Wir setzen unsere Diskussionsserie zum Thema EU-Parlamentswahlen fort, um einen Kontrapunkt zu den Scheingefechten, die uns derzeit vielerorts geboten werden, zu setzen. Nach dem Beitrag von Matthias Lauer (ACUS) folgt heute ein Wutausbruch von Bernhard Redl (Redakteur der Wochenzeitung AKIN).

“Der Verein Justizgeschichte und Rechtsstaat lädt Sie, sehr geehrte Damen und Herren, zu unseren Ausstellungen über Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat ein. Bestandsgarantien für den demokratischen Rechtsstaat und den Schutz der Menschenrechte sind nur durch politische Bildung erzielbar, die die Bedeutung rechtsstaatlicher Grundsätze und der Zugehörigkeit zur Wertegemeinschaft der Europäischen Union für alle erfahrbar machen soll.”

Fällt da noch irgendwem irgendwas auf? Quietscht so eine Einladung nicht ein bisserl? An sich wäre das ja eine interessante Veranstaltungsreihe über Rechtsphilosophie, aber es gibt auch hier irgendjemanden, der meint, irgendwas mit “Wertegemeinschaft der Europäischen Union” reinreklamieren zu müssen. Eine mögliche ehrliche Auseinandersetzung um Fragen wie Gewaltenteilung, gesetztes Recht und angenommenes Naturrecht, Staat und Souverän, etcetera wird vollkommen entwertet und vorab in Bahnen gelenkt, wo keine Diskussionen mehr möglich sind — aber Hauptsache, man hat wiedereinmal die Europäische Union zum Himmelreich erklärt.

Das Obige ist nur ein Beispiel von vielen. Ja, es sind EU-Wahlen. Ja, die EU-Eliten sind immer noch vom Brexit geschockt. Es ist jetzt ganz wichtig, die EU gesundzubeten. Aber das geht ja schon längere Zeit so, immer muß irgendwo die EU als Allheilmittel für alle Probleme untergebracht werden — und auch viele Linke fallen darauf rein. Die kritisieren zwar gerne die EU als undemokratisch, aber sie meinen, man müsse trotzdem prinzipiell für ein “geeintes Europa” sein, das nur anders, wenn geht: besser verfaßt sein sollte. Vielleicht gleich als “Europäische Republik” mit einer Europabürgerschaft. Weil das hilft ganz toll gegen Nationalismus und die extreme Rechte. Daher muß man das “Friedensprojekt Europa” retten.

Das ist ein derartiger Topfen, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll! Also erstens: Die EU ist nicht Europa! Das hätte man eigentlich schon von den Lateinamerika-Soligruppen gelernt haben sollen, die immer wieder betont haben, daß die USA nicht Amerika ist.

Give PIS a Chance

Wenn wir schon beim Vergleich mit den USA sind — zweitens: Der Zusammenschluß zu den “Vereinigten Staaten von Europa” soll ein Friedensprojekt sein? Sicher, ja, klar, Deutschland und Frankreich führen nicht mehr Krieg gegeneinander — heute schickt die EU ihre Soldaten gemeinsam in Länder außerhalb der Union. Zu behaupten, die EU sei ein Friedensprojekt ist ungefähr so, wie wenn man behaupten würde, die USA seien ein solches, weil sie seit eineinhalb Jahrhunderten keine Krieg mehr auf eigenem Territorium gehabt haben.

Ja, aber wenigstens hat es seit Ende des Zweiten Weltkriegs keinen Krieg mehr in Europa gegeben!  Naja, wenn man mal von Jugoslawien absieht. Aber das ist ja eine quantite negligable. Da haben ja auch alle westeuropäischen Regierungen fest daran gearbeitet, das Jugoslawien geeint bleibt und es nicht zum Krieg kommt. Oder hab ich das falsch in Erinnerung? Und das Bombardement Belgrads war ja die NATO, nicht die EU. Okay, ja, Österreich, Schweden und Finnland waren die letzten neutralen Staaten, die der EU beigetreten sind, seither gab es nur neue NATO-Mitglieder als EU-Beitrittsländer. Aber das ist ja eh egal, weil wenn die Souveränitätsrechte auf die EU übertragen werden, haben wir dann eine gemeinsame Armee — das mit der Neutralität, die sowieso keiner mehr ernst nimmt, wird gleich automatisch entsorgt. Österreich kann dann auch ruhig weiter neutral bleiben, weil es als dann als Staat sowieso nicht mehr existiert.

Überhaupt der Westbalkan ist ja großteils sowieso nicht Europa, weil Europa ist ja nur die EU. Da kann man sich auch entsprechend aufführen und den europäischen Gedanken so richtig ausleben. Blöd nur, daß der in Wirklichkeit ein westeuropäischer, ein christlicher, genauer: katholisch-protestantischer ist. Der Balkan, das ist doch die Gegend, wo man Flüchtlingsrouten schließen muß — ja, diese Länder kann man natürlich noch nicht in die EU und vor allem in Schengen aufnehmen, weil: Wie schließt man denn sonst die Route, wenns überall Reisefreiheit gibt? Aber als Spielwiese für EU-Politiker taugt das allemal, und Österreicher natürlich immer flott dabei im ehemaligen Hinterhof der Habsburgermonarchie, wenn zum Beispiel Sebastian Kurz in Mazedonien im Wahlkampf mitmischt oder Hannes Swoboda als Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten ausgerechnet Hashim Thaci den Friedensnobelpreis umhängen will.

Das Positive

Okay, nein, ich versuch mich jetzt zu beruhigen. Bleiben wir sachlich. Gut, also drittens! Jetzt kommt das Positive: Die Überwindung des Nationalismus, die Vereinigung der europäischen Völker. Ja, das ist schon erfreulich! Früher haben sich österreichische Freiheitliche und italienische Neofaschisten immer nur gezankt, weil sie sich nicht über die Südtirolfrage einigen konnten. Heute sind die Herren Strache und Salvini beste Freunde. Und Salvini kann sich heute mit einem Leiberl präsentieren, auf dem draufsteht, daß für ihn der rechtslastige Bayer Ratzinger immer noch Papst sei. Strache kann ohne Bedenken den “Wahren Finnen” zum Wahlerfolg gratulieren und ist gut Freund mit allen slawischen Politikern, die das christliche Abendland verteidigen. Und natürlich selbst die ärgsten ungarischen Faschisten, wie zum Beispiel jene Partei, die sich von der Jobbik abgespalten hat, weil ihr diese zu links geworden sei, ja, selbst die hat in der großen europäischen Familie der Rechtsaußenparteien heute ihren Platz und wird von FPÖ-nahen Medien wie unzensuriert.at und Wochenblick gefeiert. Sogar Le Pen und AfD haben die jahrhundertelange Feindschaft zwischen Deutschen und Franzosen begraben. Alles vergeben und vergessen! Das hat nur die Europäische Union geschafft! Endlich eine geeinte europäische extreme Rechte, das ist doch was! Das ist doch ein Argument für die “Nation Europa”, oder? Ja, okay, “Nation Europa” klingt vielleicht nicht so gut, das war eine Losung von alten und neuen Nazis in den 1970ern, aber was solls?

Oder wie Viktor Orban in einer EU-Wahlkampfrede am 5.April meinte: “Wir stimmen darüber ab, ob Europa das Europa der Europäer bleiben soll, oder sollen wir den Platz aus einer anderen Kultur, aus einer anderen Zivilisation ankommenden Massen übergeben. ‘Bevölkerungsaustausch’, sagen die Franzosen. Wir entscheiden darüber, ob wir unsere christliche, unsere europäische Kultur verteidigen oder das Terrain dem Multikulturalismus übergeben sollen.” Proeuropäischer gehts wirklich nimmer! Und die Identitären werden sich freuen, daß auch christdemokratische Politiker schon ihr Vokabular verwenden.

Demokratisches Imperium

Ja, ich bin polemisch! Aber besser polemisch als naiv. Wenn ich mir diese Vorstellungen von einer Demokratisierung der EU anhöre, steigen mir einfach die Grausbirn auf. Liebe Bobolinke, liebe Grüne, was genau habt ihr an “small is beautiful” nicht verstanden? Oder habt ihr Leopold Kohrs Ideen schon vergessen? Je größer eine solche Verwaltungseinheit ist, desto weniger Einflußnahme durch den sogenannten Souverän ist möglich. Der Staat als solcher ist ein Ordnungs- und damit Repressionsmechanismus. Will man ihn unter demokratischer Kontrolle halten, so darf er nicht zum Imperium werden. Nein, ein solcher staatlicher Moloch ist auch kein geeignetes Mittel, um multinationalen Konzernen etwas entgegenzusetzen, denn gerade die Aufhebung der Grenzen für das Kapital hat es erst möglich werden lassen, daß solche Konzerne überhaupt existieren. Genau deswegen wird es auch keine “Soziale Republik Europa” geben, von der der Herr Kogler träumt. Genau deswegen hat auch die gemeinsame Währung nichts Gutes gebracht — siehe Griechenland.

Sind mir die Nationalstaaten lieber? Nein, natürlich nicht! Denn auch Deutschland oder Frankreich für sich genommen sind schon zu groß. Und was die Alpenrepublik angeht: “Nein zur EU, weil Österreich ist schlimm genug” — das hab ich 1994 zur Volksabstimmung geschrieben und es stimmt immer noch.

Was fehlt

Was wir brauchen, ist ein solider Internationalismus von unten in einer Welt kleinräumiger Verwaltungseinheiten, wo sich deren Regierungen vor dem Volk fürchten müssen statt umgekehrt. Und keine Festung Europa. Dann klappt auch das mit den Menschenrechten.

Bernhard Redl

Erstveröffentlichung in: AKIN - http://akin.mediaweb.at/
(April 2019)