Beim Plenum der Solidarwerkstatt Österreich am 22.9.2021 in Wien haben wir diese Punktation zum Thema „Unsere Palästinasolidarität und die Zwei-Staaten-Lösung“ diskutiert und beschlossen.

 

  1. Seit dem Oslo Abkommen von 1993 zwischen Israel und der PLO gilt die Zwei-Staaten-Lösung als Schlüssel und Endpunkt für einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und den Palästinensern. Am 24. September 1995 unterzeichneten Rabin (israelischer Ministerpräsident) und Arafat (Vorsitzender der PLO) das Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen Über mehr als 70% des Territoriums behielt Israel die alleinige Kontrolle. Die Palästinenser erhielten über 3% des Westjordanlandes, in dem über 80% der palästinensischen Bevölkerung leben, autonome Regierungskompetenzen. Im Rest gibt es geteilte Kompetenzen. Damit sollte eine Keimzelle für einen eigenständigen noch aufzubauenden palästinensischen Staat geschaffen sein.

  2. Dieses Ziel wird von der praktischen Politik Israels völlig konterkariert. Der illegale zionistische Siedlungsbau wird in Ostjerusalem und im Westjordanland permanent weitergetrieben. Das Land, über das ein palästinensischer Staat regieren soll, wird in Bantustans zerstückelt. Die PalästinenserInnen sind allein um ihr Überleben zu sichern, einem ständigen entwürdigenden Spießrutenlauf unterworfen. Israel hat sich wohl aus dem Gazastreifen zurückgezogen, diesen aber in ein Freiluftgefängnis verwandelt. Auch die arabisch-stämmigen Menschen in Israel sind an den Rand gedrängt, sie haben über Jahrzehnte den Großteil ihres Landes verloren. Das 2018 beschlossene israelische Nationalstaatsgesetz ist einzigartig in der modernen Rechtsgeschichte: es zementiert die Ungleichbehandlung von jüdischen und arabischen Menschen vor dem Gesetz.
  1. Diese scheinbar ausweglose Konstellation verweist auf den Ursprung und die Geschichte des Konflikts in Palästina. Sie führt uns in die Zeit, als europäische Mächte die Welt beherrschten. Chauvinistische, nationalistische Ideologien unterfütterten eine Politik der globalen Machtprojektion, legitimierten Eroberung und Ausbeutung anderer Völker. Zur rassistischen Zuspitzung weitergetrieben erzeugten sie einen Rahmen, der Versklavung und Völkermord ermöglichte.
  1. Die Blut- und Bodenideologie war Ergebnis und Werkzeug der realen Herrschaft der europäischen Eliten über weite Teile der Welt. Dabei war die Anbindung der Mittelschichten für die Herrschaftsausübung unverzichtbar. In allen europäischen Gesellschaften existierten jüdische Minderheiten. Oftmals lebten diese Menschen am unteren Rand der Gesellschaft. Manche Angehörige dieser jüdischen Minderheit erreichten jedoch gesellschaftlichen Einfluss. Einbindung und Ausgrenzung der jüdischen Minderheit wurden zu einem wesentlichen Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Antisemitismus wurde zu einem zentralen Herrschaftsinstrument für die Anbindung der Mittelschichten an den Herrschaftswillen. Jüdische Menschen waren so einerseits in das historische Weltherrschaftsprojekt der europäischen Eliten eingebunden, andererseits gerieten sie dabei immer wieder an den Rand. Und darüber hinaus. Nicht nur Ihr Vermögen wurde vielfach vernichtet, eine permanent wachsende Bedrohung für Leib und Leben jüdischer Menschen wurde zur gesellschaftlichen Realität. Besonders in Situationen, in der die gesellschaftlichen Spannungen politische Verwerfungen generierten, wurde die antisemitische Mobilisierung zum Kleister, der die Gesellschaft zusammenhielt und an den Herrschaftswillen band.
  1. Ein Teil der jüdischen Menschen entwickelte ein Programm zur Gründung eines eigenen jüdischen Nationalstaats. Ein derartiges Projekt war auf europäischem Territorium schlichtweg nicht durchsetzbar. Nicht einmal nach dem Zweiten Weltkrieg, der heftigsten und tiefsten Erschütterung in der Geschichte Europas, in der Grenzen und Einflusszonen teilweise völlig neu gezogen wurden, die mit dem größten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, der Vernichtung der europäischen Juden, verbunden war, wurde ein derartiges Projekt auch nur angedacht. Die zionistische Idee, die Gründung eines jüdischen Nationalstaats wurde von Beginn weg auf außereuropäische Einflusszonen der europäischen Mächte projiziert: im Ergebnis auf das britische Mandatsgebiet in Palästina. Die zionistische Idee wurde so, einerseits scheinbar zu einem Ausweg aus der katastrophalen Lage der jüdischen Menschen in Europa, andererseits knüpfte sie dabei unmittelbar an die Blut- und Bodenideologie in Europa an. Palästina war kein unbesiedeltes, unkultiviertes Land. Es gibt keine stimmige Begründung, warum dieses Land, mit seiner jahrhundertealten Kultur von Europäern beherrscht werde müsste, auch wenn sie jüdischen Glaubens sind.
  1. Die israelische Landnahme war von Anfang an auf ganz Palästina gerichtet. Die mit dem Nationalstaatsgesetz aus 2018 nochmals zementierte Staatsideologie Israels als „Heimstatt der Juden“ eröffnet nur zwei Alternativen: die Vertreibung der arabischen Menschen oder die Verstetigung eines Apartheidstaates. Beides können die PalästinenserInnen nicht hinnehmen. Jedes Mal, wenn der palästinensische Widerstand wächst und der Konflikt eskaliert, werden reihum Bekenntnisse zur Zwei-Staaten-Lösung abgegeben und auch von den PalästinenserInnen das Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung eingefordert. Was bedeutet das? Diese Menschen erleben wie das ihnen in Aussicht gestellte Land zerstört und zerstückelt wird, und wie sie im eigenen Land Menschen zweiter Klasse sind. Dazu sollen sie ein Bekenntnis abgeben?
  1. Dieses Bekenntnis zur Zwei-Staaten-Lösung impliziert das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels. Die Solidarwerkstatt Österreichs betont programmatisch und bringt auch in ihrer praktischen Politik zum Ausdruck, dass wir dem Prinzip der territorialen Integrität der Staaten, mögen sie groß oder klein, mächtig oder schwach sein, eine herausragende Bedeutung für eine gewaltüberwindende Außen- und Sicherheitspolitik beimessen. Wir erkennen aber auch. Das Prinzip der territorialen Integrität sichert nur dann Frieden und soziale Entwicklung, wenn der Staat, der auf deren Respekt pocht, allen Menschen, die seinem Wirken unterworfen sind, gleiche Rechte und Pflichten zuerkennt. Die Anerkennung des Existenzrechts Israels wird zur hohlen Phrase, wenn es nicht mit dem Existenzrecht aller Menschen in Palästina, der Anerkennung ihrer politischen und sozialen Rechte, verbunden wird. Mehr noch: Diese Anerkennung muss an erster Stelle stehen. Nur auf dieser Grundlage kann sinnvoll über eine Zwei- oder Ein-Staaten-Lösung verhandelt werden.
  1. Unter den PalästinenserInnen mehren sich die Stimmen, die artikulieren: Es geht um Rechte, nicht bloß um Land. Es geht um soziale und politische Rechte, Menschenrechte für alle Menschen in Palästina. Dazu gehört auch das Rückkehrrecht der vertriebenen arabischen Bevölkerung. Auch über dieses muss verhandelt werden. Unter der Perspektive der Zwei-Staaten-Lösung kann dies nur in einer ethnisch-religiösen Bereinigung der Landkarte münden. Die Schimäre von der Zwei-Staaten-Lösung verhindert nicht die Vertreibung jüdischer Menschen in Palästina. Würde ihre Umsetzung ernsthaft in Angriff genommen, müsste Territorium tatsächlich entlang ethnischer Zugehörigkeit und religiöser Bekenntnisse zerstückelt werden. Eine absurde Vorstellung am Beginn des 21. Jahrhunderts.
  1. Die gesamte Konstellation spricht für einen gemeinsamen Staat auf dem Gebiet Palästinas zwischen Mittelmeer und Jordan (also das Staatsgebiet Israels sowie die besetzen Palästinensergebiete Westjordanland einschließlich Ostjerusalem und Gazastreifen), mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Menschen, auf seinem Territorium. Nur die Ein-Staaten-Lösung eröffnet eine lebensfähige, gerechte und emanzipative Perspektive, die sich gegen imperialistische Einmischung und religiösen Fundamentalismus als widerstandsfähig erweisen kann, ja muss. Wir wissen: Wir können das nur als Ziel formulieren. Unbeantwortet bleibt, wie wir dorthin kommen. Israel ist ein kleiner, aber potenter Staat. Israel verfügt über äußerst effektive Streitkräfte und hat mächtige Verbündete. Die israelische Gesellschaft hat sich über die Jahrzehnte ständig weiter nach rechts entwickelt. Heute dominieren das Feld politische Kräfte, deren chauvinistische und rassistische Grundhaltung in der alltäglichen Politik immer wieder an die Oberfläche gelangt. Auf der anderen Seite finden wir fragmentierte palästinensische Entitäten.
  1. Nur ein politischer Prozess weist einen Ausweg aus der Sackgasse. Es gibt keine militärische Lösung. Das gilt für die israelische Regierung. Aber auch für die PalästinenserInnen. Wir sagen das aber nicht in einer Haltung der Besserwisserei. Wir können nicht die Entscheidungen treffen, die Menschen im Gazastreifen oder in der Westbank treffen müssen. Und auch nicht die, in einer israelischen Regierung. Unsere eindeutige Verpflichtung zu einer gewaltfreien, politischen Lösung mündet deshalb nicht in einem Katalog an Vorbedingungen, die für einen politischen Dialog erfüllt werden müssen. Wichtig ist, alle politischen Repräsentanten der Palästinenser in einen Dialogprozess miteinzubeziehen. Die Hamas ist von der EU als Terrororganisation gebrandmarkt. 2006 ging sie jedoch als stärkste Kraft bei allgemeinen Wahlen der PalästinenserInnen hervor. Die Wahlen wurden vom Westen nicht anerkannt und die Hamas konnte nur im Gazastreifen tatsächliche Regierungsgewalt etablieren. Seither gab es keine Wahlen mehr in den besetzten Gebieten. Es gilt für alle Seiten, was die israelische Menschenrechtsaktivistin Felicia Langer nicht müde wurde zu betonen: „Frieden kann man immer nur mit dem Gegner schließen.“ Freilich muss daher die Hamas in einen politischen Dialog eingebunden werden. Neuere Dokumente der Führung der Hamas zeigen, dass sie zu einem derartigen Dialog bereit sind. Der findet auch statt. Aber immer nur indirekt und verdeckt. Wir sollten für Offenheit plädieren. Die Perspektive ist ein Staat Palästina mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Menschen, die in Palästina wohnen. Der Ausgangspunkt ist das existierende Israel und die fragmentierten palästinensischen Entitäten.
  1. ÖsterreicherInnen waren in besonderer Weise in die Verbrechen an den jüdischen Menschen in Europa während der nationalsozialistischen Herrschaft verstrickt. Aus dieser Verstrickung erwächst eine besondere historische Verantwortung. Manche schließen daraus die Verpflichtung Österreichs zur bedingungslosen Unterstützung der Politik des Staats Israel. Das ist ein Fehlschluss. Unsere Unterstützung gilt den jüdischen Menschen. Nicht nur in Österreich, aber vor allem in Österreich. Die Solidarwerkstatt Österreich hat in ihrem Statut festgehalten: „Wir knüpfen an die II. Republik an, mit ihren demokratischen, sozialen und ökologischen Errungenschaften. Wir achten den durch Verbotsgesetz und Staatsvertrag festgeschriebenen antifaschistischen Verfassungsauftrag und fühlen uns jenen ÖsterreicherInnen verpflichtet, dir für ihr Eintreten gegen die nationalsozialistische Willkürherrschaft ermordet wurden.“ Unser Engagement für die Rechte der PalästinenserInnen gründet in dieser Verpflichtung. Aber auch das Bekenntnis, dass kein jüdischer Mensch und auch kein israelischer Staatsbürger sich durch dieses Engagement an Leib und Leben bedroht fühlen darf.
  1. Umgekehrt sehen wir: Israel versucht alle jüdischen Menschen für sich in Anspruch zu nehmen und scheut dabei nicht davor zurück, auch eigene StaatsbürgerInnen, die sich von der Apartheidpolitik ihres Staates distanzieren, zu entrechten. In unserem Engagement für die Menschenrechte aller Menschen in Palästina sind wir mit massiven Angriffen auf die Meinungsfreiheit konfrontiert. Parteinahme für die Rechte der PalästinenserInnen wird als antisemitisch denunziert. Die politisch orchestrierte Verweigerung einer Stimme für die Unterdrückten wird mit der historischen Verantwortung Österreichs begründet, tatsächlich wird diese historische Verantwortung dadurch aber mit Füßen getreten. Das geht mittlerweile so weit, dass verfolgten JüdInnen des NS-Regimes die Stimme verweigert wird, weil sie die israelische Politik kritisieren. So wurde etwa die Holocaust-Überlebende Hedy Epstein, deren Eltern in Auschwitz ermordet wurden, vom österreichischen Nationalrat wieder ausgeladen und ihr das Recht entzogen, über ihre antifaschistische Arbeit im Parlament zu reden. Das ist ein Missbrauch des antifaschistischen Verfassungsauftrags und gefährdet die Meinungsfreiheit. Einer solchen Politik werden wir uns unter keinen Umständen unterordnen.
  1. Neuerdings erleben wir eine neue Facette proisraelischer Politik. Sie wird verknüpft mit und instrumentalisiert für antimuslimischen Rassismus. Besonders widerwärtig sind Ereignisse wie die Parteinahme der ungarischen Regierung, die nachweislich antisemitische Ressentiments für ihre Machtentfaltung instrumentalisierte, für die israelische Gewalteskalation in Gaza. Deutschnationale Burschenschaften in Österreich, die nach wie vor die Mitgliedschaft von Semiten, Nichtariern, ausschließen, werden mit hunderttausenden Euros aus Steuermitteln überschüttet, während diese gleichzeitig ihre Affinität für die israelische Apartheitpolitik in den besetzten Gebieten entdecken. Das Hissen der israelischen Flagge auf dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium während der Angriffe auf Gaza muss in diesem Zusammenhang verstanden werden: Es geht um die typisch rechtsextreme Entwürdigung der Opfer der eigenen Gewalthandlung. Dieses Ereignis entblößte unsere derzeitige Bundesregierung als eine Regierung, die ihre rechtsextremen Tendenzen mit betulichem grünen Gesalbe zu übertünchen versucht.
  1. Der Konflikt in Palästina hat auch eine besondere Bedeutung für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU, bzw. ihrer diese gestaltenden Staaten. Israel ist ein wirkmächtiger Staat, insgesamt bleibt es dennoch von mächtigen Verbündeten abhängig. Einer dieser Verbündeten waren und sind die USA. Jedoch Deutschland hat, ob seiner „besonderen Verantwortung“ U-Boote geliefert, die nuklear bewaffnet sind. Es wäre einer der absurdesten Volten der Geschichte, würde aus dem antifaschistischen Verfassungsauftrag Österreichs die Mitwirkung an einem Kriegsverbrechen in Palästina folgen. Die herausragende Verpflichtung des neutralen Österreichs besteht darin, anknüpfend an die Kreiskysche Außenpolitik der 70er Jahre, einen Dialogprozess für eine friedliche und emanzipatorische Entwicklung in dieser Region in Gang zu bringen – mit der Perspektive einer Staatlichkeit, die gleiche Rechten und gleiche Pflichten für alle dort lebenden Menschen gewährleistet. Eine solche aktive Neutralitätspolitik kann an Interessen auf beiden Seiten anknüpfen: am Interesse der PalästinenserInnen, sich aus der demütigenden Unterdrückung und Besatzung zu befreien. Wir halten es nicht für aussichtslos, an Einsicht und Mitgefühl derjenigen, die von einem Unrecht profitieren, zu appellieren: Auch die Jüdinnen und Juden in Israel haben ein Interesse, sich aus der Abhängigkeit von westlichen Großmächten zu lösen. Damit laufen sie ständig Gefahr für deren Interessen instrumentalisiert zu werden. Die innere Spaltung des Landes und der Dauerkonflikt mit seinen Nachbarstaaten führt dazu, dass Israel nicht „sichere Heimstatt“ sondern mittlerweile eines der unsichersten Länder für Jüdinnen und Juden geworden ist.
  1. Damit Österreich die Rolle eines glaubwürdigen Brückenbauers für einen solchen Dialogprozesses wahrnehmen kann, gibt es freilich Voraussetzungen:
    • Beendigung der einseitigen Unterstützung der israelischen Apartheidpolitik und der in den letzten Jahren immer weiter ausufernden militärischen, rüstungsindustriellen und sicherheitspolitischen Kollaboration Österreichs mit Israel
    • Ausstieg Österreichs aus der Unterordnung unter die Außen- und Sicherheitspolitik der EU bzw. der großen EU-Staaten, denn deren Politik gießt beständig Öl ins Feuer des Nahostkonflikts, indem Israel für Großmachtspolitik instrumentalisiert und die ganze Nahostregion mit Waffen überschüttet wird.