Tom Zuljevic-Salamon erhielt am 12. Dezember 2022 für sein vielseitiges und hartnäckiges Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde den Menschenrechtspreis des Landes OÖ. Im Interview mit dem Werkstatt-Blatt erläutert er seine Motivation, sein aktuelles Projekt in Moldawien und warum er die oberösterreichische Sozialpolitik für ein „echtes Armutszeugnis“ hält.

Werkstatt-Blatt: Lieber Tom, Du hast am 12. Dezember 2022 den oberösterreichischen Menschrenrechtspreis verliehen bekommen. Wurde damit eine spezielle Leistung gewürdigt?

Tom: Ja, in der Begründung der Jury und in der Laudatio des Landeshauptmannes wurde auf meine 35jährige Hartnäckigkeit in der Arbeit für Menschen mit besonderen Bedürfnissen hingewiesen. Das grundsätzliche Ziel, die Lebensbedingungen von Menschen, die irgendwie vom Leben abgeworfen wurden und die von der gesellschaftlichen Teilhabe exkludiert wurden, steht, seit ich über den Zivildienst in den Sozialbereich eingestiegen bin, in meinem beruflichen Mittelpunkt. Bedingungsloser Respekt, ehrliche Anerkennung und grundsätzliche Wertschätzung wurden als die Leitmotive meiner Arbeit hervorgehoben.
Es wurde auch betont, dass dies sowohl im Rahmen von Projekten in Österreich als auch im europäischen Ausland geschieht. Besonders hervorgehoben wurde die Entwicklungsarbeit vor 35 Jahren in der KAPU, meine Inklusionsarbeit im Rahmen eines Projektes zur Unterstützung von besonders arbeitsmarktfernen Personen, die Gründungsberatung von 26 sozialökonomischen Betrieben in Rumänien und sozialpsychiatrische Entwicklungsarbeit in Rumänien, der Ukraine und in Moldawien. Letztendlich ausschlaggebend war die Aufbauarbeit im Rahmen der Flüchtlingskrise in Moldawien, die durch den Ukrainekrieg verursacht wurde.

Du warst in den letzten Monaten gemeinsam mit der Volkshilfe, pro mente oö, in einem Projekt für ukrainische Kriegsflüchtlinge engagiert. Wie läuft dieses Projekt?

Das Projekt wurde von unserem lokalen Partnerverein AREAP innerhalb von 24 Stunden nach Ausbruch des Krieges initiiert. Es gibt fünf Hauptaktivitäten in diesem Projekt:

  1. Im Rahmen der angemieteten Küche im „Industrial Parc“ in Edinet haben wir bis dato tausende Portionen Essen und viele Liter Tee und Kaffee zubereitet. Diese Speisen und Getränke werden entweder in Styroporverpackungen an die Grenzübergänge gebracht, um die Ankommenden direkt dort zu versorgen, oder wir kochen auch für Flüchtlingsunterkünfte in Edinet und in den umliegenden Dörfern, wo die Versorgung über private Kanäle nicht möglich ist. Hierfür werden große Mengen an Lebensmitteln benötigt, die wir entweder ankaufen oder über Spendentransporte aus Österreich beziehen.
  2. Wir haben in der Nähe von Edinet eine ehemalige Schule angemietet, in der wir ein großes Spendendepot eröffnet haben. Im Rahmen dieses Depots lagern wir große Mengen an Textilien, Hygieneartikeln, Spielsachen und länger haltbaren Lebensmitteln, Kleinmöbel und vieles mehr. Befüllt wurde und wird dieses Depot mit Spendentransporten aus Österreich. Bisher sind dort sechs Sattelschlepper mit Gütern eingelagert worden. Die Ausgabe erfolgt zu bestimmten Zeiten, bzw. fahren wir mit unserem Bus in die Dörfer und haben ein Sortiment an Dingen mit bzw. nehmen Bestellungen auf, die wir dann beim nächsten Besuch liefern.
  3. Im Zentrum von Edinet haben wir für die Kinder einen kleinen Kindergarten eingerichtet. Im Rahmen dieses Kindergartens ermöglichen wir Kindern ein Stück weit Normalität und Unbekümmertheit. Freiwillige Kindergärtnerinnen beaufsichtigen die Kinder und machen diverse Aktivitäten mit ihnen.
  4. In Briceni in einem Nebengebäude unserer Wohnoase haben wir eine Art Notschlafstelle eingerichtet, in deren Rahmen Flüchtlinge, die krank oder sehr erschöpft sind, für ein paar Tage unterkommen und zur Ruhe kommen können. Die BetreuerInnen der Wohnoase kümmern sich um diese Personen und versorgen sie mit dem Notwendigsten. Nach mehreren Tagen geht dann die Reise, wohin auch immer, weiter.
  5. Letzter großer Aktivitätenschwerpunkt war die Errichtung eines Dorfes aus Holzhäusern, das den Flüchtlingen eine würdige Unterkunft für einen längeren Zeitraum anzubieten versucht. Wir haben 10 Häuser gebaut und eröffnet. In jedem Häuschen können bis zu sechs Personen unterkommen. Wir haben die Häuschen jetzt auch provisorisch isoliert, um sie mit einfachen Öfen beheizen zu können. Auf dem Gelände haben wir auch zwei bestehende Gebäude renoviert. In dem einen befindet sich eine zentrale Küche mit Ausspeisung und in dem anderen ein Hygienecenter mit Duschen und Toiletten.

Insgesamt haben wir bisher Spenden und Bargeld in der Gesamthöhe von ca. 210.000,- Euro in der Region für die Flüchtlingshilfe umgesetzt. In diesem Betrag sind alle Spendentransporte, die Förderung des Sozialministeriums und viele Privatspenden sowie sehr viele Freiwilligenstunden enthalten. Ganz aktuell wird auch wieder eine Aktion durchgeführt, in deren Rahmen wir ca. 300 Weihnachtspackerl von Österreich in die Region bringen, um sie an moldawische und ukrainische Kinder abzugeben. Hierfür haben wir viele Kooperationspartner in Oberösterreich. Unter anderem die NMS St. Leonhard, AK OÖ, Kulturvereine und wiederum viele Privatpersonen, die uns dabei helfen.

Das Projekt läuft an und für sich gut, wenngleich es viel schwieriger geworden ist, weil in Österreich das Spendenaufkommen dramatisch eingebrochen ist. War zu Beginn die Bereitschaft und die Empörung wirklich groß, hat man sich mittlerweile an den Krieg und seine Grausamkeiten gewohnt. Mittlerweile überwiegt meist die Diskussion, ob es nicht für uns in Europa besser wäre, wenn wir alle Sanktionen wieder einstellen und die ganzen Embargo-Geschichten wieder beenden. Die Bilder im Fernsehen sind Alltag geworden. Ich finde das sehr bedauerlich, da uns das Winterdrama erst bevorsteht.

Ich bin seit 15 Jahren in dieser Region tätig und weiß, wie heftig der Winter im Jänner und Februar ist. Ich habe Nächte erlebt, in denen in der Ukraine in einer Nacht 35 Obdachlose erfroren sind, weil es so kalt ist. Minus 30 Grad und kälter sind keine Seltenheit, da bekommt das, was die russischen Streitkräfte jetzt machen, dass sie die ukrainische Infrastruktur für Strom, Wasser und Heizung zerbombt richtig Sinn und das wird ein ganz harter Kampf werden, mit vielen erfrorenen Menschen. Nach einem Jahr Krieg sind keine Ressourcen mehr da, weder strukturell noch körperlich noch psychisch und es wird ganz schlimm werden.

Wir diskutieren, ob 19 Grad im Büro genug sind oder nicht, und eine Flugstunde entfernt werden Menschen in ihren nicht beheizten Wohnungen erfrieren oder an den Folgen der Unterkühlung sterben. Es braucht in so einer Situation nur einen massiven Grippevirusbefall oder ähnliches und wir werden es mit einem Massensterben zu tun bekommen. Die Situation wird explodieren. Aber das ist so kalkuliert.

Edinet

In unserem Welcomecenter in Edinet bereiten wir uns so gut es geht darauf vor. Wir haben ein großes Spendenlager angelegt und die Hilfsbereitschaft der moldawischen Zivilbevölkerung ist beinahe unendlich, vor allem wenn Kinder im Spiel sind. Was wir brauchen, sind Lebensmittel und Geld, um die Leute durch den Winter zu bringen. Wir haben gute Strukturen, auch wenn meine Leute in Edinet auch schon müde sind, aber wir können das, wenn wir die Möglichkeiten dazu haben.

Wie beurteilst Du ansonsten die Sozialpolitik des Landes OÖ?

Nun, das muss ich schon ein bisschen kritisch betrachten. Ich bin seit 38 Jahren ein aktiver Teil dieser Politik und vor allem des arbeitsmarktpolitischen Sektors. Meines Erachtens zehren wir seit 15 Jahren oder mehr von dem tollen Standard, den wir uns in den 80ern und 90ern erarbeitet haben. In dieser Zeit war Oberösterreich echtes Vorzeigebundesland in Österreich. Seit Beginn der 2000er Jahre kommt nichts Neues mehr dazu. Das alte wird zu Tode verwaltet, und es hat sich eine sehr innovationsfeindliche Struktur und Haltung seitens der Geld- und Auftraggeber aber auch der Anbieter breit gemacht.

Gerade jetzt in einer Phase, wo ja bereits massiv inflationär über den Arbeitskräftemangel diskutiert wird, ist die oberösterreichische und auch die österreichische Arbeitsmarktpolitik von Phantasielosigkeit geprägt. Anstatt aktiv und kreativ darüber nachzudenken, wie man Menschen mit Behinderungen und besonders arbeitsmarktferne Personengruppen für den Arbeitsmarkt aktivieren könnte, wird ausschließlich die Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen diskutiert. Druck als einziges Mittel, um Attraktivität zu erzeugen, ist ein Armutszeugnis und von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Rückschritte sind auch in anderen Bereichen der Sozialpolitik zu sehen. Waren die ersten Jahre des neuen Jahrtausends noch von einem echten Bemühen geprägt, Inklusion zu leben und zu ermöglichen, hat sich das Bild völlig gewandelt. Aus budgetären und strukturellen Gründen geht es wieder in die andere Richtung. Wohneinrichtungen werden wieder so groß, dass sie bereits Heimcharakter bekommen.

Der Gipfel ist jetzt die Novelle zum Sozialberufegesetz, wodurch es jetzt wieder möglich ist, dass berufliche QuereinsteigerInnen ganz ohne pädagogische Ausbildung psychosoziale Betreuungsarbeit mit behinderten Menschen machen. Ich habe nichts gegen QuereinsteigerInnen, ganz im Gegenteil, aber bitte nur mit einer Qualifizierungsbegleitung. In Österreich darfst du ohne Friseur- ausbildung gewerblich niemandem die Haare schneiden, aber du darfst jetzt ohne Ausbildung Menschen mit Behinderungen egal ob physischer oder psychischer Natur persönlich betreuen. Einzig eine Miniausbildung in der Basisversorgung in den Bereichen Hygiene, Pflege und Mobilisierung ist notwendig. Das Ganze, um den Personalbedarf zu decken. Es wird also nicht an der Attraktivität des Berufes durch Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Anhebung der Gehälter und mehr gesellschaftlicher Anerkennung gearbeitet, um neue Menschen in dieses Segment zu locken, sondern es wird die Qualität gesenkt. Der angenehme Begleiteffekt ist, dass dieses neue Personal dramatisch schlechter bezahlt ist. Das heißt, damit sanieren die Träger und das Land OÖ zugleich ihr Budget. Das ist schandhaft, weil es auf Kosten einer qualitativen Betreuungsarbeit geht. Ich unterstelle hier den Verantwortlichen auf Seiten des Landes und der Träger, die Gunst der Stunde zu nutzen und statt Qualitätssicherung nur Budgetpolitik zu betreiben.

(Werkstatt-Blatt 4/2022)