ImageDiskussion über Offenen Brief der Solidarwerkstatt an "Europa geht anders" - Rückantwort der Solidarwerkstatt an "Europa geht anders".



Solidarwerkstatt Österreich

Waltherstraße 15

4020 Linz

   

An

Team Europa-geht-anders

 

Wien im Jänner 2014

 

Liebe FreundInnen,

 

Herzlichen Dank für Euer E-Mail vom 19.12.2013  in Beantwortung unseres offenen Briefes   vom vergangenen Dezember.

 

Wenn wir es richtig verstehen, so wendet ihr euch insbesondere gegen unseren Vorwurf, die Kampagne von "Europa geht anders" gegen einen drohenden "EU-Wettbewerbspakt" würde die bereits beschlossenen EU-Rechtsakte, die zu einer Radikalisierung der neoliberalen Sozial- und Wirtschaftspolitik in den Mitgliedsstaaten führen, nicht ausreichend thematisieren.

 

Die dazu ins Treffen geführten Texte (Aufruf und Hintergründe) sind uns nicht neu. Es gibt eine große gemeinsame Schnittmenge bei der Analyse und Bewertung der aktuellen EU-Politik. So wenn ihr z.B. kritisiert, dass die EU-Kommission "Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten erlassen (kann), wenn die von nationalen Parlamenten beschlossene Wirtschaftspolitik nicht den Vorgaben der Kommission entspricht und 'strukturelle Defizite' nach Kommissionsauffassung auftreten." Oder an anderer Stelle, wenn ihr festhält: "Die neuen wirtschaftspolitischen Mechanismen fördern die angeblich unabhängige Expertokratie. Es zeigt sich jedoch, dass gerade technokratische, nicht demokratisch kontrollierte und legitimierte Entscheidungsmechanismen besonders anfällig für verschleierte Interessenpolitik und einseitige Geschlechterpolitik sind.... Die strikten Schulden- und Defizit Regeln führen in vielen Ländern zu drastischen Maßnahmen. So sind Lohnkürzungen und Abbau öffentlicher Beschäftigung, oft besonders in frauendominierten Bereichen, auf der Tagesordnung."

 

Was uns fehlt ist allerdings die konkrete Benennung der zugrundeliegenden Rechtsakte und die Formulierung einer politischen Strategie, wie diese verändert werden könnten. Das mag als Spitzfindigkeit erscheinen. Die Bedeutung wird erkennbar, wenn z. B. Martin Windtner, Linz-Sekretär des ÖGB, in einem sehr gehaltvollen Debattenbeitrag meint, er sehe keine erreichbaren parlamentarischen Mehrheiten, die das Twopack außer Kraft setzen wollen. Der Unterschied in der Herangehensweise zwischen "Europa geht anders" und der Solidarwerkstatt lässt sich so auf den Punkt bringen. Während wir davon ausgehen, dass eine Änderung der neoliberalen Verfasstheit der EU, eine Änderung des zugrundeliegenden Rechts voraussetzt, u. a. die Außerkraftsetzung des Twopacks und die Wiederherstellung der Budgetsouveränität des Parlaments, meint "Europa geht anders", was beschlossen ist, sei sowieso nicht mehr veränderbar. Es gehe quasi nur noch darum Schlimmeres zu verhüten.

 

Das hat durchaus was für sich. Unverständlich wird es aber, wenn dann das Schlimmere beschlossen wird, ohne dass es überhaupt nur erwähnt wird. So wurde nach dem Dezembergipfel von "Europa geht anders" von einer "Verschnaufpause" gesprochen, einem "Etappenerfolg", " der Wettbewerbspakt wurde vorerst verschoben", "nicht zuletzt aufgrund der Proteste aus der Zivilgesellschaft,.." (Mail vom 10. 1.2014) Bereits im November 2013 wurde jedoch im Europäischen Parlament bei der Beschlussfassung zum EU-Finanzrahmen 2014-2020 die "makroökonomische Konditionalität" beschlossen. Das bedeutet nichts anderes, als dass ein zentraler Bestandteil des drohenden Wettbewerbspakts bereits jetzt rechtsgültig wurde: Die Bindung finanzieller Mittel an die Durchführung neoliberaler "Reformen". Bundeskanzlerin Merkel hält in ihrer Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 18.12.2013 fest: "Wir haben auch eine neue Strukturfondsförderung beschlossen. Sie erhält mit der makroökonomischen Konditionalität eine neue Dimension. Das hört sich sehr technisch an; das heißt aber nichts anderes, als dass es Auswirkungen auf die Vergabe von Strukturfondsmitteln haben kann, wenn Länder die Empfehlungen zur Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit, die seitens der Europäischen Union, der Kommission selbst, gegeben werden, nicht einhalten. Ich glaube, das verschärft und verbessert die notwendigen Überwachungsmechanismen und ist deshalb eine gute Weiterentwicklung." Elisabeth Beer und Silvia Hofbauer fassen das in der AK-Zeitschrift "Arbeit und Wirtschaft" so zusammen: "Dieser Sanktionsmechanismus verstärkt die vorherrschende Politik, jene die Zeche zahlen zu lassen, die am wenigsten für die staatliche Verschuldung verantwortlich gemacht werden können, nämlich die breite Bevölkerung!" (Arbeit und Wirtschaft, 9.1.2014). Einer Reihe von Promotoren von "Europa geht anders", dürfte das in der Hitze der Mobilisierung gegen den Wettbewerbspakt gleich so weit entgangen sein, dass sie es im Europäischen Parlament gleich mitbeschlossen haben.

 

Vor diesem Hintergrund ist auch verständlich, warum es beim Europäischen Rat keine Eile mit dem Wettbewerbspakt hat. Die Drohung mit der noch mächtigeren Peitsche lässt alle Beteiligten kuschen, um sich dann dazu gratulieren, ihr entgangen zu sein. Hat nicht schon unser Kanzler beim Fiskalpakt gemeint, so lange wir uns an die Vorgaben halten, behalten wir unsere Budgetsouveränität.

 

So sehen wir uns in unserer Auffassung bestätigt. Wenn es nicht gelingt, breite (parlamentarische) Mehrheiten gegen den bestehenden neoliberalen EU-Rechtsrahmen herzustellen, warum sollte das gegen zukünftige Rechtsakte möglich sein. Wir rufen deshalb nochmals dazu auf den Aufruf: "Two-Pack einpacken! Budgetsouveränität wiederherstellen!" zu unterstützen.

 

Vorstand der Solidarwerkstatt

(Norbert Bauer, Eveline Steinbacher, Gerdald Oberansmayr, Johanna Weichselbaumer, Hasan Orhan, David Stockinger, Rudolf Schober, Boris Lechthaler