Nuriye Gülmen und Semih Özakça wehren sich gegen ihre Entlassung nach dem Putschversuch im Juli 2016. Sie sind nun bereits 215 Tage im Hungerstreik. Die Antwort der Regierung: Untersuchungshaft und Anklage wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Am 13.10. findet zur Unterstützung der Hungerstreikenden eine Kundgebung vor dem Haus der EU in Wien statt.

Am 14. September fand in Ankara der erste Prozesstag gegen die Universitätsdozentin Nuriye Gülmen und den Grundschullehrer Semih Özakça statt. Der Andrang vor dem Gerichtsgebäude war riesig. Die Polizei trieb hunderte Unterstützer vor dem Justizplalast auseinander. Laut Bericht der Tageszeitung "Der Standard" fanden sich allein über 200 Anwälte ein, die den Prozess beobachteten.

Bereits 140.000 Entlassungen

Gülmen und Özakça selbst durften am Prozess allerdings nicht teilnehmen. Offenbar wollte man keine Märtyrerbilder und begründete diese Entscheidung mit dem "Gesundheitszustand" der beiden. Von Seiten der Sicherheitsabteilung wurde zudem erklärt, dass das "Risiko von Provokationen und Flucht" zu hoch sei. Gülmen und Özakça traten nämlich, als Protest gegen ihre politisch motivierte Entlassung, am 9. März in einen Hungerstreik, und wurden wegen diesem Widerstand am 76. Tag ihres Hungerstreiks inhaftiert. Dies löste eine Landesweite Protestwelle aus. Denn nach dem Putschversuch wurden bereits über 140.000 Menschen aus dem Staatsdienst entfernt.

Ebenfalls verhaftet wurden – zwei Tage vor dem Prozess – nach Meldungen des Facebookportals "Anadolu Newsblog" und der "Plattform gegen Isolationshaft" nach heutigen Erkenntnissen mindestens 15 Anwälte und Anwältinnen der "Anwaltskanzlei des Volkes (HHB)", welche die beiden Angeklagten verteidigen wollten. Woraufhin sich mehr als 1.000 Anwälte bereit erklärten, diese Aufgabe zu übernehmen.

Dünne Anklage

Die Anklage hingegen ist ziemlich dünn. Vorgeworfen wird den beiden eine 20-jährige "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation". Begründet wird dieser Verdacht damit, dass durch das "Singen von Slogans" und durch ihren "aktiven Widerstand gegen die Sicherheitskräfte während der Haft klar erscheint, dass diese Aktivitäten auf Geheiß der Terrororganisation DHKP-C durchführt wurde, und daher auch der Verdacht besteht, dass sie in der DHKP-C aktiv sind". – Das Gericht entschied, dass die Angeklagten weiterhin in Untersuchungshaft verbleiben und der nächste Prozesstag am 28. September stattfindet.

EGMR schweigt

Doch auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist nicht gewillt in diesem Fall einzuschreiten. Nuriye Gülmen und Semih Özakça nehmen nun schon seit 9. März nichts als Wasser, Tee, Salz, Zucker und Vitamin B zu sich, befinden sich aber dennoch in Einzelhaft und die Haftbedingungen sind schlecht. Darum legten die Verteidiger der beiden dem EGMR ein 33-seitiges, mit 77 Paragraphen versehendes Dokument vor. Trotzdem aber sah der EGMR hier keinen Handlungsbedarf, mit Verweis auf die örtlichen Behörden. (Ein Entlassungsgesuch beim Gericht in Ankara wurde allerdings schon vorher abgelehnt) – Dieses Verhalten ist verwunderlich, angesichts der Tatsache, dass sich selbst Amnesty International bereits eingeschaltet hat.

Thomas Pierer

Aufruf von Anadolu Newsblog

Protestkundgebung vor dem Haus der EU

Unser dringender Appell geht an alle gewissenhaften Menschen!  

Diese Woche findet zur Freilassung und Solidarität mit Nuriye Gülmen und Semih Özakca, die seit 215 Tagen im Hungerstreik für ihre Arbeit sind, am Freitag, den 13.10. von 11:00-12:00 Uhr eine Protestkundgebung vor dem Haus der Europäischen Union statt. 

Denn es ist insbesondere die EU, welche die AKP-Regierung über Jahre hinweg gestärkt hat und hinter den Kulissen immer noch Unterstützung leistet. So wurde von EU-Verantwortlichen nicht nur jahrelang bei der Zerstörung kurdischer Dörfer und Massakern an der Bevölkerung zugesehen, seit Jahren wird zu den Angriffen auf die fortschrittliche, revolutionäre Opposition der AKP geschwiegen und jetzt stillschweigend zugesehen, wie Nuriye und Semih vom Regime in Ankara ihrem Tod überlassen werden, weil sie beharrlich ihre Arbeit zurück fordern.

Diese Regierung erhielt jahrelang Waffenlieferungen, logistische Unterstützung und zur "Flüchtlingsabwehr" Gelder aus der EU in Millionenhöhe....

Die erste Kundgebung findet am kommenden Freitag, 13.10., von 11:00-12:00 vor dem Haus der EU in der Wipplinger Straße 35 statt. (Nähe Universität, Tram 71 Haltestelle Börse)  

Anschließend gibt es am Freitag von 13:00-16:00 Uhr eine Kundgebung mit Infotisch vor dem Haupteingang der Universität Wien (U2 Schottentor), wo wir mit Student*innen, Professor*innen, Berufskolleg*innen von Nuriye und Semih reden wollen. Zu diesen Aktionen und weiteren, in der darauffolgenden Woche geplanten Aktionen ruft ein von mehreren Organisationen kurzfristig gebildetes Aktionskomitee zur Unterstützung von Nuriye und Semih auf, in der Hoffnung und Erwartung dass noch viele andere Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen ihre Solidarität einbringen werden.

Seid bitte solidarisch, unterstützt die Aktionen für die beiden widerständigen Lehrkräfte in der Türkei und alle anderen die zur Zielscheibe des Faschismus gemacht werden, vor allem jetzt, wo es auch hier um die Aufrechterhaltung unserer sozialen und politischen Errungenschaften geht und wir auf gegenseitige Solidarität angewiesen sind.

NO PASARAN!