Initiative für Praxisphilosophie und konkrete Wissenschaft Briefe aus der PRAXIS-Werkstatt von Horst Müller.

Angesichts allgegenwärtiger und eskalierender Krisen und Konfrontationen, gesellschaftli-cher Rückschritte und Verwirrung, braucht es umso mehr ideellen Grundhalt und, über alle Kritik an liberalistisch-kapitalistischen Zuständen hinaus, eine positive programmatische Vergewisserung der Linken: Die assoziierungsfähigen Kräfte für eine gesellschaftliche Wende können sich nur finden und an Boden gewinnen, wenn einleuchtende und vereinigende Konzepte für eine alternative Wirtschaftsverfassung und Lebensweise ins Spiel kommen.
Wie die Situation der gesellschaftlichen Linken in Ländern Europas zeigt, wurde aber immer noch keine konkretere Systemalternative aufgewiesen oder eine politische, programmatische Konvergenz erreicht. Jedoch mehren sich Stimmen, Argumente und Konzepte, die wert-, reproduktions- und systemtheoretisch weiter durchdacht und in gesellschaftlichen Abwehr- und Reformbestrebungen profiliert werden können. Dazu zeichnen sich wesentliche Grunde-lemente, Übergangsformen und Richtungsanzeigen ab:

1. Die rechts-, sozial- und nationalstaatliche Verfasstheit der Gesellschaft bildet, be-dingt durch die gesamtökonomische und politisch übergreifende Bedeutung solcher Staatlichkeit, das entscheidende Feld möglicher partizipatorisch-demokratischer Praxis, gesellschaftlicher Transformation und Emanzipation. Nötig ist vor allem die Geltendmachung staatlicher Hoheit im Verhältnis zu kapital- und finanzwirtschaftlichen Mächten und eine egalitär-demokratische Politik.

Diese Orientierung verlangt den Widerstand gegen Tendenzen zur Entmächtigung der souveränen gesellschaftlichen Konstitution durch überstaatlichen Zentralismus und transnationale Institutionalitäten sowie die Zurückweisung des realen sowie ideellen Globalismus.

2. Auf dem erreichten, überschießenden Niveau produktiver und sozialformativer Potenzen wird die Ausfaltung der allgemeinen sozial-infrastrukturellen Grundlagen für die Wirtschaft und Wohlfahrt der Gesellschaft prioritär: Solche Foundational Economy oder öffentliche, sozialwirtschaftliche Dienste bilden die Grundlage des Alltagslebens, sind wesentlich für wirkliche Gleichheit, persönliche Selbstentfaltung und soziale Sicherheit. Sie bilden zugleich, quasi umgekehrt, Grundvoraussetzungen der waren- und industriewirtschaftlichen Produktion und bilden in diesem Verhältnis eine Kraft gesellschaftlicher Wertschöpfung.
Der kapitalwirtschaftliche Betrieb solcher öffentlicher, allgemeinen Dienste ist dagegen unnötig und sinnwidrig. Sie gehören im Prinzip unter sozialstaatliche und kommunale Regie, in sozialökonomischen Einrichtungs-, Eigentums- und Wirtschaftsformen betrieben, weitgehend durch öffentliche Finanzierung unterhalten und allgemein verfügbar gemacht.

3. Die Ermächtigung zu demokratischer Selbstbestimmung des Gemeinwesens verlangt die Rückholung entsprechender Funktionen des gegenwärtigen Zentralbank- und Finanzkapitalismus in den Horizont eines weiter entwickelten Steuer-, Geld-, Finanz- und Fiskalwesens.
Dies bedeutet unter anderem eine Renovierung des gesamten Steuerwesens und alles in allem eine regelrechte Fiskalrevolution, auch im Gegenzug gegen die sonst unaufhaltsam wachsende Ungleichheit von Einkommen, Vermögen und Lebenschancen.

4. Für die waren-, industrie- oder kapitalwirtschaftliche Arbeit und gesellschaftliche Reproduktion sind marktwirtschaftliche Formen nötig und geeignet. Im Hinblick auf die Vernetzungen und Verflechtungen im internationalen wirtschaftlichen Verkehr und ökonomischen Welt-system müssen sie reguliert und können gegenseitig vorteilhaft oder solidarisch gestaltet werden. Ebenso sind aber staats- bzw. sozialwirtschaftliche Formen angebracht, wo immer es dem gesellschaftlichen Interesse entspricht.
Einer solchen gemischten Wirtschaft auf sozial-infrastruktureller Basis, wenn man so will einer sozialistischen Marktwirtschaft, entsprechen eigene, sozialstaatswirtschaftliche Eigentums- und Unternehmensformen mit institutionalisierten gesellschaftlichen Verantwortlichkeiten. Sie verlangt eine Wirtschafts- und Entwicklungslenkung auf längere Sicht.

5. Die Freisetzung der im Sozialkapitalismus angelegten sozialstaatswirtschaftlichen Konfiguration kann sich auf eine vorhandene inländische Selbstbezüglichkeit der Reproduktion stützen und diese fördern, sie es auf regionaler Ebene oder durch Ausdehnung der fundamentalökonomischen Wirtschaftsabteilung im Wechselverhältnis mit der Warenwirtschaft.
Dies erfordert eine außenwirtschaftlich souveräne Regie und die Zurückweisung liberaistisch-kapitalistischen Freihandels, kann sich dabei auf die zunehmenden Rückschläge der neoliberalen Globalisierung stützen und auch mit Initiativen des marginalisierten Südens im Sinne einer Deglobalisierung und alternativen Entwicklung verbinden.

6. Wie sich zeigt, ist eine Sozialstaatswirtschaft mit alternativen Formen der Finanz-, Sozial- und Marktökonomie und einer souveränen Konstitution verbunden. Sie stützt und ermöglicht infolgedessen die tendenzielle Einhegung oder Eliminierung von kapitalistischen Verwer-tungs- und Wachstumszwängen und konsequente Ausrichtung auf eine ökologische, bilanzi-elle Wirtschafts- und Lebensweise.
Dieser politisch-ökonomischen Formierung entspricht eine multipolare, nicht imperiale Weltordnung. In diesem Zusammenhang sind konföderale und multilaterale Formen des staatlichen Zusammenwirkens angemessen, insbesondere in benachbarten oder konti-nentalen Wirtschafts- und Kulturräumen und nicht zuletzt auf globaler Ebene.

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