Die türkis-grüne Regierung hungert die Unfallversicherung weiter aus. Schon jetzt ist die Situation vielfach prekär. Interview des Werkstatt-Blatts mit Martina Kronsteiner, Betriebsratsvorsitzende im Unfallkrankenhaus Linz.

 

Werkstatt-Blatt: Die türkis-grüne Regierung hat im Zuge der „Anti-Teuerungsmaßnahmen“ den UV-Beitrag von 1,2 auf 1,1% gesenkt? Weche Auswirkungen hat das auf die Unfallversicherung?

Martina Kronsteiner: Vorerst möchte ich einige Eckdaten zur AUVA bekannt geben, die wesentlich sind, um die Auswirkungen der Beitragssenkung zu verstehen. Die AUVA ist Österreichs größter Unfallversicherungsträger mit über 4,5 Millionen Versicherten (3 Mio. Arbeitnehmer:innen, 1,5 Mio Schüler:innen und Kindergartenkinder sowie freiwillige Hilfsorganisationen,…) Wir versorgen jährlich ca. 300.000 Patient:innen in 7 UKHs und 4 Rehazentren. Die AUVA beschäftigt dabei rund 5.800 Arbeitnehmer:innen. Seit 2019 wird die AUVA über einen Arbeitgeberbeitrag von 1,2% der Bruttolohnsumme ihrer Arbeitnehmer:innen finanziert. Die Selbstverwaltung der AUVA ist überwiegend Arbeitgeber:innen dominiert und das, obwohl die Arbeitgeber:innen nicht mehr in der AUVA versichert sind (durch die Änderungen des SVOG der schwarz-blauen Regierung).
Die Erfolgsgeschichte der AUVA beruht auf dem 4 Säulenprogramm. Alles aus einer Hand: Prävention, Unfallheilbehandlung, Rehabilitation und Rentenleistung. Der riesengroße Vorteil für die Unternehmen ist neben einer raschen Versorgung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, mit allen geeigneten Mitteln, das Haftungsprivileg. Dieses verpflichtet die AUVA sämtliche Kosten, die durch den Arbeitsunfall/ Berufskrankheit entstehen, zu tragen, ohne dass das Unternehmen haftbar gemacht werden kann. Gleichzeitig ist es daher nicht möglich, dass der/die Arbeitgeber:in von den Arbeitnehmer:innen auf Schadensersatz geklagt werden kann. (2020 waren es über 100.000 anerkannte Schadensfälle mit über 218 Mio. Euro Barleistung, dabei nicht inkludiert sind die medizinischen Leistungen). Seit der letzten Beitragssenkung 2019 ist die Gebarung der AUVA immer noch negativ und trotzdem wurde eine weitere Senkung beschlossen.

Die türkis-grüne Regierung hat im Zuge der „Anti-Teuerungsmaßnahmen“ den UV-Beitrag von 1,2 auf 1,1% gesenkt? Welche Auswirkungen hat das auf die Unfallversicherung?

Trotz negativer Gebarung wird der Unfallversicherungsbeitrag wieder um rund 140 Mio. Euro gekürzt. 70 Mio Euro werden durch die Reduzierung des Pauschbetrages nach §319a ASVG von der ÖGK gegenfinanziert. Dies bedeutet, dass der arbeitgeberfinanzierte UV-Beitrag durch Leistungen der Arbeitnehmer:innen aus der Krankenversicherung gegenfinanziert werden. Eine Umgehung der bisher rein arbeitgeberfinanzierten Unfallversicherung. Es kommt zu einer Verschiebung der Beitragsparität zu Gunsten der Arbeitgeber:innen.

Letztendlich fehlen der AUVA aber wieder rund 70 Mio. Euro zur Versorgung ihrer Patient:innen und zur Abdeckung von Rentenleistungen. Da die Rentenleistungen durch das ASVG gesetzlich abgesichert sind, kann nur bei den anderen drei Säulen der AUVA gespart werden. Seit den vergangenen Kürzungen ist auch in der Anerkennung von Schadensfällen durchaus eine sehr restriktive Haltung der AUVA zu erkennen, diese wird sich sicherlich weiter verstärken. Einsparungen im Verwaltungsbereich führen bereits jetzt zu extremer Arbeitsverdichtung, Schließlich mussten österreichweit Abteilungen wegen Personalmangel gesperrt werden, da man jungen Arbeitnehmerinnen im medizinischen Bereich nicht mehr viel zu bieten hat. Wie in Oberösterreich bekannt, musste auch die Brandverletzten-Abteilung wegen fehlender finanzieller Mittel geschlossen werden.

Mit dieser neuerlichen Beitragssenkung fehlen der AUVA wichtige Mittel, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Besonders ein Ausbau der Prävention und die Versorgung der Patient:innen mit allen geeigneten Mitteln ist in Gefahr. Es ist zu erwarten, dass die Sparpolitik innerhalb der AUVA fortgesetzt wird; wie weit wir da unsere Einrichtungen noch aufrecht erhalten können, ist mehr als fraglich. Da wir in unseren UKHs zum Teil mehr als 50% der Traumaversorgung in den Bundesländern (in OÖ ca. 70%) durchführen, sehe ich hier eine drastische Unterversorgung auf uns alle zukommen.

Welche Interessen stehen hinter dieser Aushungerung der Unfallversicherung?

Treibende Kraft bei der Beitragssenkung ist vor allem die Industriellenvereinigung, die von ihren Großkonzernen gesteuert wird. Am meisten profitieren werden von der Beitragssenkung Großkonzerne wie Spar, Rewe, Bipa, aber auch Banken und Versicherungen. Politische Kräfte wie ÖVP, FPÖ und NEOs benötigen die AUVA nicht, da sie nur Klientelpolitik machen. Zu ihrer Klientel zählen jedoch nur die Reichen und Großverdiener:innen, die in Österreich nahezu 90% des Gesamtvermögens besitzen.
Ein kleines Rechenbeispiel veranschaulicht, wer am meisten von der UV Beitragskürzung profitiert: Geht man von einer durchschnittlichen Lohnsumme von rund 3.900 Euro für Angestellte und 2.900 Euro für Arbeiter:innen aus, so beträgt die Ersparnis für das Unternehmen 3,99 Euro bzw. 2,91 Euro pro Monat und Arbeitnehmer:in. Diese Entlastung wird für einen kleinen Unternehmer mit wenig Arbeitnehmer:innen keine große sein, für große Betriebe mit einigen Tausend Arbeitnehmer:innen dagegen schon. Diese könnten sich ihre Arbeitsunfälle aber auch aus ihrem Budget leisten, der kleine Betrieb jedoch nicht. Bei einem durchschnittlichen Kleinbetrieb mit 5 Arbeitnehmer:innen beträgt die Einsparung nur 150 – 200 Euro im Jahr.

Große Unternehmen haben oft ihre Zentrale nicht in Österreich und versteuern ihre Gewinne nicht hier (Handelskonzerne, Automobilerzeugung und –zulieferer, Pharmaunternehmen,…). Dem Gesundheitssystem werden jedoch wieder rund 140 Mio. Euro entzogen und Leistungen werden wahrscheinlich gekürzt werden müssen. Die Reduktion führt daher zu Verschiebungen der Zahlungen von Arbeitgeber:innen zu Arbeitnehmer:innen, aber auch Pensionist:innen und allen anderen Steuerzahler:innen. (Steuern statt Beiträge). Die Interessen der Aushungerung stehen ganz klar auf Seiten der Großindustrie und würden das soziale Gleichgewicht innerhalb der Wirtschaft extrem gefährden.

Wie erlebst du die Sparpolitik vor Ort, also im Linzer Unfallkrankenhaus, wie wirkt sich das auf die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen aus?

Die Brandverletzten-Abteilung mussten wir, wie bereits gesagt, schon schließen, da sich ein wirtschaftliches und qualitätsvolles Betreiben unter den gegebenen Voraussetzungen nicht mehr gerechtfertigt hätte. Seit Oktober letzten Jahren haben wir nun auch eine Normalstation geschlossen, da wir aufgrund des Personalmangels (zum Teil auch coronabedingt) diese nicht betreiben können. Extremer Personalmangel im pflegerischen und ärztlichen Bereichen zwingt uns dazu, unsere Leistungen zu reduzieren; derzeit werden keine elektiven (nicht notfallmäßige, Anm.d.Red.) Operationen mehr für das heurige Jahr reserviert, um die Akutversorgung aufrecht zu erhalten. Dies kommt dem Budget der AUVA zu Gute, gefährdet allerdings die Versorgung in OÖ.

Die Stimmung innerhalb der AUVA Bediensteten ist derzeit sehr schlecht. Einerseits häufen sich die Überstunden in gewissen Bereichen und die Belastung ist extrem hoch, andererseits fürchten wir weitere Einsparungen, die zuerst immer das Personal betreffen. Auch wissen wir nicht, wie unsere Zukunft aussehen wird. Diese Unsicherheit demotiviert und führt dazu, dass uns bereits einige Kolleg:innen verlassen haben. Ärzt:innen gehen in die Allgemein- oder Privatordination, Pflegekräfte wechseln zu anderen Trägern oder steigen ganz aus dem Beruf aus. Wir in den UKHs möchten unsere Patient:innen qualitätsyoll versorgen und ihnen wieder einen guten Start in das Leben ermöglichen. Leider wird uns das sehr schwer gemacht und erste Qualitätseinbußen sind schon spürbar. Da wir jedoch keinen Versorgungsauftrag haben, im Gegensatz zu den Landesspitälern, kann sich die AUVA aus der Versorgung auch ganz zurückziehen und sich z. B. nur mehr auf Arbeitsunfälle beschränken. Ich möchte gar nicht daran denken, welche Auswirkungen dies für alle Oberösterreicher:innen hätte.

Was müsste aus deiner Sicht sofort getan werden, um die Weichen wieder in die richtige Richtung zu stellen? Was sind die dringendsten Maßnahmen im Spitals- bzw. im Gesundheitsbereich?

Unser Gesundheitssystem ist krank und das schon seit längerer Zeit. Begonnen hat alles mit der Erschließung des Gesundheitssystems als lukrativer Markt. Viele Player in unserem System sind nur auf Gewinne aus und tragen sehr wenig zur Gesunderhaltung unserer Bevölkerung bei. Die Sparpolitik im Gesundheitssystem, die konsequent von der ÖVP geführten Landes- und Bundesregierung verfolgt wird, gefährdet zunehmend unsere Gesundheitsversorgung.

Durch das Zurückdrängen des öffentlichen Bereiches und des Ausbaus der privaten Versorgung sehe ich eine akute Gesundheitskrise auf uns zukommen, das hat uns in einigen Bereichen Corona schon gezeigt. Während die öffentlichen Spitäler den Großteil der Versorgung sowohl von Corona-Kranken als auch alle anderen Patient:innen stemmen mussten, haben sich die privaten Anstalten (mit Ausnahme der Einrichtungen der Sozialversicherung) zurückgezogen. Private Träger nehmen sich nur die Zuckerl, sprich leichte Fälle mit denen Gewinner erzielt werden können, heraus. Die schweren, chronischen Fälle wie z. B. die Querschnitt-Verletzten, schweren Schädelpatient:Innen, Personen mit schweren internen Erkrankungen müssen immer von öffentlichen Spitälern und Einrichtungen der Sozialversicherung sowie von den Kassenärzt:innen behandelt werden. Somit bleiben die Verluste bei der Allgemeinheit hängen, während die Gewinne von Privaten abgestaubt werden. Gewinnerinnen sind dabei auch die privaten Versicherungen.

Es bedarf daher eines dringenden Umdenkens in der Politik. Spekulationen auf Kosten von kranken Menschen sind unethisch und gefährden in hohem Maße den sozialen Frieden, wenn sich in Zukunft nur mehr gut situierte Menschen eine Krankenbehandlung oder eine Vorsorge leisten können.

Die derzeitige Teuerungswelle sehe ich in diesem Zusammenhang auch als sehr gefährlich an. Wenn die Bevölkerung immer ärmer wird, steigen auch die Krankheitszahlen.

  • Wir sollten daher schleunigst unser krankes System in ein echtes Gesundheitssystem umwandeln. In dem die Prävention und Vermeidung von Krankheiten an vorderster Stelle steht. Dies würde langfristig auch viele Kosten und natürlich viel Leid ersparen. Die AUVA könnte hier eine guterPartnerin sein, da sie hervorragende Präventionsarbeit leistet und bereits Konzepte des Zentralbetriebsrats dazu vorliegen.
  • Ein Zurückdrängen des privaten Sektors ist zwingend nötig, d.h. die Abschaffung des PRIKRAFT (die zusätzliche Finanzierung der Privatkrankenhäuser durch die öffentliche Hand). Dazu ist es nötig, die öffentliche Versorgung entsprechend auszubauen und sich strukturelle Veränderungen zu überlegen. Ein uneingeschränkter Zugang zu allen Gesundheitsleistungen für alle Menschen in Österreich muss gesichert sein. Es darf nicht dazu kommen, dass man sich die Gesundheit (oder Krankheit) nicht leisten kann. (siehe Großbritannien, USA,…)
  • Die Ressourcen der Spitäler, besonders in Bezug auf die Geräteinfrastruktur, müsste besser genützt werden. (Großgeräte wie CT, MRI werden zu Randzeiten nicht betrieben). Auch könnten die Ambulanzen viele Patient:innen behandeln, solange der extramurale Bereich nicht entsprechend ausgebaut ist. Dazu wird jedoch auch Personal benötigt. Dringend benötigte Primary Health Center müssen eröffnet werden, um die öffentliche Versorgung besonders im ländlichen Bereich garantieren zu können.
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Spitälern. Dies betrifft alle Berufsgruppen, nicht nur Pflege und Ärzt:innen. Attraktivere Arbeitszeiten, die auf die Bedürfnisse von vorwiegend Frauen Rücksicht nehmen sowie adäquate Bezahlung, Kinderbetreuungseinrichtungen, die den Dienstzeiten der Beschäftigten entsprechen. Wichtig wäre auch, dass die Ausbildungsoffensive für Pflegeberufe auf alle Gesundheitsberufe ausgerollt wird und länger als die derzeit anberaumten 2 Jahre besteht. Es benötigt dringend eine echte Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, um die Kolleg:innen zu entlasten und damit auch die Patient:innensicherheit langfristig zu gewährleisten. Einheitliche Kriterien zur Personalbedarfsberechnung sind vor allem in den Spitälern und Altenheimen dringend nötig, um auch eine gewisse Dienstplansicherheit zu erreichen.
  • Es braucht Konzepte zur Langzeitpflege, die den Bedürfnissen aller alten und chronisch kranken Menschen in Österreich entsprechen. Das kann sowohl den stationären als auch den mobilen Pflegebereich betreffen. Innovative Konzepte wie Generationenhäuser, betreutes/betreubares Wohnen,… müssen unterstützt werden.
    Neuerung und Überarbeitung der Berufskrankheitenliste. Österreich befindet sich dabei international auf den hinteren Plätzen. Während in Deutschland die Berufskrankheitenliste ständig evaluiert wird, passiert in Österreich nichts. Die AUVA hätte also genügend Aufgaben auch hier zu erfüllen, wenn der Gesetzgeber den nötigen Auftrag dazu erteilt. Auch die arbeitsbedingten Krebskrankheiten werden derzeit nur unzureichend von der AUVA behandelt.
  • Rücknahme der UV Beitragssenkung und dafür Ausbau der nötigen Leistungen, um einen sicheren Arbeitsplatz zu ermöglichen. In der Prävention könnte die AUVA noch viel mehr tun, da sie die Expertise dazu liefern kann.
  • Rücknahme der Bestimmungen im SVOG (Sozialversicherungsorganisationsgesetz) in Bezug auf die Selbstverwaltung der SV Träger. Derzeit haben die Arbeitgeber:innenvertreter die Macht in unserem Gesundheitssystem. Mit dem SVOG der türkis-blauen Regierung kam es zu einem Raubbau der Machtverhältnisse besonders in der ÖGK und AUVA. Während weder in der ÖGK, noch in der AUVA Selbständige versichert sind, haben sie in der Selbstverwaltung die Übermacht. Schließlich muss auch mit der Erhöhung des UV Beitrages die Absicherung der Klein und Mittelbetriebe durch das Haftungsprivileg gesichert werden. Wenn unsere Wirtschaftstreibenden zu der derzeitigen Gesundheitskrise und Teuerungswelle auch noch die Schadensersatzklagen der Arbeitnehmer:innen tragen müssen, werden nicht mehr viele Handwerksbetriebe übrig bleiben.

AUVA 4 Saeulen zum Erfolg 6

  • Die AUVA verfügt 2019 über Einnahmen von knapp 1,5 Mrd. Euro.
  • 58% davon sind gesetzliche Zahlungen an Unfallrentner, Klein- und Mittelbetriebe sowie die Krankenversicherungsträger.
  • Die Verbleibenden 42% (625 Mio) bilden den gesamten Sach- und Personalaufwand für die 7 UKH-Standorte, 4 Rehab-Standorte, für die gesamte Prävention, für die berufliche und soziale Rehabilitation, den eigenen Verwaltungsaufwand, die Abschreibungen und Sonstiges (wie Körperersatzstücke, Hilfsmittel, Witwenbeihilfen, vertrauensärztlicher Dienst etc.).
  • Selbst wenn die AUVA all ihre medizinischen Einrichtungen schließen würde (7 UKH + 4 RZ = 309 Mio) und auch ihre sonstigen Verpflichtungen gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht mehr erfüllen würde, stünde der dadurch lukrierbare Betrag in keinem Verhältnis zu den notwendigen Summen für die Absicherung der Pflege in Österreich.

https://bildung.gpa-djp.at/files/2020/03/AUVA-4-S%C3%A4ulen-zum-Erfolg.pdf

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>> Hinweis:
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