Als Schüler wurde mir erklärt, Cristoforus Columbus hätte Amerika entdeckt, und ich glaubte damals daran. Im Erwachsenenalter begann ich Eduardo Galeano zu lesen, und siehe da, was hatte er mir dazu mitgeteilt? „Wie ist es möglich, etwas zu entdecken, wo schon jemand ist?“
Und so begann ich allmählich darüber nachzudenken, welche Art von Geschichtsschreibung wir verfolgen, nämlich jene aus der Sicht der Kolonialisten. Das ist der Punkt. Die Heldentat des Entdeckers eines Kontinenten schrumpft real auf die Erkenntnis, dass Columbus bloss die Unkenntnis der Europäer über die Existenz eines solchen entdeckte.
Die vermutlich wahren Entdecker Amerikas waren die Asiaten, welche zu Ende der letzten Eiszeit vor mehr als 11.000 Jahren über die damalige Landenge der Beringstrasse nach Alaska wanderten. Gen-Analysen von verschiedenen indigenen Völkern Amerikas weisen auf deren asiatische Herkunft hin. Aber auch vom Süden her dürften sie den Kontinent erreicht haben. Das ergaben Untersuchungen unter dem im Süden Patagoniens beheimateten Pehuenche Volk, welches zusammen mit den Mapuche einen heldenhaften Widerstand gegen die spanischen Invasoren leistete. So könnte man sagen, dass Amerika schon vor Ankunft der Europäer von Alaska bis Patagonien von Asiaten besiedelt war.
Erst 1492 zogen schwarze Wolken über den Kontinent, als die Barbaren Europas den Kontinent “entdeckten”. Blutrünstige, goldierige Horden, noch immer im Glauben sich in Indien zu befinden, begannen sofort zu rauben was ihnen in die Hände kam. Dabei zerstörten sie unwiederbringliche Kulturgüter, versklavten und folterten grausamst die dortigen Bewohner, die ihnen oft noch freundlich entgegenkamen, töteten alle, die sich ihnen in den Weg stellten oder sich weigerten ihren Glauben, den ach so friedlichen Christanismus, anzunehmen. In Ihrer unermäßlichen Überheblichkeit nannten sie diese Aktionen noch “Zivilsierung der Wilden”. In den “Tagebüchern des Bartolomé de la Casas” kann man einen Eindruck gewinnen von dieser “Zivilisierung”.
Bis heute wirkt diese Unterdrückung, als im Jahre 2006 der Aymará Evo Morales sein Präsidentenamt in Bolivien antrat, sagte eine Indigene Frau “500 Jahre haben wir in tiefster Nacht gelebt, jetzt endlich geht für uns die Sonne auf”. Diese Worte haben mich zutiefst berührt, sagen sie doch alles über das unermessliche Leid dieser Völker aus.
Und nach diesen grausamen 500 Jahren erhält die Europäische Union, wie zu Hohn, den Friedensnobelpreis verliehen, angeblich für die Schaffung von Frieden im europäischen Raum und für Verdienste um die Menschenrechte… Die Ereignisse der letzten 20 Jahre vermitteln jedoch einen ganz anderen Eindruck. Als im Jahr 1991 die jugoslawischen Teilrepubliken Slowenien und Kroatien einseitig ihre Unabhängigkeit von der Republik Jugoslawien erklärten, beeilten sich einige Staaten Europas, darunter Österreich, das damals noch nicht der Union angehörte, diese völkerrechtswidrigen Schritte, unter Mißachtung der Souveränität der Republik Jugoslawien, diese Unabhängigkeiten sofort anzuerkennen. Diese Aktion führte infolge zu einem furchtbaren Krieg, in dem 3.500 Menschen den Tod fanden und an die 10.000 verwundet wurden. Um ihre Hegemoniebestrebungen, denen die Regierung Belgrads entgegenstand, durchzusetzen, begann die Nord Atlantische Terror Organisation mit der Bombardierung des Territoriums, unter tatkräftiger Hilfe der europäischen Verbündeten.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts beteiligten sich die europäischen Verbündeten der USA an den Invasionen in Afghanistan und Irak, tausende von Opfern, überwiegend Zivilpersonen, sowie ein Chaos hinterlassend. Die hauptverantwortlichen Kriegsverbrecher George Walker Bush und Toni Blair wurden niemals einem Richter vorgeführt.
Das Schlachten geht weiter. In Libyen amtierte ein antiimperialistischer Präsident, Muammar Al Ghaddafi. Er stellte Geld für die Gründung einer Afrikanischen Bank, die unabhängig von den Institutionen Internationaler Währungsfond und Weltbank, den afrikanischen Kontinent in weitgehende Unabhängigkeit von den westlichen Interessen führen und so eine Entwicklung dortselbst ermöglichen sollte, nach dem Vorbild der in Lateinamerika gegründeten ‘Banco del Sur’ (Südbank). Obwohl Ghaddafi als exzentrisch und autoritär galt, genossen die Libyer unter seiner Regentschaft einen für Afrika beachtlichen sozialen Wohlstand. Da kam der in Tunesien und Ägypten beginnende ‘Arabische Frühling’ gerade recht, um in Libyen Unruhen zu schüren und somit eine Handhabe für ‘Humanitäre Hilfe’ zu erhalten. Wie diese ausgesehen hat wissen wir inzwischen. General Ghaddafi war noch am Leben als der damalige französische Staatspräsident Nikolás Sarkozy 35% der libyschen Ressourcen für Frankreich beanspruchte, da sein Land in diesem Ausmaß an den Kämpfen beteiligt war.
‘Humanitäre Hilfe’ nannte man auch die Tschadintervention im Jahre 2008, an der sich auch unser neutraler Staat beteiligte. Entsendung bewaffneter Truppen als Humanitäre Hilfe zu bezeichnen finde ich ziemlich zynisch, ich denke, es ging vielmehr darum einen korrupten Politiker an der Macht zu halten, um die Profite für die europäischen Konzerne zu sichern. Das ist aber nur eine Vermutung.
Im Jahre 2010 fanden in der Elfenbeinküste Wahlen statt. Der damalige Präsident Laurent Gbagbo hat möglicherweise diese gewonnen, jedoch erklärte die westliche Allianz den ex-IWF-Beamten Alassane Ouattara zum Sieger. Das Angebot Gbagbos, die Stimmen nochmals auszuzählen wurde von den Westallieerten sicherheitshalber nicht angenommen. Stand doch Gbagbo für soziale Reformen, Ouattara jedoch für die Interessen der Ausbeuter. Paradoxerweise befindet sich Gbagbo vor dem Haager Tribunal.
Und jetzt Syrien. Geht es den Westmächten tatsächlich um das Wohl der syrischen Bevölkerung? Wohl kaum, denn bloss geschätzte 10% der Bevölkerung unterstützt die Anliegen der Rebellen. Ausserdem sind die Kämpfer des Aufstandes untereinander zerstritten und verfolgen unterschiedliche Ziele. Unter ihnen befinden sich auch Kämpfer der vom Westen verabscheuten Al Qaeda, dennoch bemüht sich Europa um Waffenlieferungen an diese Aufstandsbewegung. Das offenbart die Absichten der ‘Friedensnobelpreisträger’, nicht die Einstellung der Auseinandersetzungen ist ihr Ziel, sondern einzig und allein die Entmachtung der Regierung unter Bashar al Assad. Damit will man sich eines nicht den Zielen der Neoliberalen Ausbeutung angepassten Präsidenten entledigen, infolge auch die Regierung des Iran schwächen und den Einfluss Russlands in der geostrategischen Region zurückdrängen.
Und wo findet die terrorisierte Bevölkerung Syriens Schutz? In Österreich ganz sicher nicht, ließ kürzlich die Innenministerin verlauten. Sollten es einige doch versuchen das Terrirtorium der Union zu erreichen, droht ihnen dasselbe Schicksal wie ihren Leidensgenossen aus Afrika. Sie werden an einer unsichtbaren Grenze, genannt FRONTEX, scheitern. Diese Mauer forderte inzwischen mehr Opfer als die verhasste sichtbare Mauer Berlins in 40 Jahren. Ich vermisse seit langem die Empörung unserer Mainstream-Medien. Da werden Menschen im Stich gelassen, wenn sie in ihren fragilen Booten versuchen Europa zu erreichen, jedoch kentern. Autentischen Berichten zufolge schauen die Frontex-Leute tatenlos zu, wie diese Verzweifelten um ihr Leben kämpfen und warten offensichtlich nur darauf, dass möglichst alle ertrinken.
Wo ist da der Unterschied zwischen den Ereignissen von vor 500 Jahren? Die Barbarei geht weiter.
Und was erwartet diejenigen, die es trotz aller Widrigkeiten schaffen an (europäisches) Land zu kommen? Da regelt diese Union im sogenannten ‘Lissabonner Vertrag’ in den Artikeln 78 und 79 die Vorgangsweise bei plötzlichem Zustrom einer großer Zahl an Flüchtlingen. Daraus wäre zu entnehmen, dass in so einem Fall die Mitgliedsstaaten solidarisch und proportionell eine bestimmte Anzahl von diesen aufnimmt. Doch wie sieht die Realität aus? Als einige hundert Flüchtlinge aus Libyen die italienische Insel Lampedusa erreichten, machten Frankreich und Österreich ihre Grenzen zu Italien dicht, damit nur ja keiner dieser, unter anderem von Europa selbst Vertriebenen, deren Territorium erreicht. Das ist Solidarität, wie sie eben Barbaren verstehen. Zuletzt möchte ich nicht zu erwähnen vergessen, wie diese Union mit ihren eigenen Völkern verfährt. Um Spekulationsgewinne und Banken zu retten, wird das griechische Volk ins Elend gestürzt, in Spanien Familien aus ihren Häusern getrieben und die soziale Sicherheit aller europäischen Bürger in Frage gestellt. Ist denn das nicht barbarisch?
Ernesto Quietensky