Hilfe vor Ort ist nicht genug, Österreich muss an europäischer Rettungsaktion mitwirken! Ein Gastbeitrag von Karin Hartl und Reiner Steinweg (Mitglieder der Friedensinitiative der Stadt Linz).

Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria vor vier Monaten wurden die Menschen ins Ersatzlager Kara Tepe verlegt. Sie hausen dort in Sommer-Zelten, die bei eisigen Temperaturen im braunen Matsch stehen, jeweils zwei Familien in einem Zelt. Es gibt noch immer fast keine Sanitäranlagen, und das bei rund 7.500 Flüchtlingen, von denen rund 3000 Kinder und Jugendliche sind, sowie zahlreiche Menschen über 60 Jahre. Dieses Elend muss ein Ende haben, und zwar schnell! Immer mehr Menschen fordern die Aufnahme von schutzbedürftigen Familien in Österreich – u.a. der Bundespräsident, der Wiener Bürgermeister, alle großen Hilfsorganisationen und die führenden Persönlichkeiten der Katholischen und Evangelischen Kirche. Die Friedensinitiative der Stadt Linz richtete einen ausführlichen Appell an die Bundesregierung. 

Die Situation im Lager ist menschenunwürdig und menschenrechtswidrig: Es steht an der stürmischsten Stelle der Insel Lesbos, durch Regen bei starker Kälte stehen die Zelte weitgehend im Wasser, der Wind schlägt sie zusammen. Die Kinder müssen in unbeheizten, nassen Zelten schlafen, an Babys nagen die Ratten. Es gibt zu wenig Regenbekleidung und Schirme. Daher kommen die Kinder nur noch mit nasser Wäsche ins "Bett", wenn sie ihre Notdurft im Freien verrichtet haben. Das führt zunehmend zu Hautkrankheiten, für die es im Lager keine Medikamente gibt. Es gibt keine warmen Mahlzeiten. Nicht wenige Kinder denken inzwischen an Selbstmord. Die Frauen essen und trinken ab Mittag nichts, um nächtens nicht auf die „Toilette" zu müssen.

Am 23.12. wandte sich ein Großteil der Flüchtlinge in einem "Weihnachtsbrief" an die europäische Öffentlichkeit. Darin übten sie harsche Kritik an der EU und an den verheerenden Zuständen im Lager. Sie forderten weitere Hilfe und ein Mitbestimmungsrecht, wie es im abgebrannten Lager galt. Das Schreiben wurde an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen übergeben und bei der Hilfsorganisation medico international veröffentlicht.

Alle großen österreichischen Hilfsorganisationen betonten in einer gemeinsamen Presseaussendung, dass Hilfe vor Ort zu wenig ist, minderjährige Jugendliche, Familien mit Kleinkindern und andere besonders schutzbedürftige Personen müssten in ganz Europa aufgenommen werden, so auch in Österreich. Es gäbe hier Platz und Ressourcen dafür. Zwölf europäische Länder beteiligen sich bereits an dieser Rettungsaktion, u.a. Deutschland, Luxemburg und die Schweiz. 

Bundespräsident Van der Bellen sagte in der Licht-ins-Dunkel-Weihnachtsfeier: "Ich finde, dort herrscht eine derartige Notsituation, die nach Erster Hilfe ruft." Er rief dazu auf, vor allem für Kinder jetzt ein Zeichen zu setzen, und erinnerte daran, dass diese dort im Dreck hausen, und dass die Zustände für Europa unwürdig seien.

Kardinal Schönborn sagte: "Das Schlimme ist, dass diese Menschen Teil eines politischen Spiels geworden sind." Er verstehe, dass sich die Politik schwertut, aber die Politik dürfe nicht das letzte Wort haben, sondern die Menschlichkeit.

Die Bundesregierung ist jedoch nach wie vor nicht zu einer Flüchtlingsaufnahme bereit, sondern lediglich zu einer weiteren Hilfe vor Ort. Außenminister Schallenberg verkündete in ZIB1 am 24. 12., dass es jetzt seitens der griechischen Regierung die Erlaubnis gibt für die Errichtung einer Tagesbetreuungsstätte für 500 der rund 3.000 Kinder (durch SOS-Kinderdorf). Bis zur Fertigstellung würden die Kinder mittels Bustransfer ins Lager Kara Tepe 1 gebracht, dort tagsüber betreut und danach wieder per Bus ins Lager zurückgebracht.

Dazu sagte der Evangelische Bischof Chalupka im ZIB1-Interview: "Das ist der Europäischen Union und auch Österreichs unwürdig. Wir haben Standards, wie man mit Kindern und Jugendlichen umgeht, die gelten für die ganze Europäische Union. D.h.: Evakuieren, und Österreich möge seinen Teil dazu beitragen und einige hundert Familien hier aufnehmen."

Österreichweit gab es Kundgebungen, Offene Briefe und viele Aktionen, wie z.B. regelmäßige Mahnwachen am Ballhausplatz oder das Lichtermeer am Linzer Pfarrplatz.  

Im Neuen Jahr ist es um das Thema leider still geworden.

Welche Handlungsmöglichkeiten gibt es derzeit?

Die Friedensintiative der Stadt Linz hat nach tagelangen Recherchen (mit Telefonaten bis ins Lager Kara Tepe) am 18. Dezember einen Appell an die Bundesregierung gesendet: "Wir bitten Sie inständig, handeln Sie!" Die Bundesregierung möge sich bei der griechischen Regierung dafür einsetzen, dass das Lager sofort geräumt wird und die Menschen u.a. in den vielen leerstehenden Hotels auf der Insel untergebracht werden, sowie in 30 - 40 leerstehenden Containern in einem leeren Lager in der Nachbarschaft. Weiters solle die Bundesregierung Menschen, die bereits einen positiven Asylbescheid erhalten haben, die Einreise nach Österreich ermöglichen. Die Friedensstadt Linz sei in der Lage und bereit, eine größere Anzahl an Flüchtlingen aufzunehmen. In dem Appell heißt es weiters: "Wir bitten Sie inständig: Handeln Sie entsprechend den internationalen Menschenrechten, der Genfer Flüchtlingskonvention und im Sinne des Humanismus und Christentums."

Die Friedensinitiative der Stadt Linz ist ein ehrenamtliches Personenkomitee, zusammengesetzt aus engagierten Menschen, die teilweise auch in NGO´s (z.B. SOS-Mitmensch, Pax Christi, Land der Menschen, Amnesty International, Friedensakademie Linz) und Institutionen aktiv sind. Sie suchen nun Menschen, die bei ihrem Appell nachhaken, indem sie per e-mail an den Bundeskanzler und den Vizekanzler schreiben: "Ich unterstütze den Appell der Friedensinitiative der Stadt Linz vom 18. 12.2020" (ev. mit kurzem Beitext). Je mehr Leute sich da melden, um so größer wird der Druck! (Adresse Kanzer: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! ; Vizekanzler: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Der ganze Appell ist nachzulesen unter: www.findglocal.com/AT/Linz/160075287350476/Friedensstadt-Linz

Außerdem gibt es die Online-Petitionen von Doro Blancke, die selbst im Lager hilft, und von "Omas gegen rechts": Omas gegen Rechts für Menschen in Not: Rettet die Menschen vor den Ratten und der Kälte! | mein #aufstehn

Neueste Meldung im Radio-Ö1-Morgenjournal vom 20.1.2021:

Im Interview berichtete die Mitarbeiterin von SOS-Kinderdorf, dass es hinsichtlich des Baus der Tagesbetreuungsstätte täglich neue Nachrichten aus Griechenland gäbe und sich alles verzögere, und dass sie noch keinen konkreten Startbeginn nennen könne, dass sie aber optimistisch sei. Sie betonte aber, dass SOS-Kinderdorf mit diesem Engagement auf keinen Fall die Zustände im Lager legitimieren wolle. Sie habe immer wieder darauf hingewiesen, dass es menschenunwürdig und auf jeden Fall kinderrechtswidrig sei, was dort passiert.

Die Grazer Aktivistin Doro Blancke pocht seit Monaten darauf, dass das Lager evakuiert werden muss. Im Morgenjournal-Interview sagte sie, es habe in den letzten Tagen auch auf Lesbos geschneit, die Menschen frieren und liegen quasi auf nacktem Untergrund. Sie verteile pausenlos Decken. Mit der geplanten Kinderbetreuungsstätte würde SOS-Kinderdorf zwar versuchen, die Situation für die Kinder erträglicher zu machen, die richtige politische Entscheidung sei das aber nicht.

Karin Hartl und Reiner Steinweg,
Mitglieder der Friedensinitiative der Stadt Linz

Aktueller Hinweis auf eine weitere wichtige Initiative:
30./31.1.2021: Wochenende für Moria
https://www.facebook.com/events/443047453503110/