Image Zentrale Forderungen des Bildungsvolksbegehrens, wie die Gesamtschule, Ganztagsschule, die Verdoppelung der Zahl der HochschulabsolventInnen sind nur machbar, wenn mit dem neoliberalen EU-Sparzwang gebrochen wird. Dafür brauchen wir eine vielfältige Bildungsbewegung, die nicht von Parteisekretariaten, Großindustriellen und Zeitungstycoon abhängig ist.

 

Die basisdemokratische Bildungsbewegung der Jahre 2009/2010 hat die Misere an Österreichs Schulen und Hochschulen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt: überfüllte Hörsäle, scharfe soziale Selektion im gesamten Bildungswesen, Unterfinanzierung an allen Ecken und Enden, massenhafte Verkümmerung von Bildungspotentialen. Nun lässt das von Hannes Androsch initiierte Bildungsvolksbegehren aufhorchen. Auch wenn es innerhalb der Solidarwerkstatt unterschiedliche Sichtweisen hinsichtlich einiger Details sowie der grundsätzlichen Einordnung des Volksbegehrens existieren, in drei Punkten sind wir uns sicher:

Erstens: Zentrale Forderungen dieses Volksbegehrens müssen durchgesetzt werden, wenn wir unser Bildungssystem emanzipativer und zukunftsfähiger machen wollen. Allen voran:

- Eine gemeinsame Schule ohne Trennung der Kinder bis zum 15. Lebensjahr (im Volksbegehren heißt es etwas verschämt, aber doch eindeutig: „ein sozial faires, inklusives Bildungssystem, in dem die Trennung der Kinder nach ihren Interessen und Begabungen erstmals am Ende der Schulpflicht erfolgt“). Die frühe Aufspaltung der Bildungswege mit 10 Jahren führt zu einer extremen sozialen Selektion. Selbst konservative Bildungsexperten wie Andreas Salcher gehen davon aus, dass dadurch „nachweislich ein Drittel des Bildungspotenziales vernichtet wird.“ (Profil 13.09.2010)

- Flächendeckende Ganztagsschulen, denn in Halbtagsschulen hängt der Schulerfolg der Kinder in hohem Ausmaß vom Bildungshintergrund und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern ab. Nur über Ganztagsschulen kann es gelingen, den ausufernden Markt für Nachhilfe, also die Privatisierung durch die Hintertür, einzudämmen.

- Beseitigung aller sozialen Zugangshürden vom Kindergarten bis zur Universität. Verdoppelung der HochschulabsolventInnen eines Jahrgangs (derzeit absolvieren 22% eines Jahrgangs ein Hochschulstudium, in der OECD sind 36%, das Volksbegehren will 40% bis 2020 erreichen).

- Darüber hinaus finden sich viele weitere wichtige bildungspolitische Anliegen, z.B.: einheitliche universitär-akademische Ausbildung für alle PädagogInnen und LehrerInnen, mehr öffentliche Mittel für die Erwachsenenbildung, flächendeckendes Angebot an elementarpäda- gogischen Einrichtungen, systematische Abschaffung des Sitzenbleibens, usw.

Diese Forderungen ins Zentrum des Volksbegehrens und damit der öffentlichen Debatte gerückt zu haben, ist verdienstvoll, auch wenn andere wichtige Forderungen fehlen (z.B. klare Klassenschülerhöchstzahlen, Ausstieg aus dem Bologna-Prozess im Hochschulbereich) und manches zu hinterfragen ist (z.B. Modulsystem, Schulorganisation).

Zweitens: Diese zentralen Forderungen des Bildungsvolksbegehrens sind unvereinbar mit der Kaputtsparpolitik, die über die EU den einzelnen Mitgliedstaaten aufgezwungen wird und wie sie die österreichische Bundesregierung – siehe letztes Belastungspaket - brav exekutiert. Denn der Ausbau des Bildungswesens, die Überwindung der vielfältigen Selektionshürden braucht Geld, viel mehr Geld, sonst drohen alle diese Forderungen zu „frommen Wünschen“ zu verkommen, wie etwa der neoliberale Journalist Conrad Seidl süffisant bemerkte (Standard, 03.02.2011). Denn um Gesamt- und Ganztagsschulen wirklich zu Orten der Chancengleichheit und Integration zu machen, brauchen wir die deutliche Senkung der Klassenschülerhöchstzahlen, viel mehr Lehrkräfte, ZweitlehrerInnenprinzip und Förderunterricht für Schwächere, SchulpsychologInnen, SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen, aber auch modernste Lehr- und Lernmittel und ordentliche Arbeitsplätze für LehrerInnen in den Schulen. Ansonsten droht nicht bloß die Fortsetzung der bisherigen Mängelverwaltung, schlimmer noch: es droht ein neues Zwei-Klassen-Schulsystem durch Abwanderung der Ober- und Mittelschichtkinder in teure Privatschulen.

Der Anspruch des Volksbegehrens „keinen zurückzulassen“ ist auch völlig unvereinbar mit den marktradikalen Vorstößen der EU-Kommission in Richtung Schulgeld, höhere Studiengebühren, Zugangsbeschränkungen, Abhängigkeit der Bildungseinrichtungen von privaten Finanziers, Verschärfung der Selektion in „Massen-„ und „Elitenbildung“, wie sie durch den sog. „Bologna-Prozess“ vorangetrieben wird. Und dieser Anspruch ist völlig unvereinbar mit der realen Regierungspolitik, die immer neue Hürden beim Zugang zu den Hochschulen errichtet und die Selektion ab dem 10. Lebensjahr verfestigen will, indem über das Eingangstor der Hauptschulen „Neue Mittelschule“ gepinselt wird.

Drittens: Wir dürfen die bildungspolitische Initiative nicht Androsch oder einzelnen Medientycoons überlassen. Viele Unterschriften unter dieses Volksbegehren werden nur dann wirklich etwas bewirken, wenn eine vielfältige, bunte Bildungsbewegung entsteht, die an den basisdemokratischen Aufbruch an den Unis von 2009/2010 anknüpft. Erst eine solche Bewegung, die nicht an den Fäden von Parteisekretariaten und Wirtschaftsmagnaten hängt, kann wirkliche Dynamik in die Bildungspolitik bringen. In einer solchen Bewegung müssten LehrerInnen, SchülerInnen, Studierende und Eltern zusammenfinden. Nur gemeinsam kann der neoliberale Sparwahn gebrochen werden, der einer demokratischen, sozial fairen und zukunftsfähigen Bildungspolitik und Gesellschaft derzeit an allen Ecken und Enden entgegensteht.

Wenn Regierungsmitglieder, die die rigiden EU-Sparvorgaben auf Punkt und Komma umsetzen, damit liebäugeln, das Volksbegehren zu unterschreiben, so zeigt das nicht nur, wie sehr die Machthaber unsere Intelligenz gering schätzen. Es zeigt auch, wie sehr sie bemüht sind, zu verhindern, dass solche Koalitionen von unten für einen bildungspolitischen Aufbruch entstehen. Es liegt an uns, sie eines Besseren zu belehren.

Gerald Oberansmayr