Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Armut in Österreich innerhalb ihrer Legislaturperiode 2019 – 2024 zu halbieren. Dieses Ziel wurde krachend verfehlt. Das zeigen die Daten der europaweiten EU-SILC-Befragung für 2023.
Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Armut in Österreich innerhalb ihrer Legislaturperiode 2019 – 2024 zu halbieren. Dieses Ziel wurde krachend verfehlt. Das zeigen die Daten der europaweiten EU-SILC-Befragung für 2023.
Laut EU-Definition sind jene Personen armutsgefährdet, deren bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Nettohaushaltseinkommen (= Äquivalenzeinkommen) weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens eines Landes beträgt. Als armutsgefährdet gilt in Österreich, wer ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle von 1.572 Euro hat. Die Zahl der Armutsgefährdeten ist in Österreich von 1.161.000 (13,3 Prozent) im Jahr 2019 auf 1.338.000 Menschen (14.9 Prozent) im Jahr 2023 angestiegen (sh. Grafik 1). Statt die Armut zu halbieren, ist sie also um 15 Prozent angestiegen. Am stärksten gestiegen ist die Zahl der „erheblichen materiellen und sozialen Deprivation“: Waren es 2021 etwa 160.000 Menschen, sind es 2023 336.000 Menschen. Erhebliche materielle und soziale Deprivation liegt vor, wenn sich Menschen von 13 Merkmalen, die als Mindestlebensstandard festgelegt sind, mindestens sieben nicht leisten können, wie z.B. die Wohnung angemessen warm zu halten, die Miete pünktlich zu überweisen, abgenutzte Kleidung zu ersetzen oder unerwartete Ausgaben in der Höhe von 1.370 Euro aus eigenen Mitteln tätigen (1). Als armuts- oder ausgrenzungsgefährdet gelten in Österreich sogar 1,6 Millionen Menschen, das sind 17,7 Prozent der Bevölkerung, also fast ein Fünftel. Ein Zuwachs von rd. 160.000 Menschen gegenüber 2019 (siehe Grafik 1).
2023 sind 376.000 Kinder und Jugendliche (23 Prozent) in Österreich armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 325.000 Kinder und Jugendliche bzw. 20 Prozent sind armutsgefährdet. Jedes fünfte Kind (unter 18 Jahren) lebt demnach unter der Armutsgrenze – obwohl Österreich im EU-Vergleich auf Platz 5 der reichsten Länder liegt (gemessen am BIP pro Kopf) (Eurostat, 2024).
Sozialleistungen nicht armutsfest
Am stärksten hat sich das Armutsgefährdungsrisiko für Mehrkindhaushalte, AlleinerzieherInnen und Erwerbsarbeitslose erhöht. Das Armutsgefährdungsrisiko für Mehrkindhaushalte, also Haushalte, in denen mindestens drei Kinder leben, ist um elf Prozentpunkte angestiegen. Damit ist rund ein Drittel der Mehrkindhaushalte armutsgefährdet. Außerdem sind ein Drittel der Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, 28 Prozent mit maximal Pflichtschulabschluss und auch mehr als ein Viertel der MieterInnen 2023 armutsgefährdet. Auch bei den AlleinerzieherInnen, die zum Großteil Frauen sind, sind vier von zehn Haushalten armutsgefährdet.
Am höchsten ist die Armutsgefährdung weiterhin bei Erwerbsarbeitslosen: Einer von zwei Menschen, die mindestens sechs Monate erwerbsarbeitslos gemeldet sind, ist auch nach Sozialleistungen noch armutsgefährdet (siehe Grafik 2).
Ein Grund dafür, warum so viele Menschen armutsgefährdet sind, ist das Fehlen von armutsfesten Sozialleistungen, sprich: Die ausgezahlten Beträge sind zu gering. Arbeitslosengeld, Mindestsicherung oder auch die Ausgleichszulage (Mindestpension) sind so niedrig bemessen, dass sie unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Einer erwerbsarbeitslosen Person fehlen für das Jahr 2023 418 Euro, um die Armutsgefährdungsschwelle überhaupt zu erreichen, MindestpensionistInnen fehlen 277 Euro und MindestsicherungsbezieherInnen sogar satte 518 Euro monatlich (siehe Grafik 3).
Arm trotz Arbeit
Die Erzählung „Arbeit schützt vor Armut“ stimmt vor allem für die alleinerziehenden Frauen nicht. Knapp 70 Prozent der alleinerziehenden Frauen sind erwerbstätig, immerhin 33 Prozent davon in Vollzeiterwerbstätigkeit. Trotzdem liegt die Armutsgefährdung bei Erwerbstätigkeit bei 32 Prozent. Das erhöhte Armutsrisiko von Frauen zieht sich bis ins hohe Alter. Alleinlebende Pensionistinnen haben mit 28 Prozent eine deutlich höhere Armutsgefährdungsquote als alleinlebende Pensionisten (17 Prozent). Zwei Drittel der MindestpensionsbezieherInnen sind weiblich.
Wohnungsnot
Auch die Wohnungsnot macht sich deutlich bemerkbar. Die Armutsgefährdung von MieterInnen ist von 21 Prozent im Jahr 2019 auf 27 Prozent im Jahr 2023 angestiegen. Statt einer wirksamen Mietpreisbremse wurden die Mieten innerhalb kürzester Zeit mehrmals angehoben. Für Jänner 2024 lassen sich immerhin 40 Prozent der Teuerung im einkommensärmsten Fünftel auf die Wohnkosten (Miete und Betriebskosten) zurückführen. Insgesamt wiegen die Folgen der Teuerungskrise für vulnerable Gruppen schwer: 37 Prozent der Personen mit geringem Einkommen, 51 Prozent der Erwerbsarbeitslosen und knapp 40 Prozent der AlleinerzieherInnen berichten über merkliche Einkommenseinbußen im letzten Jahr.
Fast jede zweite AlleinerzieherIn kann unerwartete Ausgaben nicht stemmen, jede zehnte arbeitslose Person gibt an, dass sie sich oft oder manchmal nicht genug zu essen leisten kann. Die Entlastungspakete, die von der Regierung geschnürt wurden, waren alles andere als treffsicher. Einmalzahlungen waren dabei die größten Kostenpunkte, wie die Erhöhung des Klimabonus, der Teuerungsbonus oder Einmalzahlungen für Menschen mit niedrigen Einkommen, helfen zwar, aber – wie der Name schon sagt – nur einmal. Die höheren Kosten für Miete, Energie usw. sind aber jeden Monat fällig. Außerdem gab es kaum direkte bzw. preisdämpfende Maßnahmen gegen die Teuerung.
Nächste Sparpakete stehen vor der Tür
Gleichzeitig kam es aber in den letzten Jahren zu einer Erosion der Staatseinnahmen: Gewinnsteuern für Kapitalgesellschaften, die Beiträge zum Familienlastenausgleich und zur Unfallversicherung wurden gesenkt, die Lohnsteuerreform und Abschaffung der kalten Progression brachte vor allem Wohlhabenden Steuervorteile. Die Sparpakete, die diese Lücken stopfen sollen, stehen schon vor der Tür. Sie werden wieder die sozial Benachteiligten treffen. Wenn wir uns nicht wehren.
(1) Siehe dazu Armutsreport, Momentum-Institut, https://www.momentum-institut.at/wp-content/uploads/2024/05/wer-arm-ist-bleibt-arm-armutsreport-2024-momentum-institut-2.pdf