ImageEin Bericht von Michael Baier, Medizinstudent in Wien und Aktivist von IPPNW (Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs) über das „ICAN Civil Society Forum“ und die „Vienna Conference on the Humanitarian Impact of Nuclear Weapons“.


Fast 70 Jahre nach der ersten Resolution der Vereinten Nationen, die zur nuklearen Abrüstung aufrief, 40 Jahre nach Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrags, 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist es eine weit verbreitete Meinung: nukleare Abrüstung ist nicht möglich – wir brauchen diese Waffen für Stabilität und zur gegenseitigen Abschreckung.Dieser Mythos hat sich tief eingebrannt und praktischerweise lassen sich damit die Risiken, die die heute noch existierenden 16.000 Atomwaffen unweigerlich mit sich bringen, leicht ignorieren. Pessimismus,der so tief verwurzelt ist, dass nicht nur die allgemeine Bevölkerung, sondern auch Politiker, Medien, Wissenschaftler und Diplomaten kaum Energie auf nukleare Abrüstung verschwenden, ist nur langsam in Motivation umzuschwenken. Dies ist aber nicht nur höchst gefährlich, sondern auch fehlgeleitet. Denn: es tut sich sehr wohl etwas in der nuklearen Abrüstung: Anfang Dezember 2014 kamen Vertreter von 158 Staaten nach Wien und machten unsere Bundeshauptstadt zum Zentrum für eine Diskussion über die Auswirkungen von Atomwaffen. Das konnten wir uns als Ärzte zur Verhinderung eines Atomkriegs natürlich nicht entgehen lassen.Image


Im Herbst begannen für uns die Vorbereitungen für das Civil Society Forum (CSF). Die Mitarbeiter der Kampagne „ICAN“ (International Campaign for the Abolishment of Nuclear Weapons) plante in den Tagen vor der Konferenz 600 Aktivisten aus der ganzen Welt in der Aula der Wissenschaften in Wien zu versammeln, um Neulinge auf dem Gebiet mit Experten zu vernetzen, zu informieren und Motivation zu schüren, damit die Zivilgesellschaft volle Präsenz bei der Staatenkonferenz zeigen kann.

Wir von IPPNW wollten dazu auch unseren Beitrag leisten und gestalteten eine neue Ausstellung zum Thema „Nuclear Weapons are never someone else’s problem – 7 humanitäre Gründe für ein Verbot von Atomwaffen“.

Das Programm des CSF konnte sich sehen lassen – es sprachen weltweit bekannte Persönlichkeiten, Wissenschaftler, Betroffene aus Hiroshima und Kasachstan und viele mehr.

Besonders berührend und motivierend war die Rede von SetsukoThurlow. Mit ihren mehr als 80 Jahren kämpft sie noch immer für eine Welt ohne Atomwaffen. Sie ist eine der sogenannten „Hibakusha“.Das sind jene Menschen, die die Atombomben in Hiroshima und Nagasaki überlebt haben. Der ganze Saal verstummte und ich bekam Gänsehaut, als sie ihre Erinnerungen jenes schrecklichen Tages schilderte. Sie war damals gerade in der Schule und all ihre Klassenkollegen waren tot oder schwer verletzt. Ganz Hiroshima brannte. Menschen, die ihre eigenen Augen in den Händen hielten und am ganzen Körper verbrannt waren. Menschen, die wie leblose Geister herumirrten und mit heiserer Stimme ständig nach Wasser flehten.

Beeindruckend ist es auch immer wieder, wenn man Dr. Ira Helfand zuhört. Er ist Co-Präsident der IPPNW und Arzt in den USA und forscht seit langem über die Auswirkungen eines Nuklearen Winters. In seiner Studie hat er belegt, dass ein „kleiner“ Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan mit nur 50 Sprengköpfen zu einer weltweiten Abkühlung der Durchschnittstemperatur, was zu einem massiven Ernteverlust führen würde und seinen Berechnungen zufolge in den 5 Jahren nach dem Krieg ungefähr 2 Milliarden Menschen das Leben kosten würde. Unvorstellbar, was ein „großer“ Atomkrieg zwischen Russland und den USA anrichten könnte.


Wenn man solche Fakten vor sich hat, fragt man sich, wieso noch nicht mehr passiert ist. Wie kann es sein, dass viele Politiker diese schockierenden Folgen außer Acht lassen? Ist der Pessimismus und die Passivität der Bevölkerung gerechtfertigt? Ja und Nein. Die bisherigen Abrüstungsbemühungen waren so scheinheilig und unproduktiv, dasswahrscheinlich noch lange alles stillstehen würde, wenn es zu keinem baldigen Strategiewechsel kommt. Deshalb beginnen nun endlich jene Staaten, die ohnehin keine Atomwaffen haben, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Anstatt immer nur an die Atomwaffenstaaten zu appellieren, ihre völkerrechtlichen und moralischen Pflichten einzuhalten, hat eine Mehrheit der Staaten in Wien klar gesagt, dass sie nicht bereit sind, länger auf die Atomwaffenstaaten zu warten. Sie wollen sich nicht länger an der Nase herumführen lassen. 44 Staaten gingen einen Schritt weiter und haben sich für einen neuen völkerrechtlichen Vertrag ausgesprochen, der Atomwaffen eindeutig verbietet. Kein Atomwaffenstaat kann die Mehrheit der Staatengemeinschaft davon abhalten, weiteres Völkerrecht zu kodifizieren.


Österreich hat nicht nur die dritte Konferenz veranstaltet, sondern, worauf ich als Österreicher besonders stolz bin, hat gleich eine Führungsrolle in diesem Prozessübernommen. Zusätzlich zum Chair’s Summary (http://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Aussenpolitik/Abruestung/HINW14/HINW14_Chair_s_Summary.pdf), welches die Stellungnahmen der Konferenzteilnehmer widerspiegelt, hat Österreich auch den ‚Austrian Pledge’ (http://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/Zentrale/Aussenpolitik/Abruestung/HINW14/HINW14_Austrian_Pledge.pdf) verabschiedet. Österreich gibt darin seiner tiefen Besorgnis über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen Ausdruck und gelobt, diese ins Zentrum aller nuklearen Abrüstungsbemühungen zu stellen. Österreich will gemeinsam mit allen relevanten Akteuren eine Stigmatisierung, ein Verbot, und die Abschaffung von Atomwaffen vorantreiben.Image


Bisher waren Atomwaffen die einzigen Massenvernichtungswaffen, die noch keinem expliziten völkerrechtlichen Verbot unterlagen – ein Versagen unserer kollektiven Verantwortung. Dieser Skandal sollte uns alle dazu bewegen, Österreich nach Kräften zu unterstützen. Ich als IPPNW Mitglied möchte besonders den Mitarbeitern des Außenministeriums danken, besonders Botschafter Alexander Kmentt, der diese Konferenz mit seinem Team auf die Beine gestellt hat.

Michael Baier,
Medizinstudent in Wien