Der türkise Innenminister Nehammer will Demonstrationen unterbinden, sein Vorgänger Herbert Kickl von der FPÖ inszeniert sich als Märtyrer der Grund- und Freiheitsrechte. Dieser vordergründige Schlagabtausch verdeckt einen rechtsrechten Doppelpass, der die Träume beider Rechtspolitiker erfüllt: den Marsch in zunehmend autoritäre Verhältnisse.

Im Frühjahr 2020 haben viele engagierte Gruppen, darunter auch die Solidarwerkstatt Österreich, das Recht auf Demonstrationen und Kundgebungen mühsam zurückerkämpft. Denn die Regierung wollte damals zu einem Zeitpunkt, als Baumärkte bereits wieder öffnen durften, unsere Grund- und Freiheitsrechte weiter im Lockdown behalten. Unter der Losung „Mundschutz ja – Maulkorb nein!“ haben wir uns dafür eingesetzt, sowohl unsere Gesundheit als auch unsere demokratischen Grundrechte zu schützen. Das geht und heißt: Mundnasenschutz tragen, Abstand halten – auch bei Kundgebungen und Demonstrationen. Letztlich haben auch die Gerichte in unserem Sinn entschieden. Politik und Polizei mussten dem – manchmal widerwillig – folgen.

FPÖ-Strategie: Keil zwischen Gesundheit und Demokratie

Ab Herbst und noch massiver ab Anfang 2021 erleben wir eine erstarkende CVV-Bewegung (Corona-Verleugner-Verharmloser). Ihr Hauptmerkmal: Von gefühlt 100 guten Gründen*) gegen die Regierungspolitik zu demonstrieren, verfehlt sie gekonnt alle. Sie konzentriert sich dafür umso heftiger auf so ziemlich den dümmsten: Der Mund-Nasen-Schutz muss weg! Diese Abneigung gegen den MNS wird auf den Demonstrationen körperlich zelebriert: Kein Abstand, kein MNS. Und das obwohl die Zahl der Infektionen und Todeszahlen im Herbst und Winter katastrophal in die Höhe schoss, die Spitalsbetten hart an den Kapazitätsgrenzen schrammten. Die FPÖ sieht darin ihre Chance, nach dem Ibiza-Debakel zu jener Politik zurückzukehren, die von jeher ihre rechtsextreme DNA ausmachte: Opposition so zu inszenieren, dass in Wirklichkeit die reaktionärsten Kräfte des Establishments gestärkt werden. Konkret heißt das jetzt: einen künstlichen Keil zwischen Schutz der Gesundheit und Schutz der Freiheitsrechte zu treiben, indem das Demonstrationsrecht als Virenschleuder missbraucht wird. Auf der Strecke bleiben dabei sowohl Demokratie als auch Gesundheit.

Ein wahres Geschenk für die Regierung

FPÖ-Politiker haben für die hohen Todeszahlen nur ein Achselzucken übrig. Udo Landbauer, jener niederösterreichische FPÖ-Politiker mit der Liebe zu Liederbüchern, in denen die zu ermordende siebte Million Juden besungen wird, meinte zur hohen Zahl an Covid-Toten lapidar: „Sterben gehört nun mal zum Leben dazu.“ (Standard, 25.11.2020). Die Rechtsextremen leugnen eigentlich nicht die Gefährlichkeit des Virus, sie nehmen bloß dessen tödliche Folgen billigend in Kauf, insbesondere wenn ältere und kranke Menschen betroffen sind. Das entspricht der mit kruden Erzählungen gerechtfertigen sozialdarwinistischen Grundhaltung der Rechtsextremen, wonach das Überleben das Vorrecht der Starken ist. Für die Regierung ist diese rechtsaußen-Opposition ein wahres Geschenk: Einerseits lenkt diese vom vielfältigen Regierungsversagen in der Gesundheits- und Sozialpolitik ab, andererseits wird ihr damit die Chance, das Demonstrationsrecht weiter einzuengen, am Silbertablett serviert.

Doppelpass Nehammer - Kickl

Schon lange musste man sich wundern, warum die Polizei nicht dazu in der Lage war, das Demonstrationsrecht zu schützen, und zwar indem die banalen Coronaregeln – MNS, Abstand – durchgesetzt werden. Nun versucht Innenminister Nehammer nicht einmal mehr, diese Regeln durchzusetzen, sondern verbietet Demonstrationen überhaupt - nicht nur die Demonstrationen der CVV, sondern z.B. auch eine antifaschistische Demonstration der "Plattform für eine menschliche Asylpolitik" und eine Demonstration der Österreichischen Hochschülerschaft gegen das türkis-grüne Universitätsgesetz, obwohl Aktionen von diesen Organisatoren unter großer Rücksichtnahme auf die Corona-Regeln erfolgen. Das ist ein ungeheurer Skandal! Gleichzeitig kann sich FPÖ-Klubobmann Kickl, der in seiner Zeit als Innenminister der türkis-blauen Regierung hemmungslos die Axt an die demokratischen Grundrechte legte, als Märtyrer der Grund- und Freiheitsrechte in Szene setzen. Dieser Doppelpass Nehammer – Kickl erfüllt die Träume beider Rechtspolitiker: den Marsch in zunehmend autoritäre Verhältnisse.

Es wiederholt sich damit ein politischer Prozess, den wir seit viele Jahren kennen: Neoliberales Zentrum und extreme Rechte streiten an der Oberfläche und kollaborieren in der Substanz.

Wir brauchen Schutz von Gesundheit, Solidarität und Grundrechten!

Wir wissen, dass gerade in diesen stürmischen Zeiten fortschrittliche Politik komplexe Antworten braucht. Umso wichtiger ist ein politischer Kompass: der Schutz der Gesundheit, der gesellschaftlichen Solidarität und unserer demokratischen Grundrechte dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Eine solche vielschichtige Politik ist möglich.

Sie reicht von der Verteidigung des Demonstrationsrechts unter Einhaltung von Covid-Schutzmaßnahmen, der raschen Bereitstellung von Impfmöglichkeiten, der dauerhaften Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der besseren Unterstützung von EPUs und KMUs, der energischen Ausweitung der Budgets für Gesundheit, Pflege, Arbeitsschutz und Bildung bis hin zu einer Vollbeschäftigungspolitik, die von massiven Investitionen in den sozialökologischen Umbau der Gesellschaft getragen wird. Diese Politik darf auch nicht davor zurückschrecken, dass viele dieser Maßnahmen mit restriktiven neoliberalen EU-Vorgaben kollidieren. Denn letztlich können wir nur mit einer solchen Politik in den unsäglichen rechtsrechten Doppelpass reingrätschen und einen demokratischen und sozialen Konter einleiten.

Gerald Oberansmayr
(30.1.2021)

Anmerkungen:

*) Hier einige Stichworte zu diesen guten Gründen für Demonstrationen gegen die Regierung:

  • Verweigerung einer dauerhaften Anhebung des Arbeitslosengeldes
  • Chaotische, unzureichende und willkürliche Vergabe der Hilfsgelder für EPUs und KMUs
  • gleichzeitig Riesensubventionen für Großkonzerne und Kurz-Spender
  • Willkürliche, oft lobbygetriebene Handhabung des Lockdowns
  • Verweigerung, den Gesundheitsdeckel endlich aufzuheben (also die Begrenzung der Gesundheits- und Pflegebudgets); das führt dazu, dass sogar mitten in dieser Pandemiekrise Spitalsbetten abgebaut
  • keine Rücknahme der Sozialversicherungs"reform" der Vorgängerregierung, die ein Milliardenloch in die Finanzen der neuen Gesundheitskasse reißt
  • langandauernde Ignoranz gegenüber den hohen Todeszahlen in Pflegeheimen
  • Keine Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung
  • Versagen beim Schutz der Beschäftigten in besonders gefährdeten Bereichen (z.B. Schlachthöfe, Großraumbüros)
  • Lange Verzögerungen beim coronatauglichen Umbau der Schulen
  • Verschleppen der Bestellung und Verteilung von FFP2-Masken
  • tatenloses Zusehen, wie wichtige Industriebetriebe zugesperrt werden, nachdem  sich der Eigentümer noch an Corona-Hilfsgelder bedient haben (z.B. ATB)
  • Unterordnung unter das EU-Behilfenrecht, was die Auszahlung vieler Hilfsgelder verzögert oder unterbunden hat
  • keine Rücknahme der Aushungerung von Arbeitsschutz und Krankheitsvorbeugung (AUVA)
  • Völlig unzureichende Unterstützung der Gemeinden, die derzeit finanziell ausbluten
  • Schamlose Ausnutzung der Corona-Zeit, um unliebsame Gesetze und Maßnahmen durchzupeitschen (z.B. UniversitätsgesetzMilitarisierungsoffensive, Abschaffung der Hacklerregelung, Ausweitung der Bespitzelung durch flächendeckende Gesichtserkennung im öffentlichen Raum)
  • Ankündigung, nach der Coronakrise wieder in den Austeritätsmodus überzuwechseln (Blümel: „Jetzt Keynes, dann wieder Hayek“), obwohl die Folgen genau dieser Austeritätspolitik  viele Tote in der Coronakrise mitzuverantworten hat
  • Uvm.

>> HINWEIS:
Broschüre der Solidarwerkstatt Österreich:
CORONAKRISE - GEFAHREN, LEHREN & AUSBLICKE"
Auch wenn diese Broschüre bereits im Frühjahr 2020 erschienen ist, ist sie auch in der derzeitigen Phase der Pandemie hochaktuell, ja hat sogar an Aktualität noch gewonnen.
Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit hier

>> Corona-Tote sichtbar machen!
Aktion am Sonntag, 31.1.2021, 17 Uhr, Hauptplatz Linz, Dreifaltigkeitssäule
Weiterlesen