ImageEs wagt heute niemand ernsthaft der Ansicht zu widersprechen, dass das Recht auf eine – zeitgemäße – Wohnung ein Menschenrecht ist. Bis zur Verwirklichung dieses Rechts ist es allerdings noch sehr weit. Ein Beitrag von Walther Leeb, Rechtsanwalt in Wien, der sich  jahrelang mit dem Mietrecht beschäftigt hat.

 

 

Nach wie vor gibt es – vor allem in städtischen Ballungszentren – nicht nur einen qualitativen, sondern auch einen quantitativen Wohnungsmangel. Viele Menschen können sich eine ihren Anforderungen entsprechende Wohnung nicht leisten.

So berichtet eine Gewerkschaftszeitung im November d. J., dass in Österreich 456.000 Menschen, darunter 199.000 Kinder, in zu engen und überbelegten Wohnungen leben.

Unbestritten hat sich hier in den letzten knapp hundert Jahren vieles zum Besseren entwickelt. Von einer stetigen Entwicklung, von der man eine baldige Lösung des Problems erwarten kann, ist aber leider keine Rede.

Beginnen wir unsere Betrachtung im Jahre 1812, als das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) in Kraft getreten ist. Dieses, in weiten Bereichen auch heute noch in seiner Stammfassung in Geltung stehende, das Privatrecht umfassend  regelnde Gesetzeswerk beinhaltet selbstverständlich auch Bestimmungen über die Miete. In § 1090 heißt es: „Der Vertrag, wodurch jemand den Gebrauch einer unverbrauchbaren Sache auf eine gewisse Zeit und gegen einen bestimmten Preis erhält, heißt überhaupt Bestandvertrag.“ In § 1091 wird dann zwischen Miete und Pacht unterschieden. „Der Bestandvertrag wird, wenn sich die in Bestand gegebene Sache ohne weitere Bearbeitung gebrauchen läßt, ein Mietvertrag; wenn sie aber nur durch Fleiß und Mühe benützt werden kann, ein Pachtvertrag genannt.“

Verträge nach ABGB können auf unbestimmte Zeit geschlossen werden, sie sind dann unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist ohne Angabe von Gründen kündbar. Oder sie werden auf bestimmte Zeit geschlossen und enden dann, ohne daß es einer Kündigung bedarf. Von einem Kündigungsschutz ist keine Rede.

Da das ABGB der Höhe des Mietzinses – vom Wucher abgesehen – keine Grenzen setzt, bestimmte, solange es keine begleitenden Bestimmungen gab, der Markt das Geschehen. Das Ergebnis im ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist bekannt: In engen Zinskasernen wohnten die Menschen unter schlechtesten hygienischen Bedingungen auf engstem Raum – mit allen seinen negativen Auswirkungen.

Während des ersten Weltkrieges, in den Jahren 1917 und 1918, als sich vor allem Frauen, deren Männer eingezogen oder gefallen waren, die Miete nicht mehr leisten konnten und viele Familien von der Delogierung und Obdachlosigkeit bedroht waren, sind – im Rahmen von Mieterschutzverordnungen – die ersten mietzinsrechtlichen Maßnahmen ergriffen und Höchstsätze für bestimmte Gebiete festgesetzt worden.

Im Dezember 1922 hat dann der Nationalrat der jungen Republik das Mietengesetz erlassen, welches bis zum 31. Dezember 1981 in Geltung stehen sollte und im Wesentlichen sogar gegolten hat, als Österreich als selbständiger Staat zu bestehen aufgehört hatte. Der Titel dieses Artikels „90 Jahre Mietrecht in Österreich“ hat somit durchaus seine Berechtigung, auch wenn wie gesagt Wurzeln eines Mieterschutzes in die letzten Jahre der Monarchie zurückreichen. Mit dem Mietengesetz, das zunächst allerdings nur für bis 1917 errichtete Objekte gegolten hat, sollten zwei wesentliche Wirkungen erzielt werden: Einerseits ein starker Schutz der Mieter durch eine weitgehende Einschränkung des Kündigungsrechtes der Vermieter – sowohl von Wohnungen als auch Geschäftsräumen – und anderseits die Möglichkeit der Instandhaltung der Häuser durch eine zeitgemäße Umstellung der Bestimmungen über die Höhe des Mietzinses. Verträge konnten vom Vermieter nun nur noch bei Vorliegen wichtiger im Gesetz aufgezählter Gründe beendet werden, die Mietzinse orientierten sich im Wesentlichen auf dem, was im August 1914 („Friedenskrone“) tatsächlich bezahlt worden war.

Foto: Max WerdeniggDas hatte auch die – durchaus gewünschte – Wirkung, dass die private Bautätigkeit, die vor dem Ausbruch des ersten Weltkriegs äußerst lukrativ gewesen war, ziemlich unrentabel wurde. Vorher wertvolles Bauland verlor dadurch gewaltig an Wert (oft um bis zu neunzig Prozent!) und wurde damit billiger, was vor allem für die Gemeinden, die sich dem sozialen Wohnbau verschrieben haben, günstig gewesen ist, sind sie doch dadurch verhältnismäßig billig zu Grundstücken gekommen. So konnte beispielsweise die Gemeinde Wien in den Jahren 1919 bis 1934 377 Wohnhausanlagen mit mehr als sechzigtausend Wohnungen errichten!

Nicht unwesentlich war auch, dass die Stadt Wien ihr Wohnbauprogramm nicht durch Anleihen, sondern durch Steuereinnahmen finanzierte, also sich mit ihrem Wohnbauprogramm – ganz zum Unterschied zum kommunalen Wohnbau der letzten Jahre und Jahrzehnte – nicht verschuldet hat, sondern sich das Geld bei den Unternehmern, die es sich leisten konnten, geholt hat.

Es würde zu sehr ins Detail gehen, wenn ich nun jede einzelne Novelle des Mietengesetzes behandelte. Zusammenfassend kann aber das gesagt werden, was auch für das heutige Mietrechtsgesetz gilt: Bis auf wenige Ausnahmen wurde jede Änderung als Verbesserung verkauft und brachte in Wahrheit für die Mieter – teils massive – Verschlechterungen mit sich. So wurden in den Jahren 1929 und 1933 die Mietzinsbeschränkungen einigermaßen gelockert. Insbesondere ist die freie Mietzinsvereinbarung bei rascher Neuvermietung ermöglicht worden.

Nach 1945 wurden zur Ankurbelung des Wiederaufbaus und des sonstigen – nicht geförderten – Wohnbaus Ausnahmen von während der NS-Herrschaft erfolgten Preisregelungen geschaffen, was sich nicht nur als preistreibend, sondern auch als unpraktikabel erwiesen hat und letztlich 1954 vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben worden ist. Der Gesetzgeber hat darauf mit der Erlassung des Zinsstoppgesetzes reagiert, mit welchem die Mietzinse bei den vorher der Preisregelung unterliegenden Objekten auf Basis 30. Juni 1954 eingefroren worden sind und vor allem für Objekte, die bis 30. Juni 1953 errichtet worden sind, gegolten hat. Mit Wirkung vom 1. Jänner 1968 ist dann im Rahmen des Mietrechtsänderungsgesetzes (MRÄG) wieder eine gewisse Lockerung erfolgt, indem bei Neuvermietung oder Neuvermietung innerhalb von sechs Monaten eine freie Mietzinsvereinbarung zulässig geworden ist.

Es kann nicht geleugnet werden, dass das Mietengesetz in den Siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allmählich nicht mehr den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen entsprochen hat, weswegen auch Bestrebungen zu einer völligen Neugestaltung des Mietrechts bestanden haben. Nachdem diese jahrelang auf Grund unterschiedlicher Vorstellungen der politischen Parteien zu keiner gesetzlichen Regelung geführt haben, ist dann im Jahre 1981 unter der Führung des damaligen Justizministers Dr. Broda innerhalb weniger Monate das Mietrechtsgesetz geschaffen worden, das am 1. Jänner 1982 in Kraft getreten ist und rund dreißig, teils gravierende Änderungen später heute noch gilt.

Nachdem ursprünglich der Anspruch bestanden hatte, ein umfassendes Wohnrecht zu schaffen, also auch das Wohnungsgenossenschaftswesen und das Wohnungseigentum in einem einzigen Gesetz neu zu regeln, ist es schließlich doch nur gelungen, das Mietrecht im engeren Sinn einer Regelung zuzuführen.

Das Gesetz ist während seiner Werdung – wie ich auch heute zurückblickend meine zu Recht – von Mieterinteressenvertretern ziemlich kritisiert worden, hat es doch vor allem zu einer Teuerung bei Neuvermietung und durch die Einführung eines sogenannten Erhaltungs- und Verbesserungsbeitrages zu einem massiven Eingriff in bestehende Mietverträge geführt. Mit der Schaffung von Wohnungskategorien und diesem entsprechenden Mietzinsen ist es zumindest gelungen, eine gewisse Gerechtigkeit herbeizuführen. Allerdings muss hier einschränkend gesagt werden, dass die mietzinsrechtlichen Bestimmungen nur für Wohnungen gegolten haben, die in Gebäuden gelegen sind, die auf Grund einer vor dem 8. Mai 1945 erteilten Baubewilligung errichtet worden sind. Daran, dass das MRG was seine zinsrechtlichen Bestimmungen anbelangt, nur für Altbauten gilt, hat sich bis heute nichts geändert.

Mit der Einführung des sogenannten Kategoriemietzinses ist immerhin erreicht worden, dass bei Neuvermietung von Altbauwohnungen bessere Wohnungen teuerer und schlechtere Wohnungen billiger gewesen sind. Jeder Wohnungssuchende hat sich bei Besichtigung der Wohnung (für Geschäftsräumlichkeiten haben die Kategorien nie gegolten) und Kenntnis ihrer Größe den höchstzulässigen Mietzins errechnen können. Der Mieter hat nach Bezug der Wohnung leicht überprüfen können, ob er zuviel bezahlt, und dies über die Schlichtungsstelle überprüfen lassen können. Der höchstzulässige Hauptmietzins für eine Kategorie A-Wohnung ist damals mit öS 22,-- pro Quadratmeter und Monat festgelegt worden, der für eine Wohnung der Kategorie B mit öS 16,50, für eine C-Wohnung durften maximal öS 11,-- und für eine Substandardwohnung öS 5,60 verrechnet worden.

Doch auch diese durchaus zweckmäßige Limitierung hatte keinen allzu dauerhaften Bestand. Am 1. März 1994 ist im Rahmen des 3. Wohnrechtsänderungsgesetzes das Richtwertgesetz in Kraft getreten, mit dem scheinbar eine gerechtere Berechnung der Mietzinse, in Wahrheit aber eine Erhöhung derselben herbeigeführt worden ist. Der Gesetzgeber hat eine Normwohnung vorgegeben (Vorzimmer, mindestens ein Hauptraum, Küche, Badezimmer, WC, Zentralheizung), für jedes Bundesland einen Grundzins („Richtwert“) festgelegt und ein kompliziertes, für den Laien völlig undurchschaubares System von Zu- und Abschlägen zur Norm geschaffen. Die Folge ist, dass die Vermieter möglichst viel verlangen und darauf vertrauen, dass die Mieter nicht in der Lage sind, die Höhe des Mietzinses zu berechnen, und sich daher nicht getrauen, den vereinbarten Mietzins zu bekämpfen.

In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass Mietzinsüberprüfungsverfahren ursprünglich kostenlos gewesen sind und es auch bei Unterliegen im Verfahren keinen Kostenersatz an den Gegner gegeben hat. Das Risiko des Mieters ist somit gering gewesen. Dies ist seit einigen Jahren anders. Ein mietrechtliches Verfahren kann, wenn man es verliert, ziemlich kostspielig werden. Ein Grund mehr, warum viele davon lieber die Finger lassen.

Das bereits erwähnte 3. Wohnrechtsänderungsgesetz hat im übrigen auch für Geschäftsraummieten eine gravierende Änderung mit sich gebracht. Der Vermieter kann seither im Falle einer Unternehmensveräußerung vom Erwerber einen ortsüblichen Mietzins verlangen. Es liegt auf der Hand, dass dieser im Regefall weit über dem bisherigen liegt.

Doch nicht nur die Abschaffung des Kategoriezinses hat für die Mieter Nachteile mit sich gebracht. Sukzessive sind auch die Kündigungsschutzbestimmungen gelockert worden, indem immer mehr Ausnahmetatbestände geschaffen und die Möglichkeiten der Befristung von Mietverträgen erweitert worden sind.

Der Vollständigkeit halber sei aber auch erwähnt, dass es im Zuge der vielen Änderungen durchaus auch gewisse Verbesserungen gegeben hat. So können Mieter nach einem Jahr auf einen längeren Zeitraum befristete Mietverträge vorzeitig aufkündigen und der Mieter muss nun auch nicht mehr gerichtlich aufkündigen, sondern kann dies mittels eingeschriebenen Briefes bewerkstelligen.

Foto: Max WerdeniggEines haben aber die zahllosen Änderungen allesamt nicht zu bewirken vermocht: nämlich, dass die Wohnung nicht mehr Ware ist und sich jeder ein zeitgemäßes Zuhause leisten kann. Es darf bezweifelt werden, dass dieses Ziel durch das Mietrechtsgesetz – wie immer man es auch ändert – erreicht werden kann.

Wirklich lösbar ist das Problem nur durch eine Rückkehr zum sozialen Wohnbau, zur Errichtung zeitgemäßer und leistbarer Wohnungen durch die öffentliche Hand. Dies setzte allerdings voraus, dass dem Bund, den Ländern und Gemeinden ausreichend Geld zur Verfügung stünde, um die Bautätigkeit zu finanzieren. Dies wird solange nicht der Fall sein, als sich der Gesetzgeber nicht dazu durchringen kann, Steuergesetze zu schaffen, auf Grund derer die Mittel von dort geholt werden, wo sie reichlich vorhanden sind, anstatt den Mittelstand sukzessive in die Armut zu treiben.

Gewisse Verbesserungen für die Mieter könnten allerdings relativ einfach herbeigeführt werden, indem zum einen wieder – je nach Qualität der Wohnung – Mietzinsobergrenzen eingeführt werden und diese vor allem für alle zur Vermietung gelangenden Objekte Anwendung finden. Solange Einfamilienhäuser, Eigentumswohnungen, ausgebaute Dachböden usw. usf. keiner Mietzinsregelung unterliegen, dürfen sich die Politiker, die jetzt nach Obergrenzen, Transparenz usw. rufen, nicht wundern, dass das Wohnen für immer mehr Österreicher immer weniger leistbar ist.