Angesichts der steigenden Teuerung sind Umverteilung und Armutsbekämpfung jetzt dringlicher denn je. Ein Forderungspapier der Solidarwerkstatt Österreich.


Wir hatten lange Zeit hoher Arbeitslosigkeit, stagnierende bzw. sinkende Reallöhne und eine sehr niedrige Inflation. Wir erleben derzeit einen deutlichen Anstieg der Inflation, die Ursachen dafür sind vielfältig:

  • Die Einführung des Euro hatte kaum wirtschaftliche, sondern vor allem politische Gründe. Damit sollte ein weiterer Schritt zur Herausbildung der EU als globales Imperium durchgesetzt werden. Die Hoffnung über eine gemeinsame Währung würde es im Selbstlauf zu einer Konvergenz der Volkswirtschaften der Euroländer kommen, hat sich als Irrglaube erwiesen und bleibt auch weiterhin ein Irrglaube. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 wäre die Euro-Zone beinahe zerbrochen. Der Versuch über eine desaströse Austeritätspolitik dieses Monstrum zu retten, hat die Lage nur noch weiter verschärft. Auch die österreichische Bundesregierung unter dem Sozialdemokraten Werner Feymann hat diese desaströse Politik befördert. So wurden die Realeinkommen von öffentlich Bediensteten und Pensionist*innen gezielt gesenkt. Diese Politik ist kolossal gescheitert. Also ging die EZB zu einer expansiven Geldpolitik über. Diese wurde jedoch nicht von einer expansiven Fiskalpolitik begleitet. Auch die privaten Investitionen blieben zurück. Es ergaben sich Jahre der Unterkonsumption und Unterinvestition und trotz der expansiven Geldpolitik der EZB wurde das Inflationsziel von 2% nicht erreicht.
  • Die Ausschüttung großer Geldsummen in der Zeit der Covid-Pandemie, hat diese Fehlentwicklung nochmals verstärkt. Viele der Covidhilfen landeten auf Sparkonten. Reiche wurden reicher, während viele, die wirklich Hilfe brauchten und brauchen, in existenzielle Not gestürzt wurden. Gleichzeitig führte die Pandemie zu einem Angebotsschock: Die Wirtschaftsleistung schrumpfte dramatisch, Lieferketten wurden unterbrochen und konnten auch nach der Pandemie nicht auf Vorkrisenniveau zurückgeführt werden.
  • Der Ukrainekrieg, Wirtschaftssanktionen und Hochrüstung haben jetzt zu einer Trendumkehr geführt.
  • Die EU-Strommarktliberalisierung, wodurch sich der Strompreis an den Börsen nach dem Merit-Order-Prinzip bildet: Die Kraftwerke mit den höchsten Grenzkosten – fossile Kraftwerke - bestimmen den Preis. Das treibt auch in Österreich den Strompreis in die Höhe, obwohl Österreichs Strom zu 80 Prozent aus erneuerbarer Energie kommt und der Ukrainekrieg keine Auswirkungen auf Wind-, Solar- und Wasserkraft hat.
  • Das Anziehen der Lohneinkommen in den Schwellenländern

Ebenso unterschiedlich wie die Ursachen sind auch die Wirkungen der Inflation: Sie hilft den Schuldnern bei der Entschuldung (z.B. den öffentlichen Haushalten) und trifft die Gläubiger. Gleichzeitig frisst die Inflation bei manchen den Notgroschen weg. Besonders peinigt die Teuerung bei existenziellen Gütern Menschen mit niedrigem Einkommen, während hohe Einkommensbezieher diese leicht verkraften, da diese Güter relativ nur einen kleinen Anteil an ihren Ausgaben darstellen.

Angesichts einer steigenden Inflation brauchen wir daher sofort eine engagierte Umverteilungspolitik zugunsten von Menschen mit geringem Einkommen, um die wachsende Armut zu bekämpfen. Zugleich müssen die Weichen für eine ökosoziale Strukturreformen gelegt werden, die die relativen Preise zugunsten von Nachhaltigkeit und solidarischem Ausgleich verschieben.

Sofort wirksame Maßnahmen:
  • Kräftige Anhebung der Sozialleistungen: Einmalzahlungen reichen nicht aus. Wir brauchen die Anhebung des Arbeitslosengeldes auf mindestens 70% des Letzteinkommens, entsprechende Anhebung der Notstandshilfe; existenzsichernde Anhebung von Mindestsicherung/Sozialhilfe, Ausgleichszulage bei den Pensionen, Studienbeihilfen, der Wohnbeihilfen etc. und die Indexierung dieser Sozialleistungen. Das sind enorm treffsichere Maßnahmen und wichtiger, als mit der Gießkanne Einmalzahlungen auf arm und reich gleichermaßen niedertröpfeln zu lassen.
  • Sofortige Anhebung der Mindestlöhne auf mindestens 2.000 Euro brutto. Für die Kollektivvertragsverhandlungen: kräftige Sockelbeiträge, um die unteren Einkommen deutlich anzuheben. Das gleiche gilt für die dringend notwendige Erhöhung der Pensionen.
  • Erschwingliche Wohnungsmieten: Maßnahmen in diese Richtung: Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Mieten, Einführung von wirksamen Mietpreisobergrenzen im geförderten Wohnbau und bei vollständig amortisierten Gebäuden, Einschränkung der Befristungsmöglichkeiten von Mieten. Vor allem brauchen wieder massive Investitionen in den sozialen Wohnbau, um erschwinglichen Wohnraum für alle statt Betongold für wenige zu schaffen.
  • Sofortige Verbilligung des ÖPNV nach dem Beispiel des 9 Euro-Tickets in Deutschland. Sofortige Einführung des 365 Euro-Klimatickets in allen Bundesländern!
  • Einführung von neuen Tempolimits: 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Bundesstraßen und 30 km/h im Ortsgebiet. Das ist nicht nur ökologisch sinnvoll und rettet Menschenleben, das erspart auch Treibstoffkosten bei gleichen Wegstrecken.
  • Ausstieg aus den Wirtschaftskriegen der EU, die in der Regel die ärmeren Bevölkerungsgruppen auf allen Seiten am härtesten treffen und in jeder Hinsicht mit doppelten Standards agieren (Haben wir jemals Sanktionen gegen die USA oder andere westliche Staaten wegen deren Kriegspolitik und Menschenrechtsverbrechen ausgerufen?)
  • Keine Beteiligung an der Hochrüstungspolitik des „Strategischen Kompass“ der EU. Hohe Rüstungsausgaben heizen die Inflation an. Denn volkswirtschaftlich gesehen vergeuden sie Unsummen für Güter, die – bestenfalls – unproduktiv auf Halde stehen, schlimmstenfalls zur Zerstörung wirtschaftlichen Reichtums führen. Engagement Österreichs für Verhandlungen im Ukrainekrieg statt Finanzierung von Waffenlieferungen. Nichts kommt den Menschen teurer zu stehen als Hochrüstung und Krieg.
  • Einkommenssteuerreform – sozial statt neoliberal: Die viel gefeierte Abschaffung der „Kalten Progression“ ist ein trojanisches Pferd des Neoliberalismus. Sie bevorzugt eindeutig die oberen Einkommensgruppen: Laut Berechnungen des Momentum-Instituts gewinnen Haushalte im untersten Fünftel der Einkommen dadurch nur 72 Euro im Jahr, die Einkommen im höchsten Fünftel dagegen 552 Euro. Gleichzeitig werden dem Staat wichtige fiskalische Spielräume geraubt, was zumeist zu Lasten unterer Einkommensgruppen geht. Bekanntlich können sich den armen Staat nur die Reichen leisten. Wir fordern daher stattdessen, die Einkommenssteuerprogressionen im unteren und mittleren Bereich abzusenken und für hohe und höchste Einkommen deutlich anzuheben.
  • Statt Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und Energie: Senkung der MWSt auf Dienstleistungen und Reparaturen. Abschaffung der echten MWSt-Befreiung auf Exporte
  • Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern zur Finanzierung der Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau.
Sofort Weichen für sozialökologische Strukturreformen legen:
  • Ausweitung der öffentlichen Kassen für Gesundheit, Pflege und Bildung: Wir lehnen entschieden die ab 2023 geplante Senkung des Unfallversicherungsbeitrags der Arbeitgeber von 1,3% auf 1,2% ab. Dadurch entgehen der Unfallversicherung und der Gesundheitskasse (die ÖGK muss die Hälfte an die AUVA refundieren) in Summe 140 Millionen. Mitten in einer der größten Gesundheitskrisen die Gesundheitstöpfe zu senken, um den Großkonzernen ein Körberlgeld zu verschaffen, ist völlig absurd. Wir brauchen das Gegenteil: nämlich die Ausweitung der gemeinschaftlichen Kassen, finanziert durch Beiträge auf alle Komponenten der Wertschöpfung. Denn zu den härtesten Belastungen für sozial benachteiligte Haushalte zählen schlechte öffentliche Leistungen insbesondere im Gesundheits-, Pflege- und Bildungsbereich. Wichtige Maßnahmen, die daher sofort begonnen werden müssen, sind daher:
    • Aufhebung der Deckelung der Gesundheitsausgaben
    • Einbeziehung der Pflege in die Sozialversicherung – Sachleistungs- statt Geldleistungsprinzip in der Pflege!
    • Ausweitung eines qualitativ hochstehenden kostenlosen öffentlichen Bildungsangebots vom Elementarbereich bis zur Universität
  • Verkehrswende: Investitionsoffensive im öffentlichen Verkehr, um ein flächendeckendes attraktives Angebot nicht nur in den Ballungsräumen, sondern auch in ländlichen Regionen anzubieten. Über eine Million Menschen in Österreich sind „mobilitätsarm“, weil sie sich ein Auto nicht leisten können und der öffentliche Verkehr nicht erschwinglich bzw. nicht ausreichend vorhanden ist. Wir fordern daher die schrittweise Einführung des Nulltarifs im öffentlichen Verkehr, finanziert über eine wertschöpfungsbezogene Mobilitätsabgabe. Abschaffung des Pendlerpauschales, wenn ein annehmbares öffentlichen Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit existiert. Stopp des Baus neuer Autobahnen und anderer fossiler Großprojekte!
  • Energiewende: Ausstieg aus der EU-Energie-/Strommarktliberalisierung und dem Energiecharta-Vertrag; Ausweitung/Rückgewinnung des öffentlichen Eigentums im Energiesektor. Das sind wichtige Voraussetzungen, um den Energiesektor von der Börse zu entkoppeln und sozial und ökologisch regulieren zu können. Orientierung in Richtung Energieautarkie auf der Grundlage erneuerbarer Energie bzw. engagierter Energiesparmaßnahmen (z.B. ökologische Formen der Wärmedämmung, energie- und verkehrssparende Raumordnungs- und Siedlungspolitik).
  • Ernährungs- und Agrarwende, die die Ernährungssouveränität Österreichs auf der Grundlage biologischer Landwirtschaft fördert, um sich aus der Abhängigkeit von Agrarfabriken und Freihandelsabkommen zu befreien, die Natur und Lebensbedingungen vor allem in den Ländern des Südens aber auch bei uns zerstören. Wir müssen uns allerdings bewusst sein: Das verteuert zunächst unsere Lebensmittel, um den ökologisch und sozial Produzierenden faire Preise zu gewährleisten. Gute Löhne, existenzsichernde Sozialleistungen und eine für alle zugängliche qualitativ hochstehende öffentliche Infrastrukturen sichern ein gutes Leben für alle und nicht Dumpingpreise im Lebensmittelbereich auf Kosten von Mensch und Natur. Längerfristig gilt ohnedies: Wenn uns die ökologische Wende nicht gelingt, werden in Hinkunft die Zerstörung fruchtbarer Ackerböden sowie klimabedingte Umweltschäden zu massiven Kostentreibern werden, die die sozial Benachteiligten am härtesten treffen.
  • Rückgewinnung einer souveränen, demokratisch gestaltbaren Wirtschaftspolitik. Diese tiefgreifenden sozialökologischen Veränderungen sind mit der Unterordnung unter den neoliberalen EU-Binnenmarkt samt Währungsunion, Freihandelsverträgen und Austeritätsvorgaben unvereinbar.

Vorstand der Solidarwerkstatt Österreich, Juli 2022