Gerald Oberansmayr
Auf dem Weg zur Supermacht
Die Militarisierung der Europäischen Union
Wien: Promedia 2005, 144 Seiten, 2. Auflage, EUR 9,90 (exkl. Porto)
In der 2. Auflage des Buches „Auf dem Weg zur Supermacht“ sind einige der neuesten Entwicklungen der EU-Militarisierung ergänzt worden: so z. B. das Headline-Goal 2010 als Fahrplan zur weltweiten Kriegsfähigkeit; das sog. „European Defence Paper“, in dem Klartext über die Ziele zukünftiger EU-Kriege gesprochen wird; das Konzept der EU-Schlachtgruppen; die aktuellen „Kerneuropa“-Pläne nach dem vorläufigen Scheitern der EU-Verfassung u. v. m.
Inhalt
Als Anfang der 1990er Jahre der französische General Michel Fennebresque forderte, die EU müsse ein „Waffenpotential vergleichbar den USA“ aufbauen, ging das noch in den Friedenshoffnungen der ersten Wendejahre unter. Ein Jahrzehnt später tritt jedoch die Finalität der EU, wie sie seit dem Vertrag von Maastricht vorangetrieben wurde, unverkennbar hervor: die Herausbildung einer militärischen Supermacht.
Das Buch beschäftigt sich ausführlich mit dem Prozess der Militarisierung Europas, von dem EU-„Außenminister“ Javier Solana Anfang des Jahrtausends schwärmte, dass er sich „in Lichtgeschwindigkeit“ vollziehe. Die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak haben sich als Motoren dieser Militarisierung erwiesen. Eine 60.000 Mann starke EU-Interventionsarmee soll „europäische Werte“ samt ökonomischer Inwertsetzung rund um den Globus tragen. Osteuropa, Afrika, der Nahe und Mittlere Osten liegen im expliziten „Hinterhofradius“ dieser Truppe. Am Balkan und in Afrika absolviert die EU-Interventionsarmee ihren ersten Probegalopp.
Große Operationen - vergleichbar den US-Kriegen am Golf und am Hindukusch - sollen nach den Vorstellungen führender EU-Militärs in einigen Jahren auf die EU-Agenda rücken. Dafür wird die Europäische Union jetzt rechtlich und rüstungspolitisch in die richtige „Verfassung“ gebracht. Der vom Konvent - der „dunkelsten Dunkelkammer“ (Jean-Claude Juncker) - hervorgebrachte EU-Verfassungsentwurf erweist sich als regelrechte Militärverfassung. Die derzeit laufenden Rüstungsprogramme erfassen alle Waffengattungen und reichen von der Militarisierung des Weltraums bis zur Modernisierung des Arsenals atomarer Massenvernichtungswaffen.
Das Buch analysiert faktenreich und in leicht lesbarer Form verschiedene Aspekte der EU-Militarisierung: die historisch-politische Entwicklung, die Debatte um die EU-Verfassung, den Aufbau der Interventionstruppen, die Rüstungsprojekte für Angriffskrieg und Massenvernichtung und die EU-Rüstungsindustrie.
Einen breiten Raum nehmen die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe der EU-Militarisierung ein: Expansion gegenüber der südlichen und östlichen Peripherie, Konkurrenz mit der Supermacht jenseits des Atlantiks, Repression gegenüber den eigenen Bevölkerungen. Trotz des gebotenen Pessimismus in der Analyse vertritt der Autor einen begründeten Optimismus im Handeln. Die Mächtigen sind nicht allmächtig. Der Prozess der Herausbildung einer militärischen Supermacht steckt voller Widersprüche - genügend Möglichkeiten für Friedens-, globalisierungskritische und Sozialbewegungen, dem Rad der Militarisierung in die Speichen zu greifen.
Autor
Gerald Oberansmayr, Jahrgang 1963, studierte Sozialwirtschaft an der Universität Linz. Er ist langjähriger Mitarbeiter und Aktivist der Werkstatt Frieden & Solidarität und Redakteur der friedenspolitischen Zeitung guernica.
Aus dem Inhaltsverzeichnis
I. Frühe Anläufe - Die 1950er und 1960er Jahre
Erster Anlauf: Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) * NATO, WEU und Remilitarisierung Deutschlands * „Wiederherstellung der früheren Kampffront“ * Force de frappe wird atomar * Früher Vorbote von Kerneuropa: Der Élysée-Vertrag
II. Unterschätzte Absprünge - Die 1970er und 1980er Jahre
Vorstufen zur Währungsunion * Binnenmarkt: „Von einer Position der Stärke die Weltmärkte erobern“ * Europäische Politische Zusammenarbeit - „Verantwortung in der Welt“ * Revitalisierung eines Untoten
III. Entscheidende Durchbrüche - Die 1990er Jahre
Deutsche Hegemoniebestrbungen: „Etwas vollbringen, woran wir zweimal gescheitert sind“ * „Europäischer Einigungskrieg“ * Erster großer Durchburch: Maastricht * „Petersberg-Aufgaben“: Kurs Richtung globaler Interventionsfähigkeit * Amsterdamer Vertrag: halb volles Glas für Militarisierer * Blutiger Durchburch in Kosovo und Köln * EU-Armee für Einsätze von Kongo bis zum Kaukasus * Das 20. Jahrhundert endet, wie es begonnen hat
IV. Der Beginn des 21. Jahrhunderts - Umfassende Entfesselung
Weltmarkt - Weltmacht - Weltkrieg?
USA: Militarisierung zum Kampf gegen den Abstieg * EU: Militarisierung zum Kampf um den Aufstieg
Marsch nach Kerneuropa
Historische Vorläufer von Kerneuropa * EU-Verfassung: Militarisierung als Pflicht * „Flucht nach vorne“ * Über Kerneuropa zur Weltmacht Nr. 1 * Europäische Sicherheitsstrategie: Erdöl, Schurken, Präventivkriege
Sturmtruppen und Kolonialarmeen
„An jeden denkbaren Ort der Welt“ * Der Kampf ums Hauptquartier * EU als „Out of area“-Großmacht * „Der Balkan ist unser Hinterhof“ * „Afghanistan, was haben wir da zu suchen?“ * Afrika: „Keine zimperliche Geburtsstunde“ * Naher Osten: Koloniale Tauschhändel
Waffen für Angriffskrieg und Massenvernichtung
Ziel: Verdoppelung der Rüstungsinvestitionen * „Kanonen statt Butter“ * Atommacht: gezielter nuklearer Ersteinsatz gegen Schurkenstaaten * Weltraum: mit Galileo zum High-tech-Blitzkrieg * „Globale Mobilität“ und „verlustminimale Kampfführung auf Distanz“ * „Seemacht ist Weltmacht“
Kriegswaffenindustrie: „Wir haben das Wachstum unter Vertrag“
EADS: Nummer 1 beim Auftragsbestand * Kommt die „EADS der Meere“? * Rüstungsallianzen * Doppelmonarchie von Finanzkapital und militärisch-industriellem Komplex
Planziel: „Kriege von der Größenordnung des Golfkrieges“
EU-„Schlachtgruppen“: „archaische Krieger“ für Dschungel, Wüste, Hochgebirge und Häuserkampf
„Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen“ * „Kriege wagen und gewinnen“