Peter Degischer, aktiv bei der Friedensinitiative ABFANG, kritisiert in einem offenen Brief an Bundeskanzler und Außenminister die einseitige Parteinahme für die israelische Kriegspartei im Nahostkonflikt.

Sehr geehrte Ministerbüros,

Diese neutralitätswidrige Fahnenepisode (das Büro des Bundesspräsidenten hat uns deswegen an die Ministerien verwiesen) wird von Ihnen mit der Stellungnahme gegen Terrorismus begründet. Vom Bundeskanzleramt und vom Außenministerium hätte ich mir eine differenziertere oder ehrlichere Betrachtung der Kriegssituation im Nahen Osten – vielleicht eine Entschuldigung - für das Fahnenhissen für Netanjahu erwartet.

  1. Sie schreiben von der anzustrebenden  Zweistaaten-Lösung, tun aber realpolitisch nichts, um sie auch zu unterstützen, sondern spielen de facto die Komplizen der Besatzer.
  2. Am Grundkonflikt, der Besatzung und jahrzehntelanger harter Unterdrückung, Apartheid und kolonialistischer Siedlungspolitik und den erst dadurch ausgelösten, immer wieder aufwallenden palästinensischen Widerstand, schauen Bundeskanzler Kurz und Minister Schallenberg konsequent vorbei. Bundeskanzler Kreisky hat im vorigen Jahrhundert schon vor der Hoffnungslosigkeit der Palästinenser gewarnt.
  3. Auch der diesmalige Raketenbeschuss aus Gaza wurde von Israel (wahrscheinlich von dem um seine Macht ringenden Netanjahu) provoziert durch die drohenden Vertreibungen arabischer Familien aus Sheik Jarrah, durch die willkürlichen Zugangsbeschränkungen für Muslime zum Haram as-Sharif am Damaskustor (und das im Ramadan), durch die Verfolgung von steinewerfenden Jugendlichen durch die israelische Polizei mit Blend- und Tränengasgranaten bis in die beiden Moscheen, durch die Verhaftung von hunderten arabischen Jugendlichen.  Die Hamas hat zunächst zur Warnung  3 Raketen auf Südisrael abgeschossen und in einem sechsstündigen Ultimatum den Abzug der Polizei vom Haram as-Sharif und Sheik Jarrah, sowie die Enthaftung der bei den Unruhen festgenommenen Steinewerfer*innen verlangt. Vielleicht hätte Israel deeskalieren können und Hamas durch Verhandlungen vom Raketenwerfen abbringen können. Netanjahu hat das abgelehnt und Kampfjets geschickt, die viele Unbeteiligte und wahrscheinlich auch am Kampf beteiligte töteten. Weder die Hamas-Raketen noch die israelischen Bomben sind friedensstiftend, sodass ich keine Rechtfertigung für die symbolische Parteinahme sehe. Sogar die Schutzmacht USA sprach sich wirkungsvoll dagegen aus.  
  4. Wo blieb und bleibt die sichtbare Initiative zur Friedensstiftung des verfassungsmäßig neutralen Österreichs?

Die Regierung unterhöhlt laufend die Neutralität, obwohl der überwiegende Teil der Österreicher*innen für ihre Erhaltung ist. Welcher Friedenspolitik dient die Defakto-Beteiligung an Defender 21?

Besorgt um die internationale Rolle des neutralen Österreichs

Mit freundlichen Grüßen

H.Peter Degischer, Wien
http://abfang.org/