Die EU-Austeritätspolitik hat die Gesundheitssysteme insbesondere in Ländern wie Italien, Spanien und Griechenland schwer getroffen. Diese Politik ist mitschuld an den vielen Corona-Toten.
Italien: 75.000 Spitalsbetten weniger
Italien hat sich bis heute nicht vom Schock der Währungsunion erfangen. Heute liegt das Niveau der italienischen Industrieproduktion real um ca. 20% unter dem Niveau des Jahres 2000. Seither geht Italien von der äußeren Abwertung (der Währung) zur inneren Abwertung (Absenkung der Sozialleistungen) über, um im EU-internen Konkurrenzkampf nicht völlig unter die Räder zu kommen. Eine der Hauptleidtragenden dieser Politik des Sozialabbaus ist das italienische Gesundheitswesen. Die Zahlen sind dramatisch: In den letzten beiden Jahrzehnten sank in Italien
- die Zahl der Krankenhäuser von 1.321 auf 1.063 (minus 20%) (1)
- die Zahl der Spitalsbetten von 268.057 auf 192.548 (minus 28%) (2)
In absoluten Zahlen heißt das: 258 Krankenhäuser wurden geschlossen und über 75.000 Spitalsbetten abgebaut, während gleichzeitig in diesem Zeitraum die Zahl der Menschen in Italien um rd. 3 Millionen zunahm.
„Kein Kandidat für Reanimation“
Es war aber nicht nur der „stumme Zwang“ der brutalen Konkurrenz in der EU-Währungsunion, der dem italienischen Gesundheitswesen zusetzte, die EU-Institutionen gingen 2011 zur offenen Erpressung über, um Kürzungen der öffentlichen Budgets und Privatisierungen erzwingen. Im August 2011 flatterte in das Postfach der italienischen Regierung ein Brief der Europäischen Zentralbank. Die EZB erklärt in ihrem Schreiben, dass Schutz vor steigenden Zinsen auf italienische Staatsanleihen nur unter der Bedingung harter Einschnitte gewährt würde. Sie hatte in der Troika die EU-Kommission und den Internationalen Währungsfonds hinter sich. Die italienische Regierung führte diese harten Einschnitte durch. Die realen Gesundheitsausgaben pro Kopf sanken seither um 10% (3). Über 45.000 Beschäftigte (minus 6,5%) im Gesundheitssektor wurden abgebaut (4). In Italien gibt es mittlerweile nur mehr 3,2 Betten auf 1.000 Einwohner. Zum Vergleich: In Frankreich sind es 6, in Deutschland 8.
Jede dieser GesundheitsarbeiterInnen, jedes dieser Krankenhäuser und Betten fehlt heute schmerzlich in der Bekämpfung der Corona-Krise. So berichtet eine Ärztin, die im Mailänder Spital San Paolo ihren Dienst leistet, davon, dass über Siebzigjährige mit Vorerkrankungen den Vermerk "kein Kandidat für Reanimation" erhalten - um Ressourcen zu schonen: „Es fehlt an Betten, Beatmungsgeräten, ärztlichem Material und vor allem Personal.“ (6)
Spanien: Private Spitäler sperren mitten in der Corona-Krise zu
Ähnlich verhält es sich in Spanien, das mittlerweile beim Zuwachs der Corona-Toten Italien überholt hat. Auch hier haben die EU-Spardiktate ab 2012 zu massiven Kürzungen im Gesundheitsbereich geführt und eine Privatisierungswelle bei Krankenhäusern ausgelöst. Alleine in Madrid ging die Zahl der Spitalsbetten um rund 3.000 zurück, während die Einwohner der Region um 500.000 zunahmen. Heute gibt es nur noch 9,5 Betten in Intensivstationen pro 100.000 Einwohner. In Österreich sind es 28,9. In Madrid stehen den 33 öffentlichen Krankenhäuser heute 50 private Kliniken gegenüber. Sieben davon haben jetzt, mitten in der Corona-Krise, "für unbestimmte Zeit" geschlossen“. (7)
Eine Ärztin aus dem Westen von Madrid berichtet von Zuständen „wie in einem Horrorfilm.“ Leichen werden in einer Eislaufarena gelagert. Die Krematorien sind überlastet, weil nicht genügend Schutzmaterial für Bestatter zur Verfügung steht. (8)
Griechenland: Halbierung der Gesundheitsausgaben
Am härtesten unter die Räder kam das griechische Gesundheitssystem, nachdem Athen infolge der Finanzkrise unter den EU-„Rettungsschirm“ vergattert wurde. Die staatlichen Gesundheitsausgaben wurden zwischen 2009 und 2016 von 16,2 Milliarden auf 8,6 Milliarden fast halbiert. Mehr als 13.000 Ärzte und über 26.000 sonstige im Gesundheitswesen angestellte wurden entlassen. 54 der 137 Krankenhäuser wurden geschlossen und das Budget der übriggebliebenen um 40 Prozent gesenkt. Insgesamt fielen zwischen 2011 und 2016 bei etwa elf Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern mehr als drei Millionen Menschen völlig aus dem Schutz einer Krankenversicherung (9).
Die Zahl der Corona-Erkrankungen in Griechenland ist zwar noch weit von Italien und Spanien entfernt, allerdings ist das kaputtgesparte Gesundheitssystem auch kaum in der Lage, Testungen im größeren Stil durchzuführen. Die Dunkelziffer dürfte entsprechend hoch sein. Dramatisch ist die Situation in den Flüchtlingslagern auf den Inseln sein. Die Flüchtlinge werden, auf engstem Raum eingepfercht, ihrem Schicksal überlassen. Die griechische Zeitung Efsyn vermutet, dass in den Flüchtlingslagern eine Art Großversuch zur Herdenimmunität gegen Covid-19 läuft. Die Zeitung titelt: "Und wer von den Flüchtlingen überlebt, der lebt…" (10).
(30.3.2020)
Quellen:
(1) https://www.statista.com/statistics/557042/hospitals-in-italy/
(2) https://www.statista.com/statistics/557293/hospital-beds-in-italy
(3) www.opendemocracy.net, 24.3.2020
(4) https://www.statista.com/statistics/953592/nhs-workforce-in-italy/
(5) https://www.israeldefense.co.il, 24.3.2020
(6) Kurier, 15.3.2020
(7) Der Standard, 28.3.2020
(8) Der Spiegel, 25.3.2020
(9) Freitag, 18.3.2020
(10) Telepolis, 26.3.2020