ImageEin Kommentar des Sozialwissenschaftlers Albert F. Reiterer (Personenkomitee Euroexit gegen Sozialabbau ).

 
In meinen Sysiphos-Bemühungen beim Aufräumen von Unterlagen und Daten fiel mir ein Blatt aus der NZZ vom 2. August 2014 in die Hände. Da wies der Journalist höchst missbilligend auf ein Interview des Bundesbank-Präsidenten (im devoten Österreich heißt dies ja nicht mehr Präsident, sondern Gouverneur) in der FAZ hin. Der habe Lohnerhöhungen in Deutschland in der Größenordnung von 3 % befürwortet. Also tauchte ich in die Ordner meines Computers und wurde auch schnell fündig.

Jens Weidmann sagte der FAZ vom 30. Juli 2014, S. 17: "Die genannten 3 % ergeben sich überschlagsmäßig aus mittelfristig knapp 2 % Preisanstieg und 1 % trendmäßigen Produktivitätswachstum." Im zugehörigen Artikel auf S. 5 wird noch präzisiert: "3 % Tarifanstieg als Richtwert" sei das, was die auf "Stabilität" verpflichtete Bundesbank vertreten könne.

Es ist schon erstaunlich. Für Österreicher: Der deutsche Bundesbank-Präsident steigt auf die alte Benya-Formel ein, welche in Österreich längst ad acta gelegt ist. Die Bundesbank, die vielleicht härtest-konservative Institution der BRD, befürwortet also die Verteilungsformel für den Klassenfrieden. Damit steht sie auf dem Standpunkt, den einige prominente Keynesianer seit Längerem vertreten und sogar als politischen Tabu-Bruch betrachten.

Im GÖD-Magazin wiederholt dagegen der Herr Neugebauer das, was er schon vorher hat plakatieren lassen. Erst jammert er ein wenig über die seit vielen Jahren fallende Lohnquote. Aber drei Sätze weiter versucht er, den letzten Abschluss als Erfolg zu verkaufen: Nicht nur die Inflationsrate habe man heraus verhandelt, sogar fast ein Drittel des Produktivitätsgewinns! Wenn das kein Erfolg ist! Ihm fällt nur nicht auf: Damit muss die Lohnquote notwendig weiter deutlich sinken.

Aber die eigentliche Katastrophe ist: Der Herr Neugebauer ist vielleicht der militanteste Gewerkschafter in Österreich. An ihm könnten sich die Herren Foglar, ÖGB-Präsident, und seine Kollegen von da abwärts, nur ein Beispiel nehmen.

Zurück zur Deutschen Bundesbank! Die deutschen Gewerkschaften haben diese Äußerung des Herrn Weidmann zurück gewiesen. Sie wissen wohl, warum. Und ausnahmsweise kann man dies auch gut verstehen. Dies ist ein ziemlich frecher Versuch, die sogenannte Tarif-Autonomie auszuhebeln. Der oberste Wirtschafts- und Geld-Bürokrat gibt vor, wie hoch die Löhne sein sollen. Diesmal sagt er: 3 %. Das nächste Mal möchte er vielleicht, dass die Löhne sinken. Damit hätte er beste Chancen auf Erfolg im deutsch-europäischen Institutionen-Gefüge.

Ich möchte nochmals wiederholen: Nach der Benya-Formel hätten die Lohnsteigerungen dieses Herbstes in Österreich etwa 2,6 % betragen müssen. Tatsächlich war es etwa die Hälfte. Die Folgen kennen wir gut genug. Eine der Folgen besteht darin, dass Österreich inzwischen zu jenen Ländern gehört, wo es relativ am meisten Superreiche gibt, very high net worth individuals, wie das heute heißt. Das ist kein Geheimnis. Das kann man in den diversen Wealth Reports nachschlagen, wie sie mittlerweile ja in vielfacher Anzahl vorhanden sind: von der Allianz-Gruppe, der Boston Consulting Group, Cap Gemini,  der UBS – ich habe wahrscheinlich eine Reihe solcher Rankings noch übersehen.