Die Wohnungsnot in Österreich, sprich der Mangel an leistbaren Mietwohnungen, ist das Resultat einer langfristigen Aushungerung des sozialen Wohnbaus. Eine Revitalisierung tut not.

Österreich stach lange Zeit international durch den sozialen Wohnbau hervor, insbesondere durch den Gemeindewohnbau in Wien. Gemeinnützige Wohnbauvereinigungen sorgten für leistbaren Wohnraum. Aus den Mitteln der Wohnbauförderung finanzierte Wohnungen dürfen nur nach dem Kostendeckungsprinzip vermietet werden. Das bedeutet, dass hier gesetzlich nur beschränkt Gewinne erzielt werden dürfen, die wiederum in Wohnbaumaßnahmen im Inland investiert werden müssen. Bei frei finanzierten Wohnungen kann verlangt werden, was der Markt hergibt.

Rückgang der Wohnbauförderung

Doch Mitte der 90er Jahre setzt ein langfristiger Trend des Ausstiegs aus dem sozialen Wohnbau ein. War Mitte der 90er Jahre das Verhältnis von geförderten zu frei finanzierten Wohneinheiten noch 80:20, so drehte sich das Verhältnis über den Zeitraum von fast drei Jahrzehnten nahezu um. Wurden im Jahr 1996 noch geförderte 50.000 Wohnungen errichtet, so sank seither ihr Anteil kontinuierlich ab. 2023 waren es nur knapp 15.000 Wohnungen (sh. Grafik1). Entsprechend ist der Anteil frei finanzierter Wohnungen zwischenzeitlich, angekurbelt durch die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank, in lichte Höhen gestiegen. Betongold nennt sich das, hochgradig spekulativer Wohnraum, für den Normalbürger meist unerschwinglich. Seit der Zinswende der EZB gehen die Baubewilligungen auch in diesem Bereich rapid zurück.

Ersichtlich ist diese langfristige Tendenz auch an den Mitteln der Wohnbauförderung. Machten diese Mitte der 90er Jahre noch 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, so sank dieser Anteil kontinuierlich auf mittlerweile 0,4 Prozent ab (sh. Grafik 2). Das klingt wenig, ist aber in absoluten Zahlen erheblich: Rund 4,5 Milliarden fehlen dadurch dem sozialen Wohnbau Jahr für Jahr, wenn man die 1,4 Prozent als Vergleich heranzieht! Das ergibt akkumuliert über den Zeitraum 1994 bis 2022 die stolze Summe von rd. 60 Milliarden Euro, die dem sozialen Wohnbau entzogen wurden (inflationsbereinigt, Preisniveau 2022).  

Wohnbaufoerderung Grafik

Mieten laufen den Löhnen davon

Dass Mitte der 90er Jahre die Wende erfolgte, ist kein Zufall. Es markiert den Übergang in das Konkurrenzregime der EU, das mit der „Freiheit“ von Waren und Kapitalverkehr das Lohn- und Sozialdumping ankurbelte. Die Löhne entkoppelten sich von der Produktivitätsentwicklung und fielen zurück, Sozialleistungen wurden als Wettbewerbsbremse gesehen, die in Form von „Lohnnebenkosten“ den Standort gefährden. Über die Maastricht-Kriterien konnte die EU-Kommission zunehmend Druck auf die öffentlichen Budgets, v.a. im Sozialbereich, ausüben. Die Folgen: Fehlender sozialer Wohnbau jagte über die Jahre die Mieten in der Höhe, während die Löhne und Gehälter nicht einmal mit der Wirtschaftsentwicklung, geschweige denn mit den Wohnungskosten Schritt halten konnten. Zwischen 2010 und 2023 wuchsen die Immobilienpreise um 113 Prozent, die Mieten am privaten Mietenmarkt um 73 Prozent, der Verbraucherpreisindex um 44 Prozent und die mittleren Löhne um 41 Prozent. 

EU-Kommission attackiert sozialen Wohnbau

Zusätzlich zum allgemeinen Austeritätsdruck nutzt die EU-Kommission auch das Wettbewerbsrecht, um dem sozialen Wohnbau zu Leibe zu rücken. Nach Art. 107 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten beeinträchtigen. Beihilfen sind somit grundsätzlich verboten. Diesem ehernen Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft und eines freien Wettbewerbs hat sich auch die Förderung des sozialen Wohnbaus unterzuordnen. Um Wohnbauförderung aber dennoch zu ermöglichen, bietet Art. 106 Abs. 2 AEUV einen „Ausweg“. Diese Bestimmung regelt die Erbringung von „Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“. Sie sieht vor, dass Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind, nicht an die Wettbewerbsregeln gebunden sind, wenn die Anwendung dieser Vorschriften die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben verhindern würde. Der von der Kommission konzedierte „Ermessensspielraum“ der Mitgliedsstaaten in der Ausgestaltung des sozialen Wohnungswesens schränkt somit den Sozialwohnungssektor explizit nur auf die einkommensschwachen Bevölkerungsschichten ein. Eine Ausdehnung des sozialen Wohnbaus auf die Mittelschichten, die auch für soziale Durchmischung der Bevölkerungsstruktur sorgt, ist untersagt.

Den Anfang machten 2009 die Niederlande. Aufgrund einer Beschwerde des Verbandes institutioneller Investoren, der die Förderung der gemeinnützigen Wohnbauträger als wettbewerbsverzerrende Begünstigung kritisierte, leitete die EU-Kommission ein Überprüfungsverfahren gegen die niederländische Wohnbauförderung ein. Die niederländische Regierung musste Einkommensgrenzen von 33.000 Euro brutto pro Haushalt einführen, was den Zugang zum sozialen Wohnungssektor für rund 650.000 Haushalte aus mittleren Einkommensgruppen beendete. 

Als Nächstes folgte 2011 Schweden. In der bei der Kommission eingebrachten Beschwerde sprach sich die European Property Federation gegen die staatliche Subventionierung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen aus, da „dadurch das allgemeine Mietniveau gedrückt werde“ - und somit die Gewinnaussichten des privaten Sektors. Die Kommission leitete ebenso ein Verfahren wegen Wettbewerbsverzerrung ein. Vor die Wahl gestellt, entweder strikte Einkommensgrenzen im sozialen Wohnbau einzuführen oder aber für eine strenge marktwirtschaftliche Ausrichtung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zu sorgen, entschied sich die konservative schwedische Regierung im Jahr 2011 für den zweiten Weg. Damit büßte der soziale Wohnbau in Schweden den Charakter einer Daseinsvorsorge ein. 

Auch in Frankreich sind die Regierung und die sozialen Wohnbauträger mit einer Beschwerde gegen das Wohnbauförderungssystem konfrontiert. 2012 ortete der französische Hauseigentümerverband in seinem Schreiben an die EU-Kommission eine Wettbewerbsverzerrung durch die hohen Einkommensgrenzen im geförderten Wohnungssektor. Die Kommission forderte die französische Regierung zur Stellungnahme auf. Die sozialdemokratisch geführte Regierung wies das Ansinnen einer Redimensionierung des sozialen Wohnbaus durch eine Verschärfung der Zugangskriterien zurück und verbat sich eine Einmischung in nationalstaatliche Angelegenheiten. Seither liegt der Fall auf Eis.

frei finanzierte Wohneinheiten

Revitalisierung des sozialen Wohnbaus

Österreich hat mit den Niederlanden, Schweden und Frankreich gemeinsam, dass der soziale Wohnungssektor eine erhebliche Rolle spielt. Mit 24 Prozent Wohnversorgung liegt er hinter den Niederlanden an zweiter Stelle. Auch hierzulande ist das Vorgehen der Kommission nicht ohne Spuren geblieben. „Aus verschiedenen Gründen, vor allem aber mit dem Beitritt Österreichs zur EU, hat die Stadt Wien entschieden, ab 2004 keine eigene Wohnbautätigkeit mehr zu betreiben“, meint etwa der Stadtforscher Christoph Reinprecht (1). Wien hat damit die Erfolgsgeschichte des Gemeindebaus, die bis in die Zwischenkriegszeit zurückreicht, beendet. Trotz rasch wachsender Bevölkerung geht der Anteil der von gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen errichtete Wohnraum deutlich zurück, die Zweckbindung der Wohnbauförderung wurde ab Beginn der Nullerjahre aufgehoben. Lange gab es am österreichischen Immobilienmarkt jedoch kaum bedeutende Player am privaten Wohnungssektor, die zu Maßnahmen wie einer EU-Beschwerde gegriffen hätten. Doch das könnte sich ändern. Europäische Wohnkonzerne fassen in Österreich Fuß, die ihre Profite durch sozialen Wohnbau geschmälert sehen könnten. Der deutsche Konzerne Vonovia besitzt etwa seit der Übernahme der BUWOG 29.000 Wohnungen in Österreich. 

Die Revitalisierung des sozialen Wohnbaus ist der Schlüssel zur Schaffung von leistbarem Wohnraum für alle. Die heuer beschlossene Wohnmilliarde des Bundes für drei Jahre ist ein Anfang, aber noch ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, dass 4,5 Milliarden im Jahr mehr zur Verfügung stehen würden, wenn der Anteil am BIP auf dem Niveau von Mitte der 90er Jahr wäre. Die neue Kommissionspräsidentin Von der Leyen hat angekündigt, sich mit einem eigenen Kommissar um das Wohnungswesen kümmern zu wollen. Das Beste, was sie tun kann, ist die Finger davon zu lassen. Das Wettbewerbsrecht hat dort nichts zu suchen.

Gerald Oberansmayr
(aus WB2/2024)


Anmerkungen:

(1) https://www.die-debatte.org/wohnungsmarkt-interview-reinprecht/