Ein Bericht des israelischen Journalisten und Menschenrechtlers Gideon Levy, über die Sitzung des schwedischen Komitees zur Vorbereitung der Flottille für Gaza im Haus des ehemaligen Israelis Dror Feiler. Der mit einem abschließenden letzten Aufruf an diejenigen endet, die die Flottille blockieren mögen: "Bitte benehmt verhaltet euch diesmal klug, gemäß dem internationalen Recht und der einfachen Gerechtigkeit. Diese Menschen dürfen nach Gaza fahren, und Israel darf es nicht verhindern"
Es ist spät in der Nacht in Sodra, einem beliebten Vorort im Süden von Stockholm, und der Aquavit, das schwedische Nationalgetränk, wird getrunken wie Wasser. Süß-Gebäck (Rachat-Lokum) aus Griechenland, Käse aus Italien und schwedischer Lachs sind auf dem Tisch, und um ihn herum sitzt eine aufgeweckte und sehr bunte Gruppe: ein bekannter schwedischer Dozent für Religionsgeschichte, ein Dozent für Wirtschaftsgeschichte, ein junger Iraker, der zu Zeiten von Saddam Hussein im Gefängnis von Abu-Greib gefangen war und jetzt beim Obersten Gerichtshof Schwedens arbeitet, und an seiner Seite ein Flüchtling aus Basra.
Das Haus gehört dem ehemaligen Israeli Dror Feiler, und bei dem Treffen handelt es sich um die Sitzung des schwedischen Komitees zur Vorbereitung der Flottille für Gaza. Dieses Haus ist mit Geschichte angefüllt: Im 18. Jahrhundert diente es als Bierbrauerei und danach als Klinik für Geisteskranke. Hier wurde Hermann Göring auf Empfehlung seiner schwedischen Frau Karin von Rosen, behandelt – er war aufgrund seiner Verwundung aus dem Ersten Weltkrieg opiumabhängig. Hier weilte auch Wladimir Iljitsch Lenin auf dem Weg zur russischen Revolution. An der Straßenecke, wird erzählt, hat er seine berühmten Mütze gekauft. Jetzt wohnt hier der Künstler Feiler, der seine greise Mutter im Kibbuz Yad Chana nicht besuchen darf, nachdem er im Zuge der Auseinandersetzung um die erste Fahrt der Flottillenach Gaza aus Israel ausgewiesen wurde
Feiler liebt es Erlebnisse aus seiner Dienstzeit im Infanterie-Regiment 50 Ende der 1960er Jahre zu erzählen, wenn er mit den Teilnehmern an der Flottille zusammensitzt. Professor Matthias Goerdel, der ebenfalls an der vorigen Flottille teilgenommen hat, behauptet, dass die zwei ersten Toten von israelischen Soldaten erschossen wurden, noch bevor sich diese auf das Deck der „Mavi Marmara“ abgeseilt hatten, und dass alle Teilnehmer, die auf das Schiff kamen, mit einem Metalldetektor untersucht wurden. Jetzt fragen sie in einer Mischung aus Angst und Naivität: Wie wird Israel diesmal reagieren? Zusammen mit einer jüdisch-schwedischen Ärztin, Tochter von Überlebenden der Shoah, die mit Dan Israel verheiratet ist, dem schwedischen Verleger von Henning Mankell - er wird bei der nächsten Flottille ebenfalls dabei sein - planen sie jetzt, mitten in der Nacht, ihr nächstes Abenteuer – die Fahrt, die man in Israel so gern als Bedrohung darstellt.
Man kann nicht anders als von dieser entschlossen Gruppe beeindruckt zu sein. Sie werden 500 Tonnen Zement, ein fahrbares Krankenhaus und einen Krankenwagen auf ihrem Schiff transportieren, einen von zehn, die für die Flotilla vorgesehen sind. Sie wissen, dass es andere Wege gibt diese Güter nach Gaza zu bringen, aber sie wollen die Welt an das Schicksal von Gaza erinnern. Das ist ihr gutes Recht, vielleicht sogar ihre Pflicht. Hätte Israel nicht mit solch einer unerträglichen Dummheit gehandelt, hätte es die vorherige Flottille nicht angegriffen, sondern stattdessen zugelassen, dass sie Gaza erreicht, dann wäre diese neue Flottille wahrscheinlich gar nicht organisiert worden. Jedenfalls würde die Welt nicht so gebannt darauf schauen, wie es zur Zeit der Fall ist.
Ich sagte ihnen, dass Israel entschlossen ist anzugreifen. Einer von ihnen hat schon eine kugelsichere Weste gekauft. In Israel weiß man sehr gut, dass diese Menschen keine Sicherheitsbedrohung darstellen, dass keine Waffen an Bord sein werden. Dennoch droht Israel und die israelische Marine übt den Ernstfall. Das Ergebnis: Die Nachfrage, an dieser Flottille teilzunehmen ist viel größer, als der Platz auf den schmalen Decks der Schiffe.
Der Aquavit hörte nicht auf zu fließen. Wenn du diese Gruppe triffst, dann verstehst du welchen internationalen Schaden Israel sich selbst mit seinem gewalttätigen Verhalten zufügt. Wie einfach und gerecht wäre es, diesen Friedensaktivisten zu ermöglichen, ihr Ziel zu erreichen. Und wie klug. Im Gegensatz dazu: wie dumm, gewalttätig und überflüssig ist es, sie wieder mit Soldaten anzugreifen.
„Zum Wohle dieser Nacht, der kalten und kräftigen, zum Wohle der Gefahr und der Mühe, zum Wohle der kleinen Schiffe, Kapitän, zum Wohle der Schiffe, die unterwegs sind“ so schrieb der Dichter Nathan Alterman in seiner „Antwortrede an den italienischen Kapitän“, in einer Lobpreisung auf das Schiff, das die Blockade durchbrach und 1945 jüdische Einwanderer nach Nahariya brachte.
Und lasst uns einen Toast aussprechen auf den schwedischen (oder türkischen) Kapitän und die Boote auf dem Weg nach Gaza , die nicht weniger im Recht sind, in der Hoffnung, dass Israel seine Meinung noch ändert, die Welt mit dem klugen Schritt überrascht, und es den Passagieren der Schiffe ermöglicht, ihr Ziel zu erreichen. Gaza wird durch sie nicht gerettet werden, Israel wird durch die Gefahr, die vermeintlich von ihnen ausgeht, nicht gefährdet. Hier aus Schweden, wo die Sonne nicht untergeht, kommt ein letzter Aufruf an diejenigen, die die Flottille blockieren mögen: Bitte benehmt verhaltet euch diesmal klug, gemäß dem internationalen Recht und der einfachen Gerechtigkeit. Diese Menschen dürfen nach Gaza fahren, und Israel darf es nicht verhindern.
* Englische Ausgabe: "Israel has no right to stop Gaza aid flotillas";
Aus: Haaretz, 19. Juni 2011; www.haaretz.com
[Übersetzt aus dem Hebräischen von Abraham Melzer]
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Gaza/flotte6.html