ImageDer Gemeindebau ist bekannt für seinen sozialen Wohnbau, der zu einer homogenen Durchmischung der dort lebenden Bevölkerung führen soll. Michaela Molnar setzt sich mit Anspruch und Wirklichkeit und der wachsenden sozialen Kluft im Wiener Gemeindebau auseinander.

 

Der Gemeindebau ist bekannt für seinen sozialen Wohnbau, der zu einer homogenen Durchmischung der dort lebenden Bevölkerung führen soll. Sieht man sich diese soziale Durchmischung genauer an, stößt man auf folgendes real existierendes Abbild.

In einem Wiener Bezirk leben folgende Menschen im Gemeindebau: häufig sind es überwiegend PensionistInnen und Neo-ÖsterreicherInnen, aber auch ZuwanderInnen aus den Bundesländern. Um eine Gemeindewohnung zu bekommen, sollte das Einkommen beim Ansuchen um eine Gemeindewohnung eine bestimmte Höhe nicht überschreiten. Wer im Gemeindebau lebt und in den langen Jahren des Verbleibs Karriere macht, bleibt trotzdem im Gemeindebau leben und profitiert von den immer noch günstigen Mieten – verglichen mit jenen am freien Wohnungsmarkt. Nicht wenige PensionistInnen verfügen über Zweitwohnsitze und konnten sich, gesichert durch alte Kollektivverträge, durchgängige Erwerbsverläufe in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren mit den Ersparnissen einen Zweitwohnsitz leisten. Die heute neu einziehenden GemeindebaubewohnerInnen sind nicht selten BezieherInnen von Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, PensionistInnen mit kleinen Pensionen, (Neo-)ÖsterreicherInnen mit geringem Einkommen trotz Arbeit, Alleinerzieherinnen.

Hier ein praktisches Beispiel.

Hermine S.: Frühpensionistin, 68, seit mehr als 10 Jahren in Pension. Als ehemalige Angestellte der Wiener Gebietskrankenkasse und Witwe verfügt sie über eine reguläre Alterspension von ca.2500€. Früher wurden die besten 15 Jahre zur Pensionsberechnung herangezogen). Als Angestellte der Wiener Gebietskrankenkasse erhält sie auch eine Zusatzpension von ca. 500€ und zusätzlich die Pension ihres verstorbenen Mannes von ebenfalls 1000€. Alles in allem verfügt Fr. S. über eine stattliche Pension von 4000€, lebt in einer Vier-Zimmer-Wohnung im Gemeindebau und hat selbstverständlich auch ein Haus am Land.

Auf derselben Etage im Gemeindebau lebt Gustav L., seines Zeichens Ex-ÖBB-Bediensteter, 80 Jahre und ebenfalls seit zwei Jahrzehnten in Pension, Witwer. Er hat gleichfalls einen Zweitwohnsitz, lebt alleine in einer Vier-Zimmerwohnung und verfügt über eine Pension von 2600€. Er hat nur eine kleine Witwenpension,  weil seine verstorbene Frau erst nach den Kindern einige Jahre gearbeitet hat.

Ebenfalls im gleichen Stockwerk wohnt eine inländische alleinerziehende Mutter, 45, die zwar zwei akademische Abschlüsse hat, aber trotz zahlreicher Bewerbungen als überqualifiziert gilt und mit einem Monatseinkommen von 800€ Arbeitslosengeld inklusive Alimente über die Runden kommen muss. Der Pensionsbescheid dieser Alleinerzieherin macht trotz 20-jähriger Erwerbstätigkeit inklusive Karenz- und Ausbildungszeiten gerade einmal 600€ aus, weil Frau M. noch nie ihrer akademischen Ausbildung gemäß bezahlt wurde. Als Alleinerzieherin war sie immer unter ihrem tatsächlichen Ausbildungsabschluss eingestuft.

Im Stockwerk darüber wohnt eine Migrantenfamilie mit drei Kindern. Die Mutter,42, eine serbische Roma, hat als Putzfrau gearbeitet und ist derzeit in Karenz. Die Familie lebt zu fünft auf 50m2, was immer wieder zu Lärmbelästigung führt. Das Monatseinkommen dieser Familie beläuft sich inklusive Erwerbseinkommen des Mannes in einer Fleischfabrik, Karenzgeld und Kinderbeihilfe auf ca. 2300€ - für fünf Personen. Öfter hört man Fr. Hermine S. mit Hr. Gustav G. im Stiegenhaus über die Ausländer reden, die den Sozialstaat ausnützen.

Auch im unteren Stockwerk lebt eine Alleinerzieherin mit bereits erwachsenem Sohn türkischer Herkunft. Da der Sohn noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und die Mutter trotz Grafik-Ausbildung seit Jahren arbeitslos ist, verfügt dieser Haushalt über ein Monatseinkommen von etwa 1300€. Der Pensionsbescheid dieser etwa 44-jährigen Frau beläuft sich auf 400€.

Und dann gibt es da noch die ägyptisch-stämmige Leila, im Heimatland ausgebildete Juristin. Ihr Ex-Mann erhielt vor 20 Jahren die österreichische Staatsbürgerschaft und holte sie vor 13 Jahren nach Österreich. Sie hat von diesem Mann, der sich inzwischen nach Ägypten abgesetzt hat, zwei Buben im Alter von 7 und 10 Jahren, für die sie keine Alimente erhält. Als Putzfrau verdient sie für 40 Stunden gerade 1000€, dafür bezahlt sie 600€ für die Wohnung, für die sie noch nicht einmal Wohnbeihilfe erhält, da die Wohnung noch immer auf ihren inzwischen geschiedenen Mann läuft.

Was sagen diese Fallbeispiele?

Es gibt ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den Pensionen von heutigen PensionistInnen, die es sich in guten Zeiten richten konnten und die die Hauptwählerklientel einschlägiger Parteien sind. Die mittlerweile ausgeschickten Pensionsbescheide zeigen, dass die Pensionen der heute im Erwerbsleben stehenden Personen im Alter von 30-50 wohl kaum jene Höhen erreichen werden als jene, die heute Pensionen beziehen (Mehrfachpensionen).

Weiters zeigt dieses Beispiel, dass auch Hochqualifizierte häufig an und unter der Armutsgrenze leben. Dies trifft meist Frauen, Alleinerzieherinnen und vor allem Migrantinnen. An diesem Abbild des Lebens im Gemeindebau ist auch sichtbar, dass MigrantInnen bzw Frauen eher erwerbstätig sind, aber entweder so wenig verdienen, weil weit unter ihrer Qualifikation eingesetzt oder aus dem Arbeitsprozess aus verschiedenen Ursachen aussortiert wurden/werden. Nicht einmal Höchstqualifikationen von Österreicherinnen werden adäquat honoriert. AlleinerzieherInnen erhalten schlicht keine ausbildungsgemäße Arbeit oder es scheitert an den Kinderbetreuungseinrichtungen. Vor allem, in Berufen wie Pflege oder auch Verkauf sind Kinderbetreuung und Arbeitsbedingungen unvereinbar und gerade in diesen Bereichen sind die Gehälter so niedrig, dass Frauen damit kaum über die Runden kommen.

Es zeigt sich außerdem, dass Ausbildung keine Garantie für einen Arbeitsplatz ist. Immer öfter sind Universitäts- oder FachhochschulabgängerInnen von Arbeitslosigkeit betroffen. Wer über 45 ist und überqualifiziert, hat oft  kaum mehr eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, denn da drängen schon günstigere, jüngere, wenig kritisch denkende und somit billigere Arbeitskräfte nach.

Was werden die Kinder dieser Alleinerzieherinnen aus diesem Gemeindebau einmal machen? Wer wird einen 24-jährigen mit Hauptschulabschluss, jedoch ohne Berufsausbildung und -erfahrung einstellen? Welche Chancen haben die 7- und 10-jährigen Jungen der Ägypterin? Sind das die Nachwuchskräfte für ISIS?

Was wird aus der Tochter der hochqualifizierten Alleinerzieherin? Sie lernt am Schicksal ihrer Mutter, dass Ausbildung keinen Sinn macht.

Nicht außer Acht zu lassen ist bei diesem Thema der wachsenden Ungleichheit, die auf systematischer Ungerechtigkeit basiert, die Zunahme von Gewalttaten, der Selbstmordrate von älteren Menschen und der mangelnden Zukunftsaussichten für heute junge Menschen. Diese Ungerechtigkeit wird immer mehr auf dem Rücken von Frauen und nicht selten Migrantinnen ausgetragen. Frauen sind sowohl im Parlament als auch in Führungs- und Entscheidungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Diese Probleme der wachsenden sozialen Ungleichheit müssen politisch gelöst werden, aber derzeit scheint sich keine der Regierungsparteien darüber ernsthaft Gedanken zu machen.