Die Covid-Pandemie hat die globale Ungleichheit weiter verschärft. Und diese Ungleichheit tötet. Gerade in der Pandemie. Nicht einmal 2 Prozent der Impfstoffe sind an Länder mit niedrigem Einkommen geliefert worden. Doch die EU blockiert weiterhin die Freigabe der Patente auf Covid-Impfstoffe.

 

Zur Viruspandemie gesellt sich eine weitere Pandemie: die Pandemie der Ungleichheit. Eine Studie von Oxfam kommt zu verstörenden Ergebnissen (1):

  • Im Zeitraum zwischen März 2020 und November 2021 hat sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre verdoppelt. Gleichzeitig leben mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut. Während sich das Vermögen der zehn reichsten Milliardäre zwischen März 2020 und November 2021 verdoppelt hat, lebten mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich in Armut.
  • In der Zeit der Coronapandemie ist die Zahl der Superreichen flott angestiegen. Alle 26 Stunden konnte der illustre Klub der Milliardäre weltweit ein neues Mitglied empfangen. Gleichzeitig haben mehr als 100 Länder in der Krise die Sozialausgaben gekürzt und in mindestens 73 Ländern drohen mit der Rückzahlung von Covid-19-Krediten des Internationalen Währungsfonds weitere Sparmaßnahmen.

Drei Mal höhere Covid-Todeszahlen?
Wir wissen, dass diese Ungleichheit tötet. Arme sterben deutlich früher als Reiche, weil sie oft keinen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und sauberem Wasser haben, sich schlechter ernähren, oft unter miserablen Umständen leben uvm. In der Pandemie kommt nun auch noch die extreme Ungleichverteilung mit Impfstoffen dazu.
Die WHO zählte bisher offiziell 5,5 Millionen Tote infolge der Covid-Pandemie. Ein Datenteam der Zeitschrift „The Economist“ kam bereits im Vorjahr mit aufwendigen Berechnungen zu deutlich höheren Todeszahlen, indem sie einen Blick auf die Übersterblichkeitszahlen in verschiedenen Ländern und Erdteilen wirft und diese hochrechnet. Laut diesen Zahlen könnte die Zahl der Covid-Toten – mit großer Schwankungsbreite - bei mehr als dem Dreifachen, bei etwa 17 Millionen Toten, liegen (2). Auch das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) kommt in seinen Untersuchungen zum Ergebnis, dass die WHO-Zahlen deutlich zu niedrig sind. Aufgrund von Untersuchungen der Übersterblichkeit schätzt das IHME, dass wahrscheinlich bereits mehr als 13 Millionen Menschen der Covid-Pandemie zum Opfer gefallen sind (3).

Impfstatus

In armen Staaten nur 4 Prozent mit vollständigem Impfschutz
Der Hauptgrund für diese hohen von der WHO abweichenden Zahlen: Die Übersterblichkeit liegt vor allem im asiatischen Raum, in Lateinamerika und Afrika oft ein Vielfaches über den an die WHO berichteten Zahlen. Zugleich sind das jene Länder und Regionen, in die bisher die wenigsten Impfstoffe geliefert wurden, da sie sich die teuren Impfstoffe zumeist nicht leisten können. Obwohl weltweit rund 11 Milliarden Impfstoffdosen produziert wurden, haben nur etwas mehr als acht Prozent der Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen eine einzige Dosis, ganze vier Prozent haben einen vollständigen Impfschutz erhalten. Die Boosterimpfquote in den ärmsten Staaten liegt bei nahezu Null. Zum Vergleich in den Ländern mit hohem Einkommen liegen die entsprechenden Impfquoten bei 78, 72 und 24 Prozent (sh. Grafik). „Warum wird ärmeren Ländern der Zugang zu lebensrettenden Medikamenten verwehrt, während reiche Länder auf ihren ungenutzten Vorräten sitzen bleiben“, fragt Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International (4). Tatsächlich ist Mitte Februar 2022 bekannt geworden, dass die EU-Staaten mehr Impfdosen wegen Ablauf des Verfallsdatums vernichten, als sie nach Afrika spenden.

„Impfstoff-Apartheid“
Interessant ist eine Aufschlüsselung nach jenen Unternehmen, die rund 96 Prozent der weltweiten Covid-Impfstoff produktion unter sich aufteilen (5): BioNTech/Pfizer (US/deutsch), Astra Zeneca (britisch/schwedisch), Moderna (US), Sinopharm und Sinovac (beide chinesisch). Außer Johnson & Johnson lieferte keines dieser Unternehmen auch nur annähernd Impfstoffe in einem Ausmaß in die ärmsten Staaten, die deren Anteil an der globalen Bevölkerung entspricht. Nur 1,7 Prozent der gesamten Vakzine gingen an die Staaten mit niedrigem Einkommen (9 Prozent der Weltbevölkerung), zwei Drittel in die Staaten mit hohem oder oberem mittleren Einkommen (48 Prozent der Weltbevölkerung). Freilich ist diese Unterteilung zu grob. Während etwa BioNTech/Pfizer und Moderna einen überwiegenden Teil der Vakzine an die reichste Staatengruppe geliefert haben (v.a. USA, EU-Staaten und Japan), sind der Großteil von Sinopharm und Sinvoc an China mit seinen 1,4 Milliarden Menschen gegangen, ein Land, das zwar mittlerweile als Land mit „oberem mittleren Einkommen“ zählt, dessen Pro-Kopf-Einkommen aber erst bei einem Sechstel des US-amerikanischen liegt. 2021 hatte z.B. BioNTech/Pfizer 12-mal so viele Dosen an die EU (600 Millionen) wie an die Afrikanische Union (50 Millionen) geliefert, obwohl letztere knapp dreimal so viele EinwohnerInnen hat. In Afrika sind unter 12 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft, in den EU-Staaten sind es 71 Prozent.

Aufhebung der Impfstoffpatente!
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa hat das Vorgehen der reichen westlichen Staaten kürzlich als „Impfstoff-Apartheid“ angeprangt: „Sie haben Impfstoffe gehortet, sie haben mehr Impfstoffe bestellt, als ihre Bevölkerungen benötigen. Die Gier, die sie an den Tag gelegt haben, war enttäuschend, vor allem, da sie ja behaupten, sie seien unsere Partner.“ (6) Südafrika und Indien fordern daher gemeinsam mit 100 weiteren Staaten die sofortige Aufhebung der Patente auf Covid-Impfstoff, um rasch die notwendigen Vakzine auch für die Länder mit niedrigem Einkommen billig herstellen zu können. Dies würden die im TRIPS-Abkommen (Schutz für geistiges Eigentum) vorgesehene Ausnahmeregelungen grundsätzlich ermöglichen. Doch vor allem die westlichen Staaten blockieren die Aufhebung des Patentschutzes. Die EU hat den „Schutz des geistigen Eigentums“ sogar im EU-Primärrecht verankert, um die Interessen der Konzerne, in diesem Fall der Pharmaindustrie, zu bedienen. Einmal mehr zeigen sich die menschenfeindlichen Auswirkungen der neoliberalen Verfasstheit der EU-Verträge. Profit hat Vorrang vor Menschenleben. Um sich eine Vorstellung zu machen: Der Pharmakonzern Pfizer hat seinen Umsatz von 41,7 Mrd. US-Dollar (2020) auf 81,3 Mrd. (2021) verdoppelt. Der Gewinn ist von 9,2 Mrd. US-Dollar auf 22 Mrd. nach oben geklettert (7).
Die Aufhebung des Patentschutzes ist nicht nur ein Gebot der Solidarität mit den Armen, sie ist auch im ureigensten Interesse der Bevölkerungen der reicheren Staaten, da letztlich eine Pandemie nur gemeinsam überwunden werden kann. Ansonsten droht immer wieder der Reimport von Virusmutationen aus Ländern, in denen der Immunschutz der Bevölkerung unzureichend ist.
Das Analyseunternehmen Airfinity schätzt, dass pro 100 Millionen gelieferter Impfdosen zwischen 100.000 und 225.000 Menschenleben gerettet werden können (8). Geht man von diesen Schätzungen aus, so lässt sich rasch erkennen, wie mörderisch die derzeitige „Impfstoffapartheid“ wirkt. Wären die Länder mit niedrigem Einkommen im selben Maß mit Impfstoff versorgt worden wie die Ländern mit hohen und oberen mittleren Einkommen, so hätte zwischen 680.000 und 1,5 Millionen Menschenleben gerettet werden können. Es gilt daher dringend zu handeln: Der Patentschutz auf Covid-Impfstoffe muss sofort aufgehoben werden. Alles es andere ist die Fortsetzung eines Verbrechens.

Gerald Oberansmayr

(März 2022)

Quellen:
(1) Oxfam, Inequality Kills, The unparalleled action needed to combat unprecedented inequality in the wake of COVID-19, Jänner 2022
(2) The Economist, The number of people who have died from covid-19 is likely to be close to 17m, update 20.2.2022
(3) Siehe nature, The pandemic’s true death toll: millions more than official counts, 18.1.2022
(4) https://www.amnesty.at/news-events, 31.12.2021
(5) Amnesty International, Money calls the shots – Pharma`s response tot he Covid-19 vaccines crisis, 2022
(6) www.euractive, 8.12.2021
(7) Sky-news, 8.2.2022
(8) Airfinity, Covid-vaccine expiry forecast for 2021 and 2022, 20.9.2021