ImageWirtschaftskammerchef Christoph Leitl meinte im Standard-Kommentar vom 18.7.2015 "Wie Österreich bayerischer werden kann". Klaus Kucharz gibt ihm in einem Offenen Brief eine passende Antwort.



Sehr geehrter Herr Christoph Leitl!

Meine Antwort auf Ihren Kommentar „Wie Österreich bayerischer werden kann“, im STANDARD vom 18. 07. 2015.

Warum packen Sie nicht Ihre Sachen und wandern in Ihr gelobtes Land Bayern aus? Die übrigen Deutschen tun es ja auch. Wien hat eine der größten Kontingente aus Deutschland. Offenbar gibt es gute Gründe hier in Österreich zu leben. Die Deutschen und die Bayern sind kein besonderes Vorbild, wenn man sich die konkreten Zahlen vor Augen hält.

Sie wollen die Bürokratie bekämpfen, mit welchen Waffen? Es ist nicht schwer zu erraten, wer da als erster seine Existenz aufs Spiel gesetzt bekommt, die Lohn- und Gehaltsabhängigen. In weiterer Folge werde ich nur von den Lohnabhängigen reden. Die Organisationen der Wirtschaftstreibenden brauchen solche Paläste wie die WKO in der Wiedner Hauptstraße und andere nicht? Wahrscheinlich meinen Sie immer die anderen.

Das „Wachstum“ hat überwiegend den Besitzern der Produktionsfaktoren/mittel Gewinne gebracht. Nur in seltenen Fällen hatten die Lohnempfänger Nettoreallohnsteigerungen. Ein aussagekräftiger Wohlstandsindikator sollte neben ökonomischen auch ökologische und soziale Kriterien berücksichtigen. Der BIP sagt nichts darüber aus, wie viele Menschen in einem Land hungern, arbeitslos, obdachlos, wie ausgeprägt die Mitbestimmungsrechte vorhanden sind, oder arm und damit unfrei sind. Es spricht nichts dagegen, dass die Summe aller produzierten Waren, Güter und Dienstleistungen in Österreich gemessen werden, aber dagegen, dass das BIP als Wohlstandsindikator verwendet wird. Wissen Sie, dass der Kapitalismus ein totalitäres Regime ist, wie der Stalinismus auch?

Beispiel: In Österreich sind die Nettorealeinkommen der unselbständig Erwerbstätigen 2006 gleich hoch wie 1992. In diesem Zeitraum stieg der BIP um 37 Prozent. Ganz offenbar nicht für alle. Immer mehr Österreicherinnen und Österreicher wird bewusst, dass die zentralen Versprechen:

Wohlstand für alle
Freiheit und
Glück

von der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht eingelöst werden will. Die neoliberalen Ökonomen haben es mit Hilfe ihrer Erfüllungsgehilfen, den neoliberalen Politikern geschafft, dass heute Mythen herrschen, die Österreich wie auch weltweit geglaubt werden, dass die Menschen angeblich wohlhabend, frei und glücklich sind. Bei mehr als drei Milliarden Armen und täglich mehr als 50.000 toten Kindern weltweit wegen Unterernährung und Hygienemangel, muss es wohl einen Fehler im Wirtschaftssystem seit Anbeginn geben.

Steigende Arbeitslosenzahlen, da können Sie die Merkel`sche Wirtschaftsdiktatur und ihre Sparpolitik ins Visier nehmen. Sie könnten Frau Merkel jeden Tag mitteilen, was in Griechenland gebraucht wird, weil die Auflagen der Troika oder wer immer die Einsparungen bestimmt, immer mehr Tote fordern. Aber das ist Kolateralschaden, den die Banken, Versicherungen und Spekulanten locker hinnehmen, Hauptsache Merkel und Schäuble kümmern sich darum, dass ihre Gewinne bezahlt werden. Es ist eine klare Sache, an der Peripherie Europas ist eine linke Regierung, das ist für die neoliberale EU eine Gefahr. Die muss weg.

Die Gefahr wird größer, wenn Sie Herr Leitl, weiter nur zuschauen, wie Frau Mikl-Leitner, Parteisoldatin ihrer Partei, durch die Gegend murkst. Konzept und Managementqualität ist da keines vorhanden.

Wenn Sie Herr Leitl, glauben die Automobilindustrie in Bayern boomt und die österreichischen Zulieferer stagnieren, da stimmt doch etwas nicht. Oder kauft in einer Wettbewerbsgesellschaft die Automobilindustrie Niedrigpreis Waren mit weniger Qualität von anderen Zulieferern ein?

Die Demokratie ist ein Vertrag zu Kooperation und kein Wettbewerb. Wettbewerb ist unvereinbar mit dem Wesenskern der Demokratie, das ein Volk besser sein soll, als ein anderes Volk. Vorwiegend die neoliberalen Ökonomen und die neoliberalen Erfüllungsgehilfen, die konservativen bürgerlichen Parteien und deren Politiker hetzen mit den Besserverdienern, den Reichen und den Vermögensbesitzern, die vom Produktionsfaktor Arbeit abhängigen Menschen in die globale Selektion. Bei diesen Hetzern ist das kriegstreiberische Ansinnen zu entlarven, damit sie geächtet und bestraft werden können.

An eigennützigen Werten orientierte Menschen entsprechen unreifen Persönlichkeiten, während universale auf Gemeinschaftswerte orientierte reife Persönlichkeiten sind. Unreife Menschen achten primär auf sich selbst, während reifere Persönlichkeiten auch das Wohl anderer und der Erde in den Blick nehmen. Der kapitalistische (Welt)Markt ist ein fataler Selektionsmechanismus: Auf der einen Seite ist er eine mächtige Ideologie (auch für die rechtsextremen Parteien), ein Glaubenssystem, eine Religion, und auf der anderen Seite ein rechtliches und institutionelles Anreizsystem zur Verhinderung menschlicher Reife. Zentrale Instrumente der kapitalistischen Wirtschaftspolitik sind darauf ausgerichtet, unreifes egoistisches Verhalten zu belohnen und reifes fürsorgliches zu bestrafen.

Die egoistische Politik Deutschlands sollte dem Österreicher kein Vorbild sein, wer die Pensionen mit dem Hinaufsetzen des Pensionsalters verschlechtert, noch immer an der Enteignung der Menschen arbeitet, die von der WTO, IWF und Weltbank als Rezept zum Schuldenabbau verordnet bekommen zu privatisieren, liberalisieren und den Freihandel oftmals gegen den Willen der Staaten durchsetzen, müssen mit aktivem und passivem Widerstand der Bevölkerung in Zukunft daran gehindert werden. Wer die Gesundheitsversorgung verteuert und sich brüstet in der Sozialversicherung Überschüsse zu produzieren, dann haben Politiker verlernt, für die Menschen die Hilfe brauchen, da zu sein. Die bayrische und gesamtdeutsche Förderung von Billigjobs bis hin zu den Hungerlöhnen von HARTZ IV gehört sicher nicht zu den Vorbildern die Österreich braucht.

Der Standortwettbewerb wird von der arbeitenden Bevölkerung als Bedrohung erlebt. Der explodierende Konzerngewinn und die steigenden Managergehälter schaffen kein Vertrauen, wenn gleichzeitig Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Armut und damit Unfreiheit wächst. Der Eigentümer einer Demokratie ist das Volk. Der einzige Unternehmenszweck der Demokratie besteht darin, den Willen des Volkes umzusetzen. Der Auftrag des Volkes an die Politiker lautet: Die Demokratie weiterentwickeln. Und nicht die Wettbewerbsfähigkeit.

Ich zitiere aus der Entgegnung auf ihre Replik von Ihnen Herr Leitl, den Kommentar der anderen von Herrn Mag. Sepp Wall-Strasser, MAS vom 27.07.2015: „Ihre Empfehlung, Herr Leitl, lautet: „Macht es den Bayern nach.“ Von ganz Deutschland getrauen Sie sich nicht zu sprechen. Dann müssten Sie zugeben, wie Deutschland mit dieser Politik die eigene Bevölkerung trifft und gerade den von Ihnen so viel beschworenen Mittelstand schröpft. „Noch nie war die Armut in Deutschland so hoch, und noch nie war die regionale Zerrissenheit so tief wie heute“, heißt es im offiziellen Armutsbericht 2015.

Dieser brutale Konkurrenzkampf (ich spreche lieber von Wettbewerb, das trifft die Sache besser) spaltet die „deutsche bzw. bayrische“ (Einf. d. Verf.) Bevölkerung genauso wie die „neoliberale“ EU. Denn mit dieser Lohn- und Sozialdumpingpolitik spielt Deutschland die anderen europäischen Staaten an die Wand und kann als Exportvizeweltmeister brillieren, die desaströsen Folgen müssen wir derzeit leidvoll erleben. Deutschland saniert sich auf Kosten anderer Staaten. Dafür müsste Deutschland bestraft werden, was ja nach Maastricht auch vorgesehen ist.“

„Wenn Sie wirklich etwas tun wollen für Österreich, dann sorgen Sie Herr Leitl in Ihrer Partei dafür, dass die Blockadepolitik bei Bildung, Vermögensbesteuerung und Arbeitszeitverkürzung aufgegeben wird.“

Mit vorzüglicher Hochachtung

Klaus Kucharz, Wien