Teil 4 der Serie, in der der Hans Linsmaier, eh. Betriebsrats-Vorsitzender der voeastalpine, mit Hilfe systemtheoretischer Ansätze die Situation fortschrittlicher Kräfte analysiert, um aus der Krise herauszufinden.


Systemisches Denken kann uns helfen, WIEDER stärker zu werden. Die von Niklas Luhmann entwickelte Systemtheorie über das Verhalten in sozialen Systemen vereinfacht die Darstellung unserer komplexen Lebensweise. Sie wird dadurch verständlicher, und wir können leichter und effizienter unsere Aktivitäten gestalten und umsetzen. Für mich ist einer der Hauptfragen, die ich mir immer wieder stelle: Warum wählen einfache Leute Menschen wie Trump, Bolsonaro, Kickl, Le Pen. Warum wird unsere Gesellschaft derzeit immer rechter? Es ist für mich nicht einfach, leicht verständliche Artikel für das SOLiNZ zu diesem Thema zu schreiben. Wer Verständnisfragen hat, kann sich selbstverständlich direkt an mich wenden, Tel 0664 3721271 oder E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Elemente der Systemtheorie von Luhmann

Um die Komplexität zu reduzieren, unterscheidet Luhmann zwischen psychischen und sozialen Systemen, wobei jedes dieser Systeme aus einem einzigen Element besteht. Bei sozialen Systemen ist dieses Element die Kommunikation, gemeint sind die Handlungen, die aneinander anschließen und bei psychischen Systemen sind das Gedanken. Sowohl soziale als auch psychische Systeme sind füreinander notwendige Umwelten (ohne psychische Systemen gibt es keine sozialen Systeme und umgekehrt), sie können sich aber gegenseitig nicht direktiv beeinflussen. Soziale Systeme bilden sich von selbst, sie sind nur bedingt beeinflussbar bzw. steuerbar. Sie können von außen her nicht nach unseren Wünschen verändert werden. Eine Kontaktaufnahme ist nur über Kommunikation möglich.

Wir alle sind Beobachter und nehmen unsere Umwelt wahr. Luhmann unterscheidet zwischen Beobachtung 1. Ordnung und Beobachtung 2. Ordnung. Mit Beobachtung 1. Ordnung meint er, dass wir unsere Umwelt nach unseren höchstpersönlichen Unterscheidungen beschreiben. Mit Beobachtung 2. Ordnung meint er, dass wir andere Beobachter und auch uns selbst beobachten, wie wir beobachten. Wir haben damit die Möglichkeit gewonnen, unsere eigenen, aber auch die Gewohnheiten und Muster der anderen Beobachter (z. B der potentiellen Wähler) zu beobachten.  Durch Kommunikation geben wir unsere Beobachtungen weiter und empfangen auch von anderen Menschen ihre Beobachtungen. Wesentlich dabei ist, WAS und vor allem WIE kommt es im anderen psychischen System an. Durch die geistigen Fähigkeiten des Menschen besteht dann die Möglichkeit, dass NEUES entsteht oder Meinungen verändert werden und politische Entscheidungen anders getroffen werden. Entscheidend in diesem Prozess ist auch ein anderer Wahrheitsbegriff bei Luhmann. Die Wahrheit des anderen ist relevant, diese kann abweichen von unserer Wahrheit. Was als Wahrheit anerkannt wird, hängt sehr von den subjektiven geistigen Fähigkeiten und der Meinung des jeweiligen Menschen ab, aber auch von den kommunikativen Dynamiken der sozialen Systeme, in denen die jeweiligen Menschen relevante Umwelten sind.

Wenn wir Veränderungen zu mehr Gerechtigkeit und Solidarität in unserer Gesellschaft erreichen wollen, muss uns eine intakte Kommunikation zu unseren Umwelten (Menschen in sozialen Systemen) gelingen. Besonders durch Fragen kann der Andere beeinflusst werden, zu neuen Gedanken und Einsichten geführt werden. In der Organisationlehre heißt es „Wer fragt, führt“. Das heißt, wir müssen das andere System kennen lernen und hinterfragen, wie es funktioniert und wie es beeinflusst werden kann durch Kommunikation (nach den vorherigen Ausführungen natürlich nicht direktiv, sondern nur bedingt).  Es versteht sich von selbst, dass dies nicht einfach ist, es braucht seine Zeit und benötigt viel Aufmerksamkeit und Geduld. Die Herausforderung ist, das wir eine Vorstellung bekommen, wie ticken die Wähler, und wir lernen, wie und was wir kommunizieren müssen, um Erfolg bei den Wählern zu haben.

Systemische Fallanalysen:

Kampf der Politischen Parteien um Stimmen und Macht

Der Wähler beobachtet zwei soziale System (linke Parteien vs. rechte Parteien). Von welchen Kriterien hängt es ab, welchem Lager er seine Stimme gibt? Menschen entscheiden sich eher für die Parteien, die ihnen stärker vorkommen. Stark vor allem, indem wie sie verbal wirken. Das wesentliche ist aber: Zu keinem politischen Lager hat der Wähler eine qualifizierte Kommunikation, sondern viele Argumente mit unterschiedlicher Wahrheit wirken auf ihn ein. Zwischen dem, was vor der Wahl versprochen wurde, und dem, was nach der Wahl gehalten wird, besteht immer ein Unterschied. Es muss uns gelingen, aus diesem Schauspiel herauszukommen und den Wählern zu kommunizieren, wir unterstützen euch mit euren Sorgen und Anliegen.

Da viele Meschen durch die Komplexität unserer Welt heillos überfordert sind, entwickeln sie die Tendenz, denjenigen politischen Parteien ihre Stimme zu geben, die ihnen einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen. Da aber die Bewältigung von komplexen Problemen, Vorgehensweisen und Lösungen bedürfen, die dieser Komplexität gerecht werden, sind die Versprechungen von einfachen Lösungen nicht einlösbar und früher oder später als Gaukelei und Täuschung enttarnt. Bei der Ernsthaftigkeit vieler unserer Lebensprobleme kann man diese Täuschung der Wähler ethisch betrachtet als hoch unmenschlich bezeichnen, und Parteien, die den Anspruch haben, für ihre Wähler seriöse Politik zu machen, raten, dieser Verführung nicht nachzugeben. Dazu bedarf es eine gewissen Standhaftigkeit.    

Keine Koalition mit der FPÖ

Gebetsmühlenartig vertreten linke Parteien seit Jahrzehnten die Festlegung: „Keine Koalition mit der FPÖ“ Dies ist zwar gut so, aber beim Kampf um Wählerstimmen kontraproduktiv. Lauf Umfragen kann die FPÖ derzeit leider 30 % bei Wahlen erreichen. Aus demokratischer Sicht finde ich es  problematisch, einen so hohen Wähleranteil zu ignorieren. Die Botschaft an die FPÖ ist klar erkennbar, aber die Botschaft an die möglichen FPÖ-Wähler ist nicht wertschätzend, eher abwertend. Es entsteht keine Kommunikation zu den wieder möglichen Links-Wählern, bei der sich Sichtweisen über das Wahlverhalten verändern können. Eine systemische Intervention muss so gestaltet sein, dass sie für die Menschen Interesse weckt und das Positive für die Menschen bei den Linken in den Vordergrund gestellt wird. Thematische Auseinandersetzung mit der FPÖ sind sicherlich notwendig, aber man muss auch aufpassen, dass wir nicht unbewusst eine Wahlwerbung für sie machen.

Chancen von Andi Babler

Der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler ist Bürgermeister einer Gemeinde mit dem größten Flüchtlingsanteil in Österreich. Gleichzeit schaffte er für die SPÖ bei der Gemeinderatswahl 70 %. Bei den ORF Sommergesprächen hatte er mehr Zuseher als Herbert Kickl. Die haben ein Interesse an Bablers Aussagen. Was ist im System Babler anders? Er konzentriert sich bei seinen Aussagen auf die Probleme und Anliegen der Menschen. Der FPÖ gibt er fast keinen Raum. Es gelingt ihm eine nachhaltige qualitative Kommunikation zu den Wählern. LAUTSTARK UND EMOTIONELL spricht er die Menschen mit seinen Reden an. Die Wähler erkennen dabei, dass sie wichtig für ihn sind, und das ist eine Wertschätzung.

Grundproblem

Die Lebensgrundlagen sind sehr, sehr ungerecht verteilt. Reichtum, Besitz, Vermögen. Die Linke hat für sich den Anspruch, dass mehr Verteilungsgerechtigkeit erkämpft wird. Der Mensch ist das Lebewesen, das am meisten gegeneinander einen Kampf um die Lebensressourcen führt. Er ist aber auf der anderen Seite auch das Lebewesen mit den größten geistigen Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten ermöglichen es ihm auch, dass er Reichtum auf Kosten der Mehrheit bilden kann. Die Erkenntnisse von Luhmann sind keine Wundermittel gegen die Ungerechtigkeiten, sie können uns aber unterstützen und hilfreich im Kampf um mehr Solidarität und Gerechtigkeit sein.