Verteidigungsminister Starlinger will das Bundesheer für EU-Interventionskriege aufrüsten. Ein Diskussionsbeitrag von David Stockinger zur aktuellen Debatte über die Zukunft des österreichischen Bundesheeres aus demokratie-, friedens- und neutralitätspolitischer Sicht.
Anlässlich des endgültigen Ausfalls der österr. Luftraumüberwachung und der damit einhergehenden wieder aufkeimenden Diskussion „Brauchen wir überhaupt ein Bundesheer?“ ist es höchst an der Zeit, einmal einige grundlegende Fragen hinsichtlich der österreichischen Verteidigungspolitik und des Bundesheeres zu stellen und auch versuchen, aus demokratischer, friedens- sowie neutralitätspolitischer und republikanischer Perspektive zu beantworten.
Wahrscheinlich werde ich mit diesem Text einigen meiner Friedensfreunde vor den Kopf stoßen. Das nehme ich gerne in Kauf, weil ich meine, dass es nicht Aufgabe klassisch linker Politik sein kann, die wehrpolitische Agenda aufzugeben. Und es zeigt auch den Unterschied zwischen friedensorientiertem Neutralitätsbewusstsein und einem naiven Pazifismus auf, der unterschätzt, dass ein ernsthaft neutrales Land, das sich dem Mitmarschieren bei EU-Kriegen verweigert und dagegen seine Stimme erhebt, nicht nur von Freunden umgeben ist.
Bundesheer abschaffen?
Ein Staat hat entweder eine eigene oder eine fremde Armee. Nachdem Österreich sich mit dem Neutralitätsgesetzt verpflichtet hat, diese auch mit allen ihm zu Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen, ist das eben keine Option. Souveränität, Unabhängigkeit und vor allem Neutralität erfordern neben proaktiver Außen- und Friedenspolitik, Diplomatie und offensiver Sozialpolitik im Inneren eben auch eine militärische Schutzkomponente. Sofern man eben auch alle Komponenten ernst nimmt. Absurd und widersprüchlich sind vor allem jene EU-Lobhudler, die meinen „weil wir in der EU sind, können wir das Heer eh abschaffen“. Gerade die EU-Verträge (die militärischen Komponenten von Lissabon aber auch die neuesten Entwicklungen Richtung PESCO) drängen zur Aufrüstung und gerade die jüngsten Aussagen von Macron, Von der Leyen und auch Karrenbauer lassen eine Dynamisierung der Offensivbestrebungen der EU-Militärisierung unter deutsch-französischer Führung (mit oder ohne NATO-Backup wird sich noch weisen) erwarten. Daher muss eine Umorientierung der österreichischen Verteidigungspolitik in jedem Fall mit einem Ende der militärischen EU-Verpflichtungen einher gehen.
Wehrpflicht vs. Berufsheer
Diese Frage wurde vom österreichischen Souverän bei der Volksbefragung 2013 mit unterschiedlichsten besseren und schlechteren Argumenten eindeutig beantwortet. Vernünftige Linke riefen damals aus ganz konkreten demokratie-, friedens- und neutralitätspolitischen Gründen für die Beibehaltung der Wehrpflicht auf. Gerade die oben genannten EU-Lobhudler riefen neben einigen anderen für die Einführung einer reinen „Profiarmee“ auf. Ein „Profiheer sei für die heutigen Anforderungen einfach besser geeignet“. Unter „heutigen Anforderungen“ meinten und meinen sie das weltweite Freischießen von Versorgungrouten für die westlichen Zentren und deren Wirtschaftseliten, die Besetzung des „EUropäischen Hinterhofs“ Balkan, die Sicherung von „seltenen Erden“ in Afrika und einen eventuellen Einsatz gegen den alten neuen Feind der NATO/EU- den bösen Ivan (oder heute Wladimir) in Moskau. Klar, dafür sind Berufssoldaten besser geeignet als wehrpflichtige Normalbürger.
Österreich hat nach den Erfahrungen des zerstörerischen Faschismus und des millionenfachen Leides, das imperiale Expansion über die Familien dieses Kontinents gebracht hat, eine historische Verpflichtung, einerseits auf Grundlage seines Staatsvertrages und seiner Neutralität schon im Vorhinein ALLES dafür zu tun, um Kriege, Aggression (inklusive einseitiger Sanktions- und Drohpolitik) und Intervention zu verhindern bzw. im Falle derer als Vermittler zu wirken. Das kann man aber nur tun, wenn man glaubwürdig neutral ist. Unsere verfassungsmäßigen Bestimmungen bieten eine hervorragende Grundlage dazu, sie waren quasi ein Geschenk. Seit 1989/91 wurden diese, gerade als Vorbereitung auf den EU-Beitritt beschnitten und verstümmelt. Trotzdem sind sie noch Bestandteil unserer Bundesverfassung und sie gehören daher realpolitisch wiederbelebt. Dass sich das mit Verpflichtungen und Bestimmungen diverser EU-Verträge (oder auch der selbstgewählten und gelebten NATO-PfP) spießt ist offensichtlich. Das gehört auch klar aufgezeigt, gerade von klassischen Linken.
Somit sind die oben gestellten Fragen auch schon beantwortet: Aus demokratischer und neutralitätspolitischer Sicht muss eine souveräne Friedensrepublik Österreich- gerade wenn sie sich aus den imperialen Ambitionen von EU und NATO abkoppelt- selbstverständlich auch eine militärische Verteidigung, die diesen Namen auch verdient, aufrechterhalten. Auf Basis von Wehrpflicht (inklusive Beibehaltung des Zivildienstes) und echter Miliz. Für Männer und Frauen.
Wie könnte diese nun aussehen?
- Das heutige Bundesheer hat eine viel zu große „stehende Komponente“, d.h. viel zu viele und teure Berufssoldaten. Hier sollte man sich die Schweizer Streitkräfte als Vorbild nehmen. Möglichst kurze und effektive Zeit Grundausbildung in der Kaserne (max. 4 Monate) und anschließend regelmäßige jährliche Waffenübungen und Spezialisierungskurse
- Demokratisierung des Heeres durch die Erweiterung des wehrpflichtigen und Miliz-Anteils („gegen Standesdünkel und Korpsgeist“). Gute und zeitgemäße Ausrüstung der wehrpflichtigen Grundwehrdiener.
- Gehärtete Elemente (schwere Panzer) nur dort wo es für Absicherungsszenarien unbedingt nötig ist. Eine etwaige Grenz- und Raumsicherung funktioniert heute mit schnellen und mobilen kleinen Einheiten („Jagdkampfführung“)
- Gute Ausstattung und Ausbildung der Miliz für Objektschutz und Schutz wichtiger technischer und sozialer Infrastruktur
- Selbstverständlich braucht ein Staat, der seine Unabhängigkeit und Neutralität auch ernst nimmt, eine Luftraumüberwachung. Aber keine überteuerten Eurofighter, die damals von der Regierung Schüssel gerade hinsichtlich einer gewollten militärischen EU- und NATO-Integration beschafft wurden und eigentlich in der Endausbaustufe als offensive Kampfflugzeuge gedacht waren (abgesehen von den fetten Schmiergeldern die geflossen sind). Hier sollte man luftraumüberwachungsfähige bewaffnete Trainer bzw. leichte Abfangjäger als Ersatz für die alten Saab 105 beschaffen und den Eurofighter endlich loswerden. Hier sollen Kooperationen in der Luftraumüberwachung mit der neutralen Schweiz ausgelotet werden, auch etwaiges Fliegersharing. Parallel dazu ist für eine moderne, mobile und effektive Flugabwehr zu sorgen. Die Flugabwehr ist eine grundsätzlich defensive Komponente jedoch für den Schutz eines Staates und seiner Infrastruktur heute unerlässlich.
- Gute Ausstattung der Katastrophenschutzelemente, kurz AFDRU-Einheiten und der ABC-Abwehr vor allem auch für Hilfe bei Naturkatastrophen aller Art im Ausland und zum Schutz der österr. Zivilbevölkerung.
- Eine funktionierende Hubschrauberflotte ist gerade im alpinen Gelände Österreichs unerlässlich.
- Rückzug aus allen EU- und NATO-geführten Auslandsmissionen. „Friedenserhaltende“ Blauhelm-Einsätze unter ausschließlicher UN-Führung, wie es jene Einsätze am Golan oder in Zypern waren, völkerrechtlich gedeckt und neutralitätspolitisch unbedenklich sind, kann Österreich durchführen. „Friedensschaffende Missionen“ unter EU- und NATO-Kommando haben hingegen einen interessensgesteuerten, oft imperialen Charakter. Österreichische Soldaten haben bei Nation-Building-Einsätzen wie im Kosovo nichts verloren! Rückzug aus den EU-Battlegroups und aus PESCO!
- Keine Übungen fremder Truppen auf österreichischem Territorium sowie keinerlei Durchfuhr ausländischen Kriegsmaterials durch Österreich. Das Bundesheer hat die Aufgabe dahingehend auch die Grenzen zu kontrollieren.
- Ausrichtung der „wehrpolitischen Erziehung“ während des Grundwehrdienstes und der „geistigen Landesverteidigung“ auf Konfliktprävention, Konfliktforschung, Neutralitätserziehung, Republikanismus und Antifaschismus (hier gibt es schon lange sehr gute Vorschläge des Verbandes Demokratischer Soldaten Österreichs). Dazu wären auch Kooperationen z.B. der Landesverteidigungsakademie mit anerkannten Institutionen, wie dem „Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung Schlaining“, vernünftig.
Natürlich kostet auch ein Bundesheer mit ausschließlich defensivem Charakter Geld. Wenn damit aber ausschließlich die Unabhängigkeit, die Souveränität und Neutralität unseres Landes geschützt werden, dann soll es uns das auch wert sein. Österreich soll sich an keinen imperialen Abenteuern beteiligen, sondern mit einer aktiven und selbstbewussten Außenpolitik zum Frieden in der Welt beitragen.
(November 2019)
Siehe auch:
Petition "Ja zur Neutralität - Nein zur EU-SSZ!" unterschreiben!