Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, begann mit dem Überfall Hitler-Deutschlands auf Polen der 2. Weltkrieg, der 60 bis 65 Millionen Menschen das Leben kostete. Aus Anlass des 80. Jahrestags des Beginns des 2. Weltkriegs lud die Solidarwerkstatt Österreich am 1. September 2019 zu einer Friedenswanderung nach St. Valentin ein. Unser Motto: „Die Waffen nieder!“ Inhaltlich spannte diese Wanderung einen Bogen von der Rüstungsgeschichte St. Valentins im Dritten Reich bis hin zu den politischen Lehren, die wir für die Gegenwart aus den Gräueln von Faschismus und Weltkrieg ziehen müssen.

 

Der Auftakt dieser Wanderung fand im Bahnhofspark in St. Valentin statt, wo die Bürgermeisterin von St. Valentin Kerstin Suchan-Mayr die TeilnehmerInnen begrüßte. Sie betonte, wie wichtig solche Friedensaktivitäten sind, um auch in heutigen Generationen die Botschaft „Niemals vergessen!“ zu verankern. Deshalb habe man den Bahnhofspark in St. Valentin in einen Friedenspark verwandelt, in dem bedeutsame FriedensaktivistInnen auf Tafeln gewürdigt werden. 2015 wurde hier ein antifaschistisches Denkmal errichtet, um an die dunkle Zeit St. Valentins im Nationalsozialismus zu erinnern. Auf der Aufschrift heißt es: „Menschenrechte wurden mit Füßen getreten und NS-Opfer geknechtet. Über grob behauene Pflastersteine mussten die Häftlinge zum Nibelungenwerk marschieren und dort unter härtesten Bedingungen Zwangsarbeit verrichten. Betonsäulen und Stacheldraht versperrten ihnen den Weg in die Freiheit und nahmen ihnen ihre Würde.“

Das „Nibelungenwerk“ - eine der größten Panzerschmieden des 3. Reichs

Danach ging es weiter nach Erla, wo der Historiker Josef Reisinger Einblick in diese dunkle Geschichte St. Valentins in der NS-Zeit gab, die untrennbar mit der Errichtung der „Spielwarenfabrik“ verbunden ist. Unter diesem Tarnnamen errichteten die Nazis zwischen 1939 und 1941 das „Nibelungenwerk“, eine der drei größten Panzerfabriken im Dritten Reich. Die enorme Bedeutung dieser Panzerschmiede ist heute weitgehend unbekannt. Hier wurden mit 4.350 Stück mehr als die Hälfte aller „Standardpanzer IV“ produziert, des meistgebauten deutschen Panzers im 2. Weltkrieg. 15.000 Menschen arbeiteten in St. Valentin für die Kriegsproduktion, darunter – mit Fortdauer des Krieges – immer mehr Zwangsarbeiter. Am unteren Ende der Hierarchie standen KZ-Häftlinge aus dem nahegelegenen KZ Mauthausen. Die „Todesstiege“ in Mauthausen diente unter anderem zur „Selektion“ für die Rüstungsproduktion in St. Valentin. Rd. 1.500 bis 1.700 KZ Häftlinge kamen in den Nibelungenwerken zum Einsatz. Bis zu einem Drittel überlebte das mörderische Arbeitsregime nicht.

Bemerkenswerterweise findet sich der Plan für die Errichtung des Panzerwerks in St. Valentin bereits im deutschen Vierjahresplan von 1936, also zwei Jahre vor der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland. Das verweist einmal mehr darauf, wie bedeutsam für die Nazis die Einbeziehung der wirtschaftlichen Potentiale Österreichs in die Kriegsvorbereitung war. Deutsche Kapitalgruppen hatten bereits im Vorfeld des „Anschlusses“ immer mehr Einfluss im österreichischen Industrie- und Bankensektor an sich gerissen (sh. Hans Hautmann: „Zur Rolle des Finanzkapitals bei der Heranführung des Anschlusses“).

Josef Reisinger hat die Geschichte des Panzerwerks wissenschaftlich aufgearbeitet und im Buch „Codename Spielwarenfabrik“ publiziert. Er schilderte, dass die Recherchearbeit äußerst mühsam war, da in den 80er Jahren die Archive des Werks einem dubiosen Brand zum Opfer fielen. Auch etliche andere NS-Archive wurden zu dieser Zeit unter aufklärungswürdigen Umständen vernichtet, worauf der eh. OÖ Landtagsabgeordnete Helmut Edelmayer (Mauthausen-Komitee) in der Diskussion hinwies.

Gedenken an die St. Valentiner Widerstandskämpferin Anna Strasser

Nach einem Besuch der zeitgeschichtlichen Expositur des Museums St. Valentin wanderten wir einige Kilometer nach Herzograd, zur Gedenkstätte am Anna-Strasser-Platz. Auf dem Weg erzählte der St. Valentiner Christian Eder über die bemerkenswerte Geschichte der Widerstandskämpferin Anna Strasser. Die tiefgläubige Katholikin aus St. Valentin half Häftlingen im KZ Mauthausen und im Nibelungenwerk und versorgte sie heimlich mit Lebensmitteln. Vielen rettete sie dadurch das Leben. Im Herbst 1944 wurde sie deshalb von der Gestapo verhaftet und sollte wegen Hochverrats in KZ Ravensbrück gebracht werden. Stattdessen kam sie jedoch ins Straflager Oberlanzendorf, wo sie schwer erkranke. Ein Arzt, der ebenfalls im Widerstand aktiv war, rettete ihr das Leben. Erst sehr spät – im Jahr 1999 – wurde sie für ihren Widerstand geehrt und zur Ehrenbürgerin von St. Valentin ernannt. Nach ihrem Tod im Jahr 2010 wurde ein Platz im Gelände der eh. Nibelungenwerke nach ihr benannt. Dort fand schließlich die Abschlusskundgebung unserer Friedenswanderung statt, bei der sich verschiedene RednerInnen mit den Lehren für die Gegenwart auseinandersetzten.

„Seien wir wachsam – verteidigen wir den Sozialstaat!“

Horst Huemer, Betriebsrats-Vorsitzender in einem großen Linzer Industriebetrieb, betonte die Bedeutung von Sozialstaat und Gewerkschaften. Die soziale Existenznot bereitete dem Aufstieg des Faschismus den Boden. Der Faschismus zerstörte schließlich Gewerkschaften und Demokratie. Horst Huemer verwies auf den Gewerkschafter Karl Maisel, der in der Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus verhaftet wurde und sich nach 1945 an der Neugründung der Metallarbeiter-Gewerkschaft beteiligte. Als Sozialminister (1945 – 1956) trug er maßgeblich zum Aufbau des Sozialstaats in der 2. Republik bei – Sozialversicherungen, Betriebsräte-Mitbestimmung, Feiertagsruhe, Arbeitslosenversicherung uvm wurden damals gesetzlich verankert. „Seien wir wachsam, verteidigen wir den Sozialstaat“, rief Huemer auf, „denn auch heute arbeiten wieder politische Kräfte daran, diese Errungenschaften zu beseitigen und den Sozialstaat zu einem ‚Auslaufmodell‘ zu machen. Das dürfen wir nicht zulassen!" Denn, so mahnte und ermutigte er abschließend: "Wir gestalten die Zukunft!"

„Friede ist keine Selbstverständlichkeit!“

Der sozialdemokratische Gewerkschafter Alfred Almeder (Wiener Verkehrsbetriebe), der im „Komitee Frieden für die Ukraine“ aktiv ist, unterstrich: „Wir brauchen wieder eine starke Friedensbewegung, denn Friede ist keine Selbstverständlichkeit“. Man sehe das heute, wo durch die Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA eine brandgefährliche Dynamik des atomaren Aufrüstens losgetreten wird und die westlichen Großmächte wieder militärisch gegen Russland mobilisieren. Almeder: „Die Sowjetunion hat mit 27 Millionen Toten die Hauptlast in der Niederringung des Hitlerfaschismus und damit auch zur Befreiung Österreichs getragen hat. Statt die Straßen panzerfit für den Aufmarsch gegen Osten zu machen, soll sich Österreich auf seine Neutralität besinnen und eine eigenständige Außenpolitik betreiben, die sich um Abrüstung und Dialog bemüht.“

„Ausstieg aus der EU-SSZ!“

Norbert Bauer (Christgewerkschafter, Betriebsrat im einer Wiener Hotelkette und Vorsitzender der Solidarwerkstatt) betonte, dass in der 2. Republik mit Staatsvertrag und Neutralitätsgesetz die entscheidenden Lehren aus den Gräuel von Faschismus und Krieg gezogen wurden: „Nie  wieder deutsche Großindustrie auf österreichischem Gebiet, nie wieder deutsche Soldaten auf österreichischem Boden, nie wieder Teil eines Militärbündnisses sein.“ Bauer weiter: „Umso schauderhafter freilich ist die Tatsache, dass im Jahre 2019 die einst so klar erkannten Lehren beinahe völlig vergessen scheinen. Österreich ist durch die EU-Mitgliedschaft wieder Teil eines von Deutschland dominierten wirtschaftlichen und militärischen ‚Großraums‘ geworden. Mit der jüngsten Teilnahme Österreichs an der ‚Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit‘ (EU-SSZ bzw. PESCO) wird die nun schon seit Jahren betriebene Aushöhlung der Immerwährenden Neutralität weiter fortgesetzt. Die EU-SSZ treibt eine gewaltige Aufrüstungsspirale an; für Österreich bedeutet das mittelfristig eine Verdreifachung der Militärausgaben und die Verpflichtung zur Teilnahme an EU-Militäreinsätzen.“ Der Ausstieg Österreichs aus der EU-SSZ sei daher ein Gebot der Stunde. Besonders erfreut zeigte sich Bauer daher, dass die SPÖ Niederösterreich auf ihrem letzten Parteitag die Forderung nach Ausstieg aus der EU-SSZ einstimmig beschlossen hat.

Nein zum Größenwahn!

Peter Öfferlbauer, aktiv bei der christlichen Friedensbewegung Pax Christi, wies darauf hin, dass Pax Christi noch vor Kriegsende gegründet wurde, um nie wieder solche Gräuel zuzulassen. Öfferlbauer warnte vor dem politischen und militärischen Größenwahn, der sich in der derzeitigen EU-Entwicklung, z.B. mit der EU-SSZ manifestiert. Völlig unverständlich seien daher die wiederkehrenden Polemiken des Bundespräsidenten gegen die sog. „Kleinstaaterei“. Die Geschichte der deutschen Reichsbildung nach 1870 bzw. der USA ab 1945 zeige vielmehr, dass der Drang zu imperialer Größe brandgefährlich sei und die Menschheit immer wieder in fürchterliche Kriege stürze. „In Geschichte sehen wir immer wieder: Kleine Staaten – kleine Verbrechen, große Staaten – große Verbrechen“, spitzte Öfferlbauer plakativ zu.

„Wir wollen Frieden mit Russland!“

Willi Langthaler vom Personenkomitee Selbstbestimmtes Österreich kritisierte die Unterordnung Österreichs unter die EU-Außenpolitik, die immer wieder blutige Eskalationen in der europäischen Nachbarschaft anheizt: zum Beispiel am Balkan, im Nahen Osten, in der Ukraine. „Wie ist es mit dem offiziellen Bekenntnis zum Antifaschismus vereinbar, dass die EU rechtsextreme Kräfte in der Ukraine unterstützt – und die österreichische Regierung diese verantwortungslose Politik mitträgt“, fragte Langthaler und fordert: „Eine der großen Lehren aus dem dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit muss für die österreichische Außenpolitik heißen: Wir wollen Frieden mit Russland, Schluss mit den Sanktionen gegen Russland!“

„Gemeinsames Haus Europa“

Boris Lechthaler, Solidarwerkstatt Österreich, knüpfte unmittelbar daran: „Wir sind heute, 2019, mit einer Reihe von Konflikten in Europa konfrontiert: Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Transnistrien, Ukraine, Donetsk, Lugansk, Krim, Südossetien, Abchasien. Auch im Westen sind Konturen derartiger Konflikte erkennbar: Schottland, Nordirland, Katalonien. Die EU kann diese Konflikte nicht lösen, weder militärisch noch politisch. Wir brauchen einen Neustart im Sinne der Formel eines Gemeinsamen Hauses Europa, unter Einschluss Russlands, um diese Konflikte bearbeiten zu können. Österreich wäre auf Grundlage seiner Neutralität prädestiniert, hier als Katalysator zu wirken. Damit Österreich aber als ehrlicher Makler für einen solchen Neustart wirken kann, bedarf es des konsequenten Bruchs mit der Unterordnung unter die Militarisierung der EU!“ Sein Aufruf daher: „Militärblöcke spalten - Neutralität verbindet! Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es lebe ein freies, solidarisches, neutrales und weltoffenes Österreich!“

Die abschließenden Worte gehörten nochmals der Bürgermeisterin von St. Valentin Kerstin Suchan-Mayr. Auch sie appellierte daran, Frieden und Neutralität in Österreich zu erhalten, damit unser Land international Brückenbauer und Dialogstifter sein kann. Und sie freue sich, wenn sie in den nächsten Jahren wieder FriedenswandererInnen in St. Valentin begrüßen dürfe.

Diese Botschaft nehmen wir sehr gerne mit.

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