Image"Für mich persönlich sind es heuer sehr traurige Pfingsten: Am Samstag nach Christi Himmelfahrt ist ein lieber Freund in seiner Wohnung verbrannt. Wahrscheinlich durch eine brennende Kerze, weil ihm wegen der Schulden der Strom abgedreht wurde. Wir, seine Freundinnen und Freunde, hatten es nicht gemerkt."
(Alois Reisenbichler, Friedensgrüße zu Pfingsten)


Die Globalisierung hat uns auf einzigartige Weise den Enden der Erde näher gebracht. Diese „Enden“ gehen quer durch unseren lateinamerikanischen Kontinent und unser Land, und sie verlaufen vor unserer eigenen Haustür. Einerseits leben wir in einer viel größeren gegenseitigen Nähe, gleichzeitig leben wir aber auch viel weiter weg von jenem „Nächsten“, die vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden, weil sie ihre Arbeit, ihr Obdach oder ihr Land verloren haben.

In Brasilien hegen wir eine ganz besondere Zuneigung zu diesen „Verliererinnen und Verlierern der Globalisierung“ – zu den Landlosen und den indigen Völkern, die um Land kämpfen; zu den Obdachlosen und Migranten, die ihr Heim verloren haben; zu den Arbeitslosen und den durch Hungerlöhne Ausgebeuteten. Die globalisierte Welt hat neue Mauern errichtet zwischen Gewinnern und Verlierern, zwischen Reichen und Armen, und lässt einen ständig wachsenden Teil der Menschheit mit immer weniger Hoffnung zurück. (…)

Die überwiegende Mehrheit der Menschen lebt abgeschnitten vom Fortschritt, von der Fülle und vom Wohlstand, und kämpft täglich um ein Stückchen Brot. Die globalisierte Welt schafft Opfer und Ausschluss, Gewalt und Verzweiflung; sie verachtet das Leben der Unschuldigen und der Friedfertigen. (…)

Unsere universelle Mission unterscheidet sich radikal von der Globalisierung, die uns umgibt. Wir werden uns niemals den Ausschlussmechanismen anpassen. Wir geben die ethischen Grundsätze und die Vision des Gottesreiches niemals auf, die unserem Weg die Richtung weisen.

Die Welt kann anders sein! Mission ist Vision! Gottes Gerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit jener Justitia-Statue mit verbundenen Augen. Unser Gott hört den Schrei der Armen, sieht das Leid der Migranten und ruft mit seinem Wort alle, die durch die babylonische Verwirrung der Makrodiskurse vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind. Die Räume der Unentgeltlichkeit und Zweckfreiheit, welche die Kunst und die Religion anbieten, können Widerstandsräume sein gegen das heutige Axiom „Ich mache Gewinn, also bin“, gegen die Fragwürdigkeiten des „kulturell Korrekten“, das von der neoliberalen Globalisierung bestimmt wird. (…)

Wie können wir Brüche verursachen, wie können wir Risse und Brüche im System nutzen, um unsere Träume einzupflanzen, unsere und die der Armen und Ausgeschlossenen?

Bischof Dom Erwin Kräutler
(In: Erwin Kräutler, Kämpfen, glauben, hoffen. Mein Leben als Bischof am Amazonas,

 Münsterschwarzach 2011 (Vier-Türme-Verlag), Seite 65 ff.)

 

Für mich persönlich sind es heuer sehr traurige Pfingsten: Am Samstag nach Christi Himmelfahrt ist ein lieber Freund in seiner Wohnung verbrannt. Wahrscheinlich durch eine brennende Kerze, weil ihm wegen der Schulden der Strom abgedreht wurde. Wir, seine Freundinnen und Freunde, hatten es nicht gemerkt.

Tatsächlich verlangt Jesus ein äußerst wachsames Bewusstsein und eine äußerste Wahrnehmungsfähigkeit für andere Menschen, ein neues Sehen des anderen / der anderen, das seine / ihre Ängste und seine / ihre Hoffnungen erkennt, auch wo sie sich nur undeutlich oder missverständlich aussprechen, ja auch da, wo sie sich eher verstecken und verschweigen“, schrieb Dorothee Sölle 1968 (Phantasie und Gehorsam, Überlegungen zu einer künftigen christlichen Ethik, Stuttgart 1968, Seite 57). Jesus „erwartete, dass wir die Welt verändern – eben dazu befreite er unsere Phantasie.“

Frohe und gesegnete Pfingsten
Alois Reisenbichler