ImageAls im Jahr 2000 das klinisch ausgerichtete Advanced Nursing Practice Master-Programm an der Universität Basel startete, war der Begriff „Advanced Nursing Practice“ den meisten unbekannt.

 

 

So könnte man die Situation heute in Österreich bezeichnen. Zwar mag es Bereiche geben, in denen der Begriff „Advanced Nursing Practice“ (im fortlaufenden Text mit ANP abgekürzt) bereits bekannter ist. Doch im Bereich der extramuralen bzw. ambulanten Pflege ist der Begriff weithin unbekannt und wenn, dann bestimmt nicht im internationalen Kontext gebraucht.

Die Faktenlage für Österreich ist mit aussagekräftigen Studien derzeit nicht belegbar, da es zu diesem Thema laut Aussage namhafter Pflegeexperten kaum Studien gibt.

Gründe und Vorüberlegungen für ANP

ANP wurde in den USA bereits 1965 eingeführt. Interessant sind die Gründe, die dazu geführt haben. In den USA gab es zu jener Zeit zu wenige Kinderärzte für zu viele Kinder (Baby-Boom in den Jahren 1946-1964). Aus dieser Notlage heraus entwickelte sich die erste ANP-Rolle als „ pediatric nurse practicioner.“ 2003 wurde ANP beispielsweise in Südkorea eingeführt und zwar aus Gründen der demografischen Entwicklung. Außerdem sah sich das südkoreanische Gesundheitssystem damals ebenso mit explodierenden Kosten und einer alternden Gesellschaft konfrontiert wie heute das österreichische.

Diese Gründe sind sehr naheliegend, um ANP unter den entsprechenden Strukturen, die erst geschaffen werden müssen, flächendeckend in Österreich einzuführen. Doch vor der Implementierung von ANP wurden in Südkorea folgende Vorüberlegungen angestellt: Die Rolle und Verantwortung von ANP musste zuerst definiert werden sowie die Standards und auch die Entgeltung dieser hochqualifizierten Arbeitskräfte. Man passte die Infrastruktur und Gesetzeslage an der Einführung von ANP an.

Diese Vorüberlegungen müssen bei Einführung von ANP als Höherqualifizierung für Beschäftigte im Gesundheitswesen in jedem Land geführt werden. Der nationale Kontext ist naturgemäß zu berücksichtigen, sollte jedoch nicht aus Rücksicht auf die Tradition zu einem unüberwindlichen Hindernis werden. Aus der internationalen Praxis ist bekannt, dass Stakeholder, die die Vorraussetzungen für eine erweiterte Pflegepraxis in Ländern außerhalb der USA prüfen, oft frustriert werden, wenn sie einschätzen wollen, ob sich US-amerikanische Merkmale und Konzepte auf Settings mit einem ganz anderen Tätigkeitsfeld, völlig anderen Arbeitsbedingungen und einem anderen Gesundheitssystem übertragen lassen.

Advanced Nursing Practice – internationale Möglichkeiten und die Lage in Österreich

Trotz dieser Einschränkungen hat sich ANP international entwickelt. Sehr fortgeschritten sind dabei der angloamerikanische und westpazifische Raum, einige asiatische Staaten (Macau, Hongkong, Singapur, Taiwan, Japan) sowie einzelne europäische Staaten. Die langsame Entwicklung der ANP-Rolle in Europa wird in der internationalen Fachliteratur zuweilen kritisiert. Während man in den USA bereits über DNP (Doctor of Nursing Practice) nachdenkt, werden in Europa zunächst Bemühungen unternommen, internationale Partnerschaften für Advanced Nursing Practice zu etablieren, wie dies 2009 in London geschehen ist. Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten in den Gesundheitssystemen geht es unter anderem auch darum, die interkulturellen Kompetenzen von ANP zu erweitern und globale Blickwinkel in Leadership und Forschung einzunehmen. Gerade bezüglich der zunehmenden Migration werden Aspekte wie Interkulturalität und die Impacts auf das Gesundheitswesen bzw. auch auf die Langzeitpflege im Hinblick auf die alternde „Gastarbeitergeneration“ (beginnend mit den 1960er Jahren) Themen, um die sich ANP annehmen muss.

Zwar werden auch in Österreich zunehmend Anstrengungen unternommen, ANP flächendeckend zu installieren. In Wien gibt es seit 2008 die Möglichkeit, am FH-Campus ANP als Master-Lehrgang zu absolvieren. Im September 2013 startete ein  weiterer zertifizierter Master-Lehrgang auf der Donauuniversität Krems. Da es in Österreich noch keine einheitlichen Kriterien über die Master-Lehrgänge gibt und sich dies teilweise auch in der Qualität der Unterrichtsinhalte bemerkbar macht, wird an der Implementierung von internationalen Standards noch gearbeitet. Trotzdem ist gewiss, dass an der Höherqualifizierung von Gesundheitspersonal auch in Österreich kein Weg vorbei führt. Laut Expertenaussage soll es ab 2013 nur noch mit Matura möglich sein, eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenschwester zu machen, da es dafür eine EU-Vorgabe gibt. Nur in Deutschland, Österreich und Luxemburg konnte bis dato die Ausbildung mit zehn Schulstufen absolviert werden. Hinkünftig wird die Matura als Zugangsvoraussetzung gelten.

Allgemeine Ausbildungsbedingungen in Österreich

Bis dato erfolgt die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenschwester nach zehn Schulstufen. Nach bestandenem Aufnahmetest durchläuft man die dreijährige Ausbildung, die neben einer 40-Stunden Woche zahlreiche Prüfungen beinhaltet. Man entscheidet sich bereits vor der Ausbildung für die Spezialisierung im Bereich Kinder- bzw. Säuglingspflege, Psychiatrie oder allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege. Parallel gibt es dazu bereits die Ausbildung an den Fachhochschulen, für die die Matura Voraussetzung ist, die mit einem Bachelor abschließt und eine weiterführende Ausbildung wie z.B. einen spezialisierten Masterlehrgang ermöglicht. Derzeit haben auch Abgänger mit allgemeinem Diplom trotz zehn Schulstufen, drei Jahren Berufspraxis und einer Studienberechtigungsprüfung die Möglichkeit, einen Masterlehrgang zu absolvieren.

Nach Beendigung der Diplomausbildung (oder auch des Bachelors) hat man die Möglichkeit, entweder im stationären Bereich der zahlreichen Akutkrankenhäuser, im Rehabilitationsbereich, in der Langzeitpflege oder in der Hauskrankenpflege zu arbeiten

Extramurale Pflege

Extramurale Pflege ist in Wien unter ausgebildeten Krankenschwestern ein ungern angestrebter Bereich. Die Ausbildung an den Schulen, die in der Regel Spitälern zugeordnet sind, um den dort notwendigen Personalbedarf zu decken, ist in der Regel nicht für die extramurale Pflege ausgerichtet. Zwar sollte ein Teil der Ausbildung im extramuralen Bereich absolviert werden, doch oft verbringt man diesen Praktikumsteil in Tageszentren, die mit extramuraler Pflege wenig zu tun haben.

Extramurale Pflege ist die Pflege außerhalb des stationären Bereichs und findet in der Regel in der eigenen Wohnung des Klienten/der Klientin statt. Die in Wien vorherrschenden hygienischen Bedingungen, der Mangel an vorhandenen Pflegematerialien, die nicht zeitgemäßen Wohnverhältnisse, die Verantwortung, die man als Pflegekraft letztlich alleine hat, all das sind Bedingungen, vor denen viele zurückschrecken, weswegen es in diesem Bereich ständigen Personalmangel gibt.

Aufgrund einer fehlenden flächendeckenden Homogenisierung weist die Hauskrankenpflege spezielle Eigenheiten auf. Im ambulanten Bereich gibt es Österreich weit regional große Unterschiede, was eine einheitliche Umsetzung jeglicher bundesweiter Neuerungen erschwert. Ein großer Nachteil ist, dass Pflegepersonal, je nach Anstellungsverhältnis, dem Fachbereich Gesundheit (Krankenhäuser) oder Soziales (Langzeitpflege stationär und ambulant) zugeordnet ist. Dies erschwert unter anderem konzertierte Bemühungen von Seiten des Pflegepersonals um eine verstärkte Anerkennung der erbrachten Leistungen.

In diesem Dschungel von Unstruktur, Unzulänglichkeiten, diversesten Zuständigkeiten, Kostendruck, unterschiedlichen Finanzierungsgebahrungen,  mangelndem Durchblick von Verantwortlichen und Planlosigkeit von Entscheidungsträgern (hierbei wird bewusst die männliche Form gebraucht) wäre ANP höchst notwendig, um den zukünftigen Herausforderungen im Gesundheits- und Pflegebereich gewachsen zu sein. ANPs spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, in das nationale Gesundheitssystem integriert zu werden, um die Gesundheitspolitik und deren Prioritäten mitzubestimmen sowie vorhandene Ressourcen zu schaffen.

Derzeit finden 80% der Pflege in der eigenen Wohnung statt. In der Regel werden Pflegebedürftige von Frauen gepflegt, was sich mit der zunehmenden Berufstätigkeit  von Frauen auch ändert. Etabliert hat sich die 24h-Pflege, mit der billige osteuropäische Arbeitskräfte (die unter anderem durch EU finanzierte Arbeitsmarktprojekte in den Herkunftsländern) die Pflege von Menschen durchführen, die mit konventioneller Hauskrankenpflege auch nicht mehr abgedeckt werden kann und für viele Betroffene eine Alternative für den Pflegeheimaufenthalt ist. Allerdings muss auch das für Betroffene/Angehörige leistbar sein (finanziell und ausstattungsmäßig in Form von ausreichend großem  Wohnraum).

Für diese 80% müssen erst Strukturen geschaffen werden, innerhalb derer qualitätsvolle Pflege möglich ist. Die derzeitige Pflegestruktur ist größtenteils auf den stationären/akuten Bereich ausgerichtet und selbst im Ausbildungscurriculum des Master-Lehrgangs für ANP ist die extramurale Pflege bislang kein Thema. Wissenschaftliche Studien zu dieser Thematik gibt es in Österreich wenig, da den wenigsten Fachleuten, die Wissenschaft betreiben, die Situation bekannt ist, der fachliche Kontext fehlt, Bildungskontext der Pflegekräfte oder die sprachlichen Gegebenheiten nicht vorhanden sind. In der extramuralen Pflege sind zu einem überwiegenden Anteil MigrantInnen beschäftigt, weil es zu wenige österreichische Fachkräfte gibt, die in diesem Bereich aufgrund der harten Arbeitsbedingungen und der vergleichsweise geringen Entlohnung (12€/Stunde als Diplomierte Krankenschwester) arbeiten.

Extramurale Pflege in Wien

Wien hat aufgrund der Bevölkerungsstruktur und des in Österreich vorherrschenden Föderalismus spezielle Rahmenbedingungen in der Organisation der Pflege. Die Strukturen der Hauskrankenpflege sind in jedem Bundesland unterschiedlich, wobei Vorarlberg durch seine Nähe zur Schweiz noch am weitesten fortgeschritten (im Sinne von ANP)  ist.

Ein kurz vorgestelltes Beispiel soll die komplizierte Struktur aufzeigen, unter denen diplomierte Pflegekräfte arbeiten.

Abgesehen von den bereits genannten Faktoren sind es vor allem strukturelle Gegebenheiten, die für den ständigen Personalmangel sorgen, der aufgrund der unzulänglichen Arbeitsbedingungen wiederum zu Personalmangel führt.

In Wien gibt es den Dachverband der Wiener Sozialeinrichtungen, unter dem der FSW (Fonds Soziales Wien) agiert. Vom FSW werden sämtliche Krankenhausentlassungen zentral bearbeitet, sodass es zu keinen Versorgungslücken kommt. CasemanagerInnen, nehmen die „Fälle“ auf, erheben den Pflegebedarf und geben diese an die ca. 27 in Wien bestehenden Vereine weiter, die ebenfalls wieder eine/n CaremanagerIn mit dem Fall betrauen, um eine Ersterhebung durchzuführen. Für all die bisher vorgestellten Schritte wird diplomiertes Pflegepersonal eingestellt. Medizinische Hauskrankenpflege wiederum darf nur von diplomiertem Pflegepersonal ausgeführt werden und fällt kostentechnisch in eine andere Leistungsabrechnung, weswegen diese nicht von allen Vereinen angeboten werden kann, die nicht einen speziellen Vertrag mit der entsprechenden Kostenabrechnungsstelle haben. Außerdem verfügen die einzelnen Vereine nicht immer über ausreichend qualifiziertes Personal, um medizinische Hauskrankenpflege (in diese fällt beispielsweise die Wundversorgung) anbieten zu können.

Für diplomiertes Personal in den Vereinen bedeutet dies folgendes: Kommt es nun zu einem Hausbesuch durch einen  Verein, wo es um die Körperpflege einer Person geht, die gleichzeitig auch Diabetikerin ist und einen Ulcus cruris hat, so darf die diplomierte Pflegefachkraft zwar die Körperpflege ausführen und auch noch Insulin verabreichen. Zur Versorgung der Wunde kommt jedoch eine diplomierte Pflegefachkraft des FSW, denn dieser behält sich Tätigkeiten vor, die unter medizinische Hauskrankenpflege fallen.

Diese Doppelgleisigkeiten führen dazu, dass diplomierte Pflegekräfte nicht lange in einem der ca. 27 Vereine verbleiben, weil unter solchen Strukturen schwer zu arbeiten ist. Wie unter solchen Bedingungen ANP einzusetzen ist, bleibt eine Frage, mit der sich eigentlich MinisterInnen beschäftigen sollten. Im Gegensatz zu Südkorea verfügt Österreich nicht über eine historische Besetzung von Gesundheits– bzw. SozialministerInnen, die in zwei Fällen „nurses by background“ waren.

Zum Thema "Ambulante Versorgungszentren" steht im Bericht des Rechnungshofes 2010: „Ein vom Gesundheitsressort 2007 entwickeltes und akkordiertes Modell für neue Versorgungsstrukturen im ambulanten Bereich wurde nicht realisiert. Die Entwicklung von bedarfs- und patientenorientierten Versorgungsstrukturen im ambulanten Bereich wurde verhindert.“ (Lösungsvorschläge Gesundheit, S.6, 2010)

Implementierung von Advanced Nursing Practice in Österreich

Derzeit ist ANP ein Lehrgang auf diversen Fachhochschulen. Laut Aussage eines Vertreters des Gesundheitsministeriums gibt es keinen Plan über die zukünftige Verwendung von Personen, die eine solche Ausbildung abgeschlossen haben. Personen mit der Bachelor-Ausbildung werden finanziell gleich bezahlt wie jene mit der dreijährigen Diplomausbildung. Da es noch keine entsprechenden Arbeitsstellen für die auf Master-Niveau ausgebildeten ANPs gibt, wird der Bildungsabschluss auch noch nicht entlohnt. Formale andere Bildungsabschlusse, selbst wenn diese auf akademischem Niveau sind, werden im BAGS-KV auch nicht anerkannt.

In der österreichischen Pflegelandschaft wird Bildung immer noch als Bedrohung angesehen. Selbst Lehrende an Krankenschwesterschulen verfügen bis heute oft nicht über einen tertiären Bildungsabschluss und fühlen sich von Personen, die als SchülerIn über einen solchen verfügen, bedroht. Advanced Nursing Practice wurde in der Ausbildung von 2007-2010 kein einziges Mal erwähnt, insgesamt gab es zwei Lehrkräfte mit tertiärem Bildungsabschluss.

Im Frühjahr 2013 fand in Linz ein ANP-Pflegekongress statt. Die dort lehrende Mag. Dr. Silvia Neumann-Ponesch bestätigte in einem telefonischen Interview, dass es in Österreich zu diesem Thema kaum Forschungsarbeiten gibt, weil die Krankenpflege als eigenständige Profession noch zu wenig Stellenwert hat.

Das liegt zum einen an den Pflegekräften selbst, am zu geringen Bildungsniveau der Pflegekräfte, an einer geografischen und ökonomischen Schieflage (Ost-West-Gefälle), an der mangelnden politischen Organisation (in Österreich gibt es keine Pflegekammer oder ähnlich geartete politische Organisation zur Wahrung bzw. Durchsetzung von Interessen). Gewerkschaftlich ist die Pflege in Wien in vier unterschiedliche Teilgewerkschaften aufgespalten, die ihrerseits wieder unterschiedliche Interessen haben.

Andererseits gibt es von den politisch Verantwortlichen aus ökonomischen Gründen wenig Interesse, der Pflege mehr Beachtung zu schenken. Dem muss die Pflege jedoch angesichts des demografischen Wandels und aufgrund der internationalen Gegebenheiten etwas entgegensetzen. ANP ist die Antwort dafür.

Um all diese Problemzonen fundiert zu bearbeiten, braucht es gut ausgebildete Pflegekräfte in den Führungspositionen von Gesundheits- sowie Pflegedienstleistern wie auch in der Lehre.

Diese sollten jedoch nicht nur vereinzelt als „netzlose Satelliten“ agieren, sondern ANPs müssen selbst aktive Lobbyarbeit leisten, ihre Rolle innerhalb des Gesundheitssystems bekannt machen sowie Strategien etablieren und verlässliche, auf Dauer angelegte Arbeitsbeziehungen mit gesundheitspolitischen Entscheidungsträgern herstellen.

Ausblick

Deswegen ist die Implementierung von ANP in Österreich ein größerer Schritt, der nur in wohlwollender multidisziplinärer Zusammenarbeit gut gehen kann. Dazu bedarf es einer gemeinsamen Anstrengung vieler Schaltstellen, um zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen. Die Gründe zur Einführung von ANP sind dieselben, die auch in anderen Staaten erfolgreich zur Implementierung geführt haben (Beispiel Südkorea).

Dass ANP nun ein Thema ist, zeigt die Einführung von Masterlehrgängen, wie sie international seit Jahren Standard sind. Ein Wermutstropfen, dass ein Masterlehrgang (Kosten zwischen 8000-10.000€) mit einem Einkommen aus der Pflege kaum finanziert werden kann.