SOMM - SelbstOrganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen wurde 2008 in Graz von Migrantinnen, geflüchteten und muslimischen Frauen gegründet, um einerseits eine Stimme für muslimische Frauen gegen Diskriminierung und Rassismus und für Partizipation zu erheben und andererseits ganz konkret Lücken in Gesundheits-, Sozial- und Bildungssystem für Migrantinnen zu schließen. In einem Offenen Brief antwortet SOMM ÖVP-Stadtrat Kurt Hohensinner (ÖVP), der die Förderungen für SOMM streichen ließ, ohne sich einer Debatte zu stellen.
Sehr geehrter Herr Hohensinner!
Werte interessierte Freund*innen von SOMM, Kooperationspartner*innen und interessierte Öffentlichkeit!
In der Steirerkrone vom 24.09.2020 werden Sie mit den Worten zitiert: „Wir haben eine klare Vorstellung wie Integration funktionieren soll. Der Verein kann uns dabei nicht unterstützen, die Subventionen wurden daher vor einigen Jahren gestoppt.“ Gemeint ist damit unsere Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen, kurz Verein SOMM. Dieses Statement wollen wir nicht unwidersprochen lassen.
Unsere Selbstorganisation bekam über Jahre hinweg € 20.000.- Subvention vom Integrationsreferat der Stadt Graz – bis Sie das Amt des Integrationsstadtrates übernommen haben. In dieser Funktion veranlassten Sie den Förderstopp für SOMM. Seit 2015 forderten wir Sie regelmäßig dazu auf, uns die Gründe zu nennen, was Sie tunlichst vermieden. Nachdem Sie uns im Juli 2019 auch noch die Nutzung der Räume entzogen, in denen SOMM zuletzt ihre Arbeit mit Migrantinnen mehr als erfolgreich umsetzte, forderten wir Sie erneut dazu auf, uns die Gründe zu nennen und pochten auf einen Dialog. Sie verweigerten uns diesen. Der Frauenrat und der Menschenrechtsbeirat der Stadt Graz intervenierten mit dem Vorschlag eines Runden Tisches vergeblich bei Ihnen. Sie blieben ohne Angaben von Gründen und ohne ein Gespräch mit uns betroffenen Frauen bei Ihrer Entscheidung, SOMM keine städtischen Räumlichkeiten mehr nutzen zu lassen.
Nun durften wir Ihre Beweggründe erfahren, zwar nicht in einem persönlichen Gespräch, sondern über die Medien ausgerichtet, aber immerhin eine Antwort. Und Sie sprechen Klartext: Wer nicht Ihre Ansichten von Integration teilt, soll auch nicht am Fördertopf Anteil haben und keinen Platz in dieser Stadt haben. Mit dem „Wir“ (haben eine klare Vorstellung wie Integration funktionieren soll) sind wohl Sie und Ihre Parteigänger gemeint – was Sie damit weiters sagen: andere Vorstellungen und Konzepte von Integration müssen verhindert werden. Bereits im Vorjahr lernten wir Ihre autoritäre Vorgangsweise kennen, indem Sie voreingenommen und ohne uns Frauen anzuhören, unsere Selbstorganisation binnen drei Stunden aus dem städtischen Begegnungszentrum Vinzenz-Muchitsch-Haus rauswerfen ließen. Nun zeigen Sie abermals Ihren autoritären Kurs: In unserer pluralen und diversen Gesellschaft darf es laut Ihrer Denk- und Handlungsweise nur ein Konzept von Integration geben und da würde unsere Selbstorganisation nicht hineinpassen.
Doch wir und unsere Frauen wissen sehr gut, was SOMM alles für Inklusion und Partizipation seit 2007 geleistet hat. In unserem Verein waren seit 2008 insgesamt 62 Frauen angestellt und davon 53 Migrantinnen und geflüchtete Frauen, fast alle der ersten Generation, und darüber hinaus arbeiteten noch mehrere Frauen ehrenamtlich mit. Fast alle dieser Frauen konnten durch die beruflichen Erfahrungen bei SOMM, durch den Zugang zu Ausbildungen über SOMM und über die Netzwerke von SOMM mittlerweile am Arbeitsmarkt Fuß fassen. In einer Masterarbeit von 2016 über die Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musliminnen gaben alle Interviewpartnerinnen an, dass SOMM ihnen Türen in die Gesellschaft geöffnet hat. Sie schätzten sehr, dass sie bei SOMM arbeiten und gleichzeitig sich bilden konnten. Die Interviewpartnerinnen verwiesen darauf, dass sie bei SOMM einen sicheren Ort gefunden hätten, das erste Mal Verständnis und Wertschätzung in Österreich erfuhren, ihr Selbstbewusstsein stärkten und Perspektiven für ihr weiteres Leben entwickeln konnten. Durch dieses Empowerment fassten sie ebenfalls Mut, gegen Diskriminierung, Rassismus und Gewalt Widerstand zu leisten. Genau diese Widerständigkeit ist mutmaßlich herrschenden Integrationspolitikern wie Ihnen, Kurz, Raab & Co ein Dorn in Auge.
In diesen zwölf Jahren unterstützte SOMM hunderte Frauen und Mädchen auf verschiedenste Art und Weise. Migrantinnen und geflüchtete Frauen und Jugendliche absolvierten bei SOMM Basisbildungs- und Deutschkurse, Berufsorientierungskurse, Vorbereitungskurse für Gesundheits- und Sozialberufe, nahmen an gesundheitlichen Aufklärungs- und Antidiskriminierungsworkshops teil, stärkten ihre Elternkompetenzen und Widerstandskräfte gegen seelische Belastungen, erfuhren Lernhilfe für die Schule, und vieles, vieles mehr. Wir sind stolz auf unsere bewegte Geschichte, auf all die Frauen, die über SOMM ihre Handlungsmöglichkeiten erweitern und ihre Handlungsmacht stärken konnten. Wir sind stolz auf all die jungen Frauen, die von SOMM unterstützt wurden und mittlerweile einen Beruf erlernt haben bzw. an der Uni studieren, auf die Frauen, die bei uns lesen und schreiben gelernt haben und nun eine Berufsausbildung machen, auf die Frauen, die wissen, wohin sie gehen müssen, wenn sie Gewalt oder Diskriminierung erfahren.
Wir wehren uns gegen Ihre Zuschreibungen, Herr Stadtrat Hohensinner, mit denen Sie unsere Arbeit schlechtreden wollen. Wer sich mit unserer Arbeit ernsthaft auseinandergesetzt hat, weiß um die gelungene Arbeit von SOMM Bescheid. Davon zeugen die vielen Projekte, die von EU, Bundesministerium und Land Steiermark finanziert wurden – auch ohne das Integrationsreferat der Stadt Graz. Interessant erscheint uns in diesem Zusammenhang jedoch, dass noch im Februar uns Herr Putzer aus dem Bürgermeisterbüro in einer E-mail an unsere Mediatorin vergewisserte, dass offenbar Herr Bürgermeister Nagl die Arbeit von SOMM – im Gegensatz zu Ihnen - positiv einschätzt, denn darin steht geschrieben: "Seitens der Stadt Graz wird die Arbeit von SOMM nicht in Frage gestellt".
Unsere gelungene Integrationsarbeit bestätigen uns ebenfalls unsere KooperationspartnerInnen, mit denen wir jahrelang zur gegenseitigen Zufriedenheit bestens zusammengearbeitet haben. Nicht zuletzt bekamen wir für unsere hervorragende Arbeit auch bereits Preise wie u.a. die Sozialmarie 2015 für das Projekt Rahma und den Vereinspreis des ÖIF 2014 für den Videoclip „Jetzt reden wir“, welchen jugendliche Kursteilnehmerinnen im Rahmen von BAB-BerufArbeitBildung selbst gedreht haben. Wer sich noch mit uns auseinandersetzen möchte, kann jederzeit das Gespräch mit uns suchen und/ oder sich auf unserer Homepage über aktuelle und vergangene Projekte informieren.
Wir verstehen die Feindseligkeit aufgrund von Aktivitäten im Rahmen der Palästina-Solidarität im o.a. Kronen Zeitungsartikel gegen unsere Mitarbeiterin als Feindseligkeit gegen uns alle. Wir verstehen nicht wirklich, warum Sie Herr Stadtrat Hohensinner sich zum wiederholten Male vor den Karren der FPÖ spannen lassen. Wir haben erfahren - wie andere MuslimInnen auch - was es bedeutet, in den Medien angeprangert zu werden. Mehrmals war es an erster Stelle die Kronenzeitung, die SOMM ins Visier genommen hat. Auf Zuruf aus FPÖ-Kreisen. Immer wieder wurde das Thema Palästina/Israel dazu missbraucht. Wir als SOMM enthalten uns nicht politischer Debatten. Bereits 2019 wurde SOMM Adressatin einer üblen medialen Verleumdung. Einer solchen Vorgehensweise ist es anzurechnen, dass wir unsere Räumlichkeiten und Förderungen verloren, in deren Folge wir uns als Verein klar gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volkes und die rechtsnationalistische Politik der israelischen Regierung positioniert haben. Der aktuelle Kronenzeitungsartikel, basierend auf Zuruf eines FPÖ-Abgeordneten, ist eine Fortsetzung des üblen Spiels mit Ressentiments auf Kosten von Musliminnen und Migrantinnen.
Für SOMM war es ein Begründungskontext, sich gegen Ungerechtigkeiten, Ungleichbehandlung und Gewalt einzusetzen. Wenn wir von gesellschaftlicher Teilhabe sprechen, meinen wir damit selbstverständlich auch die Inanspruchnahme des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Wenn wir von Demokratie sprechen, meinen wir den fairen Umgang mit Minderheiten im kritischen Diskurs unter Bedacht auf die strukturellen Ungleichheiten, die in vielen Belangen (Gleichbehandlung, Wahlrecht, Medienpräsenz, Zugang zu Netzwerken, Räumen, Mitteln, etc.) unsere gesellschaftliche Ordnung kennzeichnen. Auch die Situationen in den Herkunftsländern von Migrantinnen im Konkreten und die globale Ordnung im Generellen interessiert uns, da liegen die Gründe für die Schicksale der Menschen, mit denen wir arbeiten, für ihre schweren Lebenssituationen.
Wir bleiben auf alle Fälle unserer Überzeugung treu, dass eine vielfältige, solidarische Gesellschaft möglich ist, in der jede*r ihre*seine Identität frei entfalten kann. Auch eine muslimische Frau mit Hijab soll die gleichen Verwirklichungschancen haben, vor allem auch das Recht auf Ausübung jedes Berufes, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, sich mit anderen Frauen, Musliminnen und Migrantinnen zu organisieren.
Mit freundlichen Grüßen,
SOMM