ImageDie unter dem Druck von EU-Vorgaben durchgeboxte „Gesundheitsreform“ nimmt Gestalt an: Hunderte LeiharbeiterInnen im AKH-Wien sollen gekündigt werden, um Platz für Billigstarbeitskräfte zu machen; gleichzeitig reduziert die MedUni Wien überfallsartig die Nachtjournaldienste. Auf der Strecke bleiben Beschäftigte und PatientInnen.


Seit langem kämpfen die Beschäftigten der Leiharbeitsfirma AGO, die im Wiener AKH arbeiten, für gleiche und faire Arbeitsbedingungen (sh. dazu Interview mit dem Betriebsrat Raimond Karner). Ab Ende Jänner beginnen nun die Kündigungen von LeiharbeiterInnen im AKH-Wien. Im ersten Schritt sollen bis Sommer 350 Reinigungskräfte, die im Wiener AKH als LeiharbeiterInnen der Firma AGO eingesetzt sind, vor die Türe gesetzt werden. Weitere Verträge, von denen bis zu über tausend ArbeiterInnen und Angestellte betroffen sind, stehen vor der Kündigung. Den LeiharbeiterInnen sollen Beschäftigte von Reinigungsfirmen nachfolgen: mit noch schlechterer Bezahlung und noch mehr Druck am Arbeitsplatz.

Gefährdung der Patienten

Die AGO-Beschäftigten werden wie Abfall entsorgt“, empört sich der AGO-Betriebsratsvorsitzende David Lang: “Unsere KollegInnen werden auf die Straße gesetzt, weil sich Gemeinde Wien und AKH offenbar weder am Wohl der Beschäftigten noch der PatientInnen orientieren. Unsere KollegInnen, die ohnehin schon in prekären Verhältnissen leben und arbeiten, sollen für die absurden Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich büßen.” Lang weiter: „Mit dieser Personalpolitik wird die öffentliche Gesundheitsversorgung aufs Spiel gesetzt, da zu befürchten ist, dass aus Kostengründen auf unerfahrenes und erst einzuschulendes Personal orientiert wird, was zu einem Qualitätsverlust und einer Gefährdung der Patienten führen kann.“

Der Spardruck lastet auf allen Beschäftigten im Gesundheitsbereich. Das zeigen nicht nur die geplanten Kündigungen der LeiharbeiterInnen, sondern auch der Protest von hunderten Ärzten des Wiener AKH, die am 21. Jänner auf die Straße gegangen sind, um gegen eine Reduktion der Nachtjournaldienste an der MedUni Wien zu protestieren. Die Ärzte klagen über massive Mehrbelastung während der Nacht und über eine Verminderung der Qualität der Patientenbetreuung. In einem Offenen Brief an die Politik und Verwaltung fordern sie die sofortige Rücknahme dieser Maßnahme, da sonst "Gefährdungssituationen für PatientInnen und MitarbeiterInnen vorprogrammiert sind.“

Image“Wir sind an eine Grenze gestoßen“

Der Betriebsobmann des wissenschaftlichen Personals der MedUni Wien, Thomas Perkmann: "Das AKH ist bisher nicht zusammengebrochen, weil das Personal alle Kürzungen aufgefangen hat. Wir glauben aber, dass wir jetzt an eine Grenze gestoßen sind. Die Belastung für die Ärzte hat ein nicht mehr tragbares Ausmaß erreicht." Der Wiener Ärztekammerpräsident, Thomas Szekeres, erklärte sich solidarisch: "Es fehlen die Ärzte für wichtige Leistungen in der Nacht. Für Schmerzpatienten, für die Versorgung psychiatrischer Patienten, für die Versorgung gebärender Frauen. Dafür müssen die übrig gebliebenen Ärzte in der Nacht die doppelte Arbeit verrichten."

Geht´s der Wirtschaft schlecht, …

Dieser wachsende Druck auf den Gesundheitsbereich ist mit der ab heuer wirksamen „Gesundheitsreform“ sogar in einen Staatsvertrag zwischen Bund und Länder gemeißelt worden. Diese „Gesundheitsreform“ schreibt vor, dass die Gesundheitsausgaben mit den Schwankungen des BIP „gedeckelt“ werden. Geht`s der Wirtschaft schlecht, hat es auch den Menschen schlecht zu gehen, lautet offensichtlich das Credo dieser neoliberalen Gesundheitspolitik, die von SPÖ, ÖVP und Grünen im Vorjahr gemeinsam beschlossen wurde. 11 Milliarden sollen damit im Gesundheitsbereich gegenüber den Bedarfsprognosen bis 2020 eingespart werden. „Niemand wird das merken“, versprachen die Regierungsvertreter von Bund und Ländern damals unisono der Öffentlichkeit. Das sollen sie jetzt den hunderten von Kündigung betroffenen LeiharbeiterInnen im AKH-Wien, den protestierenden Ärzten und den vielen anderen im Gesundheitsbereich erklären, die diese Sparpolitik unter immer größeren Arbeitsdruck bringt. Laut einer Studie von AK und Ärztekammer sind fast ein Drittel aller im Gesundheitsbereich Arbeitenden burnout gefährdet.

Befreiung der Budgetpolitik von EU-Bevormundung!

Hintergrund für diese Sparpolitik sind nicht wirtschaftliche „Zwänge“, denn wirtschaftlich ist diese Sparpolitik ausgesprochen kurzsichtig, wie die massiv steigende Arbeitslosigkeit belegt. Die wirklichen Hintergründe sind wo anders zu finden. Österreich befindet sich derzeit im sog. „Defizitverfahren“ der EU und muss auf Grund dessen penibel den restriktiven Vorgaben der Technokraten aus Brüssel Folge leisten, um nicht ins Räderwerk eine ausgefeilte EU-Sanktionsmaschinerie zu geraten. Mit dem im Vorjahr beschlossenen „EU-Twopack“ bekommt die EU-Kommission nun zusätzlich eine politische Vorabkontrolle bei der Budgeterstellung - bis hin ins Detail. Hunderttausende Arbeitslose sind offensichtlich völlig egal, solang nur weiter die Staatsausgaben nach unten gedrückt werden können. Gegenüber dem Argument, dass diese Sparpolitik gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv ist und immer mehr Menschen arbeitslos macht, sind diese neoliberalen EU-Cliquen immun. Denn steigende Arbeitslosigkeit und das Einsparen bei öffentlichen Ausgaben, insbesondere auch im Gesundheitsbereich, sind für die bornierten Interessen des großen EU-Industrie- und Finanzkapitals aus mehreren Gründen keineswegs kontraproduktiv, sondern durchaus erstrebenswert, weil
- sie zur Senkung der Lohn(neben)kosten führen, was insbesondere der exportorientierten Großindustrie beim Kampf um die Weltmärkte nützt
- weil sie eine Zwei-(mehr-)Klassenmedizin schaffen, die den Gesundheitsbereich zunehmend für privates Kapital lukrativ macht
- weil sie die gewerkschaftliche Gegenmacht schwächen, was in Dokumenten der EU-Kommission mittlerweile unumwunden als Ziel formuliert wird.

Gerald Oberansmayr, Aktivist der Solidarwerkstatt: „Die Solidarwerkstatt ist solidarisch mit den Beschäftigten im Gesundheitsbereich, die gegen Kündigungen, Dienststellenstreichungen und immer größeren Arbeitsdruck kämpfen. Wir sehen unsere Kritik an der sog. Gesundheitsreform bestätigt, die in Wirklichkeit ein unverschämtes Gesundheitsbeschränkungsprogramm auf Kosten von Beschäftigten und PatientInnen darstellt. Gemeinsam haben wir ein Interesse und auch die Macht, die Budgetpolitik aus der neoliberalen EU-Vormundschaft zu befreien, die unser Gesundheitswesen krank macht.“
(04.02.2014)