Stellungnahme der Vereinsleitung des Vereins Schloss Hartheim zur Freigabe des ärztlich assistierten Suizids.
Als Träger des Gedenkorts für die Opfer der nationalsozialistischen Krankenmordaktionen – von den TäterInnen euphemistisch als Euthanasie bezeichnet – nimmt der Verein Schloss Hartheim für sich in Anspruch, in der aktuellen Diskussion um die Sterbehilfe besondere Sensibilität und Verantwortung der AkteurInnen einzumahnen.
Ohne die aktuelle Diskussion um den assistierten Suizid mit den historischen Entwicklungen, die schließlich zu den Krankenmorden des Nationalsozialismus führten, gleichzusetzen, sei doch mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass diese Geschichte nicht außen vor gelassen werden kann. Personelle und ideelle Kontinuitäten, gerade auch im medizinischen Bereich, prägten die Zweite Republik. Die Denkfigur des Utilitarismus, die ihren Ursprung in der Idee des Liberalismus hat, im Nationalsozialismus den Umgang mit "Unbrauchbaren“ (Kranken, Alten, Menschen mit Beeinträchtigung) bestimmte und mit brutaler Konsequenz praktisch umgesetzt wurde, ist nicht verschwunden. Der Utilitarismus in diesem Bereich wird gerade auch in Krisenzeiten verstärkt sichtbar, wie die Coronakrise aktuell zeigt.
Das zentrale Argument der Befürworter des assistierten Suizids ist der Hinweis auf das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen. Die Möglichkeit des assistierten Suizids im Fall einer schweren Erkrankung solle dem Kontrollverlust über das eigene Leben (und Sterben) entgegenwirken.
In historischer Perspektive zeigt die Debatte um die Sterbehilfe, die in Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert und in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg sehr intensiv geführt wurde und in Österreich ein eher randständiges Phänomen darstellt, dass das zentrale Argument der Selbstbestimmung nicht den Endpunkt der Argumentation bildete. Die Diskussion weitete sich vielmehr dahingehend aus, dass die „Erlösung vom Leiden“ auch Menschen zuteil werden sollte, die diesen Wunsch nicht äußerten bzw. nicht (mehr) äußern konnten.
Damit verschob sich der Standpunkt vom individuell geäußerten Wunsch zur gesellschaftlichen Wünschbarkeit. Welches Leben als „lebensunwert“ eingestuft wurde, bestimmten nicht (mehr) die Betroffenen selbst, sondern Dritte. Zentrales Argument waren die „Erlösung vom Leiden“, aber auch die gesellschaftliche Kostenersparnis durch diese Maßnahmen.
Als im Nationalsozialismus die Beseitigung „lebensunwerten Lebens“ zu einer vordringlichen Agenda wurde, konnte das Regime an die Bereitschaft vieler MedizinerInnen (auch in der „Ostmark“) anknüpfen, dieses „Erlösungswerk“ zu realisieren.
Mit diesem Hinweis soll die gegenwärtige Debatte nicht auf eine Ebene mit der Politik im Nationalsozialismus gestellt werden: Jedoch muss entschieden darauf hingewiesen werden, dass es in der Gesellschaftspolitik Turning Points gibt, die Entwicklungen in eine neue Richtung lenken. Die Freigabe des assistierten Suizids würde unserer Meinung nach einen solchen Turning Point darstellen. Sie wäre das falsche gesellschaftliche Signal für einen angemessenen Umgang mit schwer kranken, behinderten und pflegebedürftigen Menschen: Aus der Möglichkeit des assistierten Suizids könnte eine gesellschaftliche Erwartung bzw. Verpflichtung zum assistierten Suizid entstehen. Dies kann anhand der Entwicklung in jenen Ländern belegt werden, in denen eine entsprechende Regelung schon existiert. Zum Teil wurde dort auch bereits der Schritt von der individuellen Zustimmung bzw. der Forderung des Einzelnen auf Sterbehilfe hin zur Fremdbestimmung über das Leben von Menschen, die sich selbst nicht äußern können (bzw. minderjährig sind) vollzogen.
Auch wenn der Wunsch auf Sterbehilfe von Menschen, die sich in einer gesundheitlich äußerst schweren Lage befinden, verständlich ist, wäre die Freigabe des assistierten Suizids in Österreich ein Schritt in die falsche Richtung bzw. unter Umständen auch auf eine „schiefe Ebene“, wo weitere Schritte zur Ausweitung der gesetzlichen Bestimmungen wohl nur eine Frage der Zeit wären.
(23.9.2020)