir nicht erst seit dem Coronavirus, das gilt für jede Grippe, an der in Österreich bis zu 3.000 Menschen im Jahr sterben. Aber auch die Verletzlichkeit des Immunsystems von älteren Menschen ist beeinflussbar. Einer der wichtigsten Faktoren für ein gutes Immunsystem trotz Alter ist eine gute Pflege in einem guten sozialen Umfeld. Der durch den permanenten Spardruck erzwungene Pflegenotstand in Österreich führt dazu, dass viele ältere Menschen, insbesondere jene, die wenig Geld haben, keinen Zugang zu menschenwürdiger Pflege haben, dass familiäre Netzwerke oft bis zum Zerreißen angespannt sind. So sind die Pflegeausgaben pro Kopf der Bevölkerung, die 75 Jahre und darüber ist, seit 2012 um 15% gesunken (siehe hier). Der dadurch ausgelöste psychische und soziale Stress belastet das Immunsystem der Menschen.
… und überlange Arbeitszeiten und mangelnde Arbeitsruhe…
Man braucht kein/e Arzt/Ärztin zu sein, um zu wissen: Überlange Arbeitszeiten, zu wenig Schlaf, mangelnde Sozialkontakte belasten unser Immunsystem. Auch unter diesem Gesichtspunkt sind die arbeitszeitpolitischen „Reformen“ der Vorgängerregierung völlig kontraproduktiv: 12-Stunden-Tag, 60-Stundenwoche, Verkürzung der Arbeitsruhezeiten, Ausweitung der Wochenendarbeit – all das engt unsere Zeit für Erholung und Sozialkontakte ein. All das schwächt unser Immunsystem – genauso wie das Gegenteil: Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung aus der Arbeitswelt, die die Kehrseite überlanger Arbeitszeiten sind. Nicht umsonst beschreiben mittlerweile Sozialwissenschaftler unsere neoliberale Ellbogengesellschaft als eine „dauermüde Gesellschaft“, deren sichtbarer Eisberg die sprunghafte Zunahme von „Burnout“-Erkrankungen ist, die das Immunsystem besonders in Mitleidenschaft ziehen.
Coronavirus nicht nur akut, sondern auch nachhaltig bekämpfen
Wir brauchen daher endlich ein Ende dieser neoliberalen Arbeitsreformen und der Austeritätspolitik im Sozial- und Gesundheitssystem. Austerität bedeutet wörtlich übersetzt „Dürre“. Diese Dürrepolitik tötet, das haben z.B. Studien ergeben, die die Kürzungen im britischen Gesundheitssystem näher unter die Lupe genommen haben. Die Kürzungen im Gesundheits- und Pflegebereich hängen eng mit der durch EU-Verordnungen und den EU-Fiskalpakts oktroyierten Dürrepolitik zusammen, die ab 2010/12 die öffentlichen Sozial- und Gesundheitsbudget unter immer stärkeren Druck gebracht hat. Österreich wurde 2012 erst dann aus dem EU-Defizitverfahren entlassen, als es sich zur „Deckelung“ der Gesundheitsausgaben verpflichtete. Diese „Deckelung“, die angesichts einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung de facto Kürzungen in vielen Bereichen bedeutet, wurde 2017 weiter verschärft. Hier liegen die Wurzeln für Spitalsschließungen, Bettenabbau, die sich ausbreitende Zwei-Klassen-Medizin und den wachsenden Pflegenotstand.
Das türkis-grüne Regierungsprogramm, das im Jänner vorgelegt wurde, setzt diese Fehlentwicklungen jedoch fort:
- die Erfüllung der EU-Vorgaben zur Durchsetzung einer öffentlichen „Dürre“ haben nach wie vor Priorität und setzten damit die Länderregierungen unter Druck zu setzen, die Politik der Spitalsschließungen fortzusetzen
- die Staatseinnahmen sollen von knapp 43% am BIP auf 40% am BIP gesenkt werden. Das raubt uns mittelfristig 10 Milliarden Euro im Jahr. Wir brauchen dieses Geld aber dringend, um den Pflegenotstand zu bekämpfen und unser Gesundheitssystem weiterzuentwickeln.
- an der „Reform“ der Sozialversicherung der Vorgängerregierung wird festgehalten, die das Gesundheitssystem finanziell ausblutet.
- der 12-Stundentag, die 60-Stundenwoche und andere Verschlechterungen im Arbeitszeitgesetz werden nicht zurückgenommen.
Es ist Zeit, dass die Regierung aus der Corona-Pandemie lernt und diese Fehlentwicklungen korrigiert.
Politik der „Dürre“ endlich beenden!
Die Maßnahmen zur Abfederung der Krise werden viel Geld kosten, die Regierung hat sich deshalb bereits für das kommende Budget vom „Nulldefizit“ verabschiedet. Das ist gut und richtig. Aber erinnern wir uns: Auch nach der tiefen Finanzkrise 2008 wurden zunächst mit Hilfe des Staates die ärgsten Einbrüche verhindert. Doch anstatt sich vom neoliberalen Wirtschaftskurs, der Wurzel der Finanzkrise, zu verabschieden, wurde über die EU-Ebene die Verschärfung des Neoliberalismus oktroyiert. EU-Verordnungen (Sixpack, Twopack) und der EU-Fiskalpakt erzwangen eine wirtschaftlich kontraproduktive und sozialpolitisch grausame Politik der Dürre. Dieser Fehler darf nicht noch einmal passieren. Die Corona-Krise zeigt uns: Wir müssen mit diesem EU-Konkurrenz- und Dürreregime endlich brechen, um Raum zu machen für ein zukunftsfähigen Solidarstaat. Das heißt: Wir müssen die Dürre der öffentlichen Budgets endlich beenden, wie sie EU-weit unter dem Kuratel des EU-Fiskalpakts und den Zwängen des EU-Binnenmarktsregimes erfolgt. Statt dessen müssen wir die öffentlichen Dienste und Infrastrukturen vor allen in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Bildung, sozialer Wohnbau, Gemeinden, öffentliche Mobilität und nachhaltige Energien kräftig ausweiten.
Alleine die Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung erfordert eine Ausweitung der öffentlichen Abgabenquote von rd. 2 Prozent – und nicht eine Senkung um knapp 3 Prozent, wie es das türkis-grüne Regierungsprogramm vorsieht. Der „Deckel“ für die Gesundheitsausgaben muss jetzt sofort beseitigt werden.
Ebenso wie die Pandemie entschlossenes, rasches Handeln erfordert, so muss jetzt, hier und heute der Streit um die Beendigung der Austerität, die Kürzung bei Gesundheit und Pflege geführt werden. Dafür brauchen wir demokratische Handlungsfreiheit. Wir müssen daher auf der Hut sein, dass diese akut notwendigen Maßnahmen, die die Regierung jetzt zur Eindämmung des Corona-Virus setzt, nicht dazu missbraucht werden, um die Gesellschaft Schritt für Schritt unter einen autoritären Glassturz zu stellen.
Wir brauchen den Bruch mit dem EU-Austeritätsdiktat. Auch wenn dieses Diktat jetzt im Auge des Taifuns außer Kraft gesetzt scheint. Wir haben nichts gewonnen, wenn in ein paar Monaten alles weitergeht wie bisher. Das hatten wir schon vor 10 Jahren. Bingo! Nie wieder kürzen bei Gesundheit und Pflege! Weg mit der Deckel!
(18.3.2020)
WEG MIT DER DECKELUNG DER GESUNDHEITSAUSGABEN - Bitte diese Petition hier online unterstützen!