Bei der antifaschistischen Mahnwache am 15. September 2022 in Wels beschäftigte sich der Buchautor Hans Henning Scharsach mit der Rolle deutschnationaler Burschenschafter in Österreich.

 

Liebe Freundinnen und Freunde,

bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich mich bei jeder und jedem einzelnen von ihnen bedanken, dass sie heute gekommen sind. Die Politik unseres Landes stellt sich blind gegenüber der Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht. Jetzt sind wir es, die laut werden müssen, die diese Gefahren für die Menschen sichtbar machen müssen.

Rechtsextremismus spielt sich auf zwei Ebenen ab. Die untere Ebene hat unsere Freundin, die Abgeordnete Sabine Schatz, in einer Anfrage an den Innenminister kürzlich thematisiert. Die Antwort war erschreckend. 270 rechtsextrem motivierte Tathandlungen in nur sechs Monaten. Und OÖ ist wieder einmal einsame Spitze.

Seit Jahren sind wir in Österreich mit Schändungen von Gedenkstätten und jüdischen Friedhöfen konfrontiert, mit antisemitischen und antimuslimischen Schmieraktionen, mit neonazistischen Postings, mit Mordaufrufen im Internet und mit Gewaltverbrechen bis hin zu Brandstiftungen.

Und trotzdem geht die viel größere Gefahr für Rechtsstaat und Demokratie vom intellektuellen Oberbau des Rechtsextremismus aus: Von den ideologischen Vordenkern in den deutschnationalen, schlagenden Burschenschaften, deren Mittelschülerverbindungen hier in Wels ihren Burschentag abhalten.

Diese Burschenschaften haben sich aus den Traditionen des Nationalsozialismus nie gelöst. Sie waren nicht Wegbegleiter, sondern Wegbereiter von Hitlers Rassen- und Vernichtungspolitik. Mehr als 100 Jahre vor Beginn der nationalsozialistischen Terror-Herrschaft, --- beim Wartburgfest von 1817, --- bei dieser legendären Gründungsveranstaltung der Burschenschaften, wurde eine Resolution verlesen, in der gefordert wurde (Zitat) „die Kaste der Juden … mit Stumpf und Stiel auszurotten“.

  • 100 Jahre vor Beginn des Nationalsozialismus waren die Burschenschaften schon antisemitisch, gewaltbereit und haben die Ausrottung der Juden gefordert.
  • Im Nationalsozialismus waren die Burschenschafter dann alles andere als unbedeutende Mitläufer. Sie waren Vordenker und Gestalter des verbrecherischen Regimes. Und sie haben sich als Exekutoren des Massenmordes besonders hervorgetan.
  • Schon auf dem Wartburgfest haben die Burschenschafter die erste Bücherverbrennung zelebriert. 1933 organisierten sie dann Bücherverbrennungen in 63 deutschen Städten, diesmal bereits assistiert vom nationalsozialistischen Studentenbund und der SA. Mit dieser Verbrennung von Büchern jüdischer Autoren haben Burschenschafter auch die (Zitat) „lesenden Aasfliegen“ geächtet, die sich erdreisteten, „undeutsches Schriftgut“ zu konsumieren.
  • 1933 organisierten Burschenschafter Hitlers Marsch auf die Feldherrenhalle.
  • 1934 zettelten die Burschenschafter den nationalsozialistischen Juliputsch in Wien an.
  • In der Verbotszeit vor 1938 fungierte jede einzelne Österreichische Burschenschaft (Zitat) „als in sich geschlossener Kampftruppenteil für den illegalen Nationalsozialismus“. So hat das der Rektor der Wiener Universität in einer Festschrift formuliert.
  • Nach dem Einmarsch machten Burschenschafter in Hitlers Vernichtungsbürokratie Karriere.
  • Es waren Burschenschafter, die bei diesem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte an den Schalthebeln saßen, die in den Vernichtungslagern den Massenmord organisierten.
  • Und als nach Kriegsende das ganze Ausmaß der Verbrechen sichtbar wurde, haben die Burschenschaften nicht einmal die schlimmsten Nazi-Verbrecher aus ihren Mitgliederlisten gestrichen. Im Gegenteil: Beim alljährlichen Toten-Gedenken wird Jahr für Jahr der „besonderen Verdienste“ der Verstorbenen gedacht.
  • Da wird der „besonderen Verdienste“ von Burschenschaftern wie Ernst Kaltenbrunner gedacht, der als Chef des Reichssicherheitshauptamtes die zentrale Figur von Hitlers Terror- und Tötungsmaschinerie war.
  • Oder der „besonderen Verdienste“ des Burschenschafters Irmfried Eberl, der als Kommandant des Vernichtungslagers Treblinka zu den Organisatoren des fabriksmäßig organisierten Massenmordes zählte.

Zu den wichtigsten Traditionsmerkmalen der Burschenschaften zählt der Antisemitismus. Man kann das als aufgeklärter Demokrat kaum glauben: In Burschenschaften gilt immer noch der Arier-Paragraf der Nazis, auch wenn dieser heute unter der harmlos klingenden Bezeichnung Abstammungsprinzip schamhaft versteckt wird.

Österreich hat sich in seiner Bundesverfassung dazu verpflichtet, alle Spuren des Nationalsozialismus aus Gesellschaft und Politik zu tilgen. Ich glaube wir sind uns einig, was Spuren heißt: Auch kleinste Teile.

Der Arier-Paragraf ist aber kein kleiner, kein unbedeutender Teil der nationalsozialistischen Terror-Herrschaft. Dieser Arier-Paragraf war Ausgangspunkt und Grundlage dessen, was zuletzt im industriell organisierten Massenmord endete.

Gleichzeitig verbietet Österreichs Bundesverfassung auch jede Werbung für Großdeutschland. Zum Wesen der Burschenschaften aber gehört das Bekenntnis zum „deutschen Vaterland“. Die österreichische Nation wird als „Hirngespinst“ lächerlich gemacht oder als „Missgeburt“ verunglimpft.

  • Der Burschenschafter und FPÖ-Parlamentarier Werner Neubauer begann seine Rede bei einer Anti-Minarett-Demo in Deutschland mit den Worten: „Liebe deutsche Landsleute. Ich darf das sagen, weil ich Deutscher bin…“ Das sagt ein Parlamentarier der für Österreicher Politik machen soll.
  • Als die Burschenschaft Olympia den Vorsitz des Dachverbandes übernahm, dem deutsche und österreichische Burschenschaften angehören, forderte sie allen Ernstes (Zitat) „Österreich in die Deutsche Wiedervereinigung einzubeziehen“.

Deutlicher lässt sich Verfassungsfeindlichkeit nicht artikulieren.

Dass die österreichische Justiz trotz solch eindeutiger Tatbestände nicht reagiert hat, dass Burschenschaften nicht verboten wurden, ja, nicht einmal gegen sie ermittelt wurde, das halte ich für Rechtsverweigerung.

Liebe Freundinnen und Freunde,

die Zeit reicht einfach nicht aus, all das, was in Burschenschaften passiert, auch nur aufzählen zu können:

  • Tatsache ist, dass die gewaltbereitesten Neonazis dieses Landes aus Burschenschaften hervorgegangen sind.
  • Burschenschafter nehmen nicht nur an Neonazi-Aufmärschen teil, sondern auch an Traditionsveranstaltungen der Waffen-SS, die für die schlimmsten Verbrechen des Zweiten Weltkrieges steht.
  • Burschenschafter stehen an vorderster Front der so genannten Revisionisten, also der braunen Geschichtsfälscher, die versuchen, die NS-Verbrechen zu verharmlosen.
  • Burschenschaften werben für Veranstaltungen mit Originalplakaten aus der Nazi-Zeit, auf denen nur das Hakenkreuz übermalt ist.
  • In der burschenschaftlichen Jugendzeitschrift „Identität“ wurde allen Ernstes gefordert, Menschenrechte (Zitat) „auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen“.
  • Und dann gibt es nicht zuletzt die Feste der Burschenschaften, bei denen neonazistische Liedermacher für Stimmung sorgen, wie etwa der Nazi-Barde Frank Rennicke mit seinen Hitler- und Hess-Balladen oder der mittlerweile verstorbene Liedermacher Michael Müller. Der hat uns den wahrscheinlich schlimmsten Text hinterlassen hat, der je gereimt wurde. Er hat den Schlager von Udo-Jürgens, „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, umgedichtet: „Mit sechs Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an, bis sechs Millionen Juden, da bleibt der Ofen an.“
  • Bei so genannten Bildungsveranstaltungen der Burschenschaften treten die schlimmsten neonazistischen und antisemitischen Brandredner des deutschen Sprachraumes auf, um den akademischen Nachwuchs zu indoktrinieren.
  • Die Subvention des Welser Bürgermeisters für diesen Burschentag ist also eine Subvention für die Kaderschmiede des Rechtsextremismus.

Liebe Freundinnen und Freunde, auf einer Website des burschenschaftlich geführten Freiheitlichen Akademikerverbandes fand sich der folgende Eintrag eines Burschenschafters: (Zitat)

„Demokratie schafft immer Unordnung, sie spaltet das Volk, sie ist eine Fehlgeburt der Geschichte, die Hure des Westens.“

Demokratie als „Fehlgeburt der Geschichte“ und „Hure des Westens“: Präziser kann man es nicht auf den Punkt bringen, was diesem Land droht, wenn sich die Zivilgesellschaft den burschenschaftlichen Anschlägen auf unsere politische Kultur des demokratischen Miteinander nicht entschlossen in den Weg stellt.

Und darum bitte ich euch, liebe Freundinnen und Freunde: Werdet laut. Meldet euch zu Wort. Geht auf die Straße. Schreibt Leserbriefe.

Errichtet ein Bollwerk der Menschlichkeit, ein Bollwerk des demokratischen Miteinander ein Bollwerk der Solidarität und der Nächstenliebe gegen jene Burschenschafter, die als Verfassungsfeinde bis in Regierungspositionen aufsteigen konnten und das mörderische Erbe der Nazis bis heute hochhalten.

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HINWEIS:
Antifaschistischer Erfolg: Heuer zum ersten Mal keine Landesförderungen für rechtsextreme Burschenschaften in OÖ >> Weiterlesen