Felicia Langer kämpfte, zuerst in Israel und später von Deutschland aus, für die Durchsetzung des Völkerrechts, aus dem sich Israel heraushielt. Von Gideon Levy (in: Haaretz, 24.6.2018)
Ich habe sie nie getroffen, sie nur zwei- oder dreimal in ihrem Exil in Deutschland angerufen, aber ich erinnere mich gut, was sie für mich gewesen ist und für die meisten meiner Generation in unserer gehirngewaschenen Jugend: ein Symbol des Hasses auf Israel, eine öffentliche Feindin, eine beschimpfte, ausgestoßene Verräterin. Sie so zu betrachten – und mit ihr einige andere frühe Dissidenten - hat man uns gelehrt und wir haben nicht nachgefragt und uns darum auch nicht gekümmert. Jetzt, mit 87, ist sie im Exil gestorben; vor meinen Augen steht ihr Bild über die Distanz von Zeit und Raum. Felicia Langer, die in Deutschland am vergangenen Donnerstag starb, war eine Heldin, eine Pionierin und eine Frau mit starkem Gewissen. Sie und einige ihrer Verbündeten haben hier (in Israel) nie die Anerkennung erfahren, die sie verdient hätte – und es ist nicht klar, ob sie sie jemals erhalten wird.
An einem Ort, wo „alumni“ einer mörderischen jüdischen Terrororganisation begrüßt werden – einer Herausgeber einer Zeitung, einer Experte für religiöses Recht – und wo sich selbst erklärende Rassisten als legitime Teilnehmer in der Arena der öffentlichen Debatte wie nirgends sonst akzeptiert werden, ist kein Platz für mutige Kämpfer für Gerechtigkeit, die einen hohen persönlichen Preis für den Versuch bezahlten, einen Kampf zu führen, der niemals gekämpft wurde. Langer war Holocaust-Überlebende aus Polen, die an der Hebräischen Universität von Jerusalem Recht studierte. Nach der Besetzung war sie die erste, die eine Kanzlei für die Verteidigung ihrer palästinensischen Opfer öffnete. Darin folgte sie einer illustren Tradition von Juden, die für Gerechtigkeit in Südafrika, Lateinamerika, Europa und den Vereinigten Staaten kämpften.
Hier brachte sie ihr Gerechtigkeitssinn mit dem Staat in Konflikt. Gelegentlich hat sie gesiegt.1979, als Erfolg ihrer Petition blockierte das Höchstgericht einen Vertreibungsbefehl für den Bürgermeister von Nablus, Bassam Shakaa. Ein Jahr später befestigte der jüdische Untergrund eine Bombe an seinem Auto, durch die seine Beine zerstört wurden, und die israelische Rechtsprechung kam ans Licht.
Langer war eine Pionierin unter den israelischen Rechtsanwälten mit Gewissen, die sich mit der Verteidigung der Rechte der besetzten Bevölkerung profilierte, aber sie war auch die erste, die das Handtuch warf und 1990 ihre Kanzlei schloss und ins Exil ging. In einem Interview 2012 mit dem Dokumentarfilmer Eran Torbiner erklärte sie: „Ich verließ Israel, weil ich den palästinensischen Opfern unter dem existierenden Rechtssystem und der Missachtung des Völkerrechts, das die Menschen, die ich zu verteidigen hatte, schützen sollte, nicht helfen konnte. Ich konnte nicht handeln. Ich stand einer hoffnungslosen Situation gegenüber“. Sie sagte der Washington Post: „Ich konnte kein Feigenblatt mehr sein für dieses System“.
Sie sagte, dass sie die Fronten nicht wechseln könne, nur ihren Platz an der Front, aber die Front sei zurzeit auf ihrem Tiefpunkt. Die Okkupation ist verhärtet wie nie zuvor, und nahezu alle ihre Verbrechen wurden legitimiert.
Langer kam zu dem Schluss, dass die Dinge hoffnungslos wären. Offensichtlich hatte sie recht. Der Kampf an den Militärgerichten war verurteilt fehlzuschlagen. Es gab keine Aussicht auf Erfolg, weil die Militärgerichte nur den Gesetzen der Okkupation unterworfen waren und nicht den Gesetzen des Rechtes. Die Verfahren enthielten nichts als leere und fälschliche Rechtsrituale.
Selbst das Zivilrechtssystem mit seinem berühmten Obersten Gerichtshof stand nie auf der Seite der Opfer und gegen die Verbrechen der Okkupation. Hier und dort wurde Erleichterung verfügt, hier und dort wurden Aktionen verschoben. Aber in den Annalen der Okkupation erinnert man sich an Israels Obersten Gerichtshof als die primäre Legitimierung der Okkupation und als gemeinen Kollaborateur des Militärs. Bei einer solchen Sachlage gab es für Langer wirklich nichts zu tun. Das ist die einzigartig deprimierende Sachlage.
Wogegen sollte diese mutige und tapfere Frau kämpfen? Gegen Folter durch den Shin Bet Sicherheitsdienst, in einer Zeit, als wir glaubten, dass es eine solche Folter überhaupt nicht gäbe, noch, dass diese sich auf dem Höhepunkt ihrer Grausamkeit befände. Sie kämpfte gegen die Vertreibung von politischen Aktivisten, gegen unrechte Arretierung, gegen Haus-zerstörungen. Und über allem kämpfte sie für das Inkrafttreten des Völkerrechts, das nach Israels Entscheidung aus unglaublichen Gründen für sich selbst nicht gilt. Das war es, wofür sie kämpfte und warum sie als öffentliche Feindin betrachtet wurde.
In ihrem hohen Alter meinte ihr Enkel, dass zuletzt die Palästinenser gewinnen und ihren eigenen Staat erhalten würden. „Du wirst es nicht sehen, aber ich werde,“ versprach er seiner Großmutter. Zuletzt wird der Enkel ebenso enttäuscht werden, wie seine hochgeachtete Großmutter es war.
Übersetzung: Gerhilde Merz