Westliche Fischfangflotten, allen voran aus der EU, fischen illegal die Fischgründe vor der Küste Somalias leer, rauben den lokalen Fischer und der armen Bevölkerung ihre Existenzgrundlage. Immer mehr tritt ein weiterer Skandal zutage: Große Unternehmen nutzen das Meer vor der Küste Somalias als Mülldeponie für radioaktiven und anderen hochgiftigen Abfall. Die EU-Militärmission Atalanta schützt weniger vor Piraten, sie schützt vielmehr die eigentlichen Piraten. Beiliegend der Begleittext eines Videos über die hierzulande wenig bekannten Hintergründe der Piraterie in Somalia.
Dieses Video beleuchtet von Grund auf ein Thema, das obwohl gegenwärtig, sehr wenig bekannt ist. Wie kann dies im 21. Jahrhundert passieren? Was sind die Gründe, die diese Praxis erlauben? Sehen wir, wer die wirklichen Piraten sind: Abenteurer, Verführer, Romantiker, und außerdem ein bisschen mehr. Die Geschichten der Piraten nehmen uns immer gefangen; in der Literatur, in Filmen undim Fernsehen. Die Piraterie ist so alt wie die Seefahrt. Wer oder was ist ein Pirat? Ein Pirat ist ein Bandit, zu Raub und Plünderung auf dem Meer bestimmt; er eignet sich an, was ihm nicht gehört. Und er führt dies schwer bewaffnet am Rande der Legalität aus. Manchmal genießen sie den Schutz eines Staates oder einer Nation und handeln in dessen Namen, unter den Gepflogenheiten einer Ermächtigung mittels eines Kaperbriefes. In so einem Fall wurden sie „Korsaren“ benannt.
Die Hölle Somalias
Zur Zeit beschäftigt die Piraterie vor der Küste Somalias die Medien. Aber, gibt es diese Piraterie? Worin existiert sie? Und wer sind wirklich die Piraten? Um das herauszufinden, bedarf es, der Sache auf den Grund zu gehen.
Somalia war von Italien und England kolonisiert; 1960 erreichte es seine Unabhängigkeit. Aber die demokratische Regierung währte nur 9 Jahre. 1969 initiiert der Diktator Mohamed Siad Barré einen Staatsstreich und übernimmt die Kontrolle über das Land. Er erreichte dies durch die bedingungslose Unterstützung der USA. Nicht vergebens, denn damit erreichten die wichtigsten Ölfirmen der USA Verträge zur Ausbeutung der somalischen Ölfelder. Am Horn von Afrika gelegen, besetzt Somalia eine fundamentale geostrategische Position für den maritimen Transport zwischen Europa und Asien. Mehr als 20.000 Frachtschiffe passieren jedes Jahr die Küsten des Golfes von Aden und decken damit 10% des gesamten Welthandels ab. Nebenbei wird auch ein Großteil des Transportes des im Mittleren Osten geförderten Erdöls über diese Route abgewickelt. Schon seit geraumer Zeit stehen diese Gewässer in Diskussion zwischen regionalen und fernen Nationen als ein strategischer Punkt der Seewege. Das Militärkommando Siad Barrés dauert bis 1988, als die somalische Nationalbewegung gegen die Diktatur rebelliert. Dieser Aufstand mündet in einen bis1991 andauernden Bürgerkrieg, das Jahr, in dem sich Siad Barré gezwungen sieht,seine Macht abzugeben und das Land zu verlassen. Aber sein Abgang bringt keinen Frieden. Im Führungsvakuum beginnen verschiedene Clans sich um die Kontrolle im Land zu bekämpfen, was bis heute die Bildung einer stabilen Regierung verhindert.
Der Bürgerkrieg hinterlässt verheerende Auswirkungen für das Volk, mehr als 300.000 Tote, 1,5 Mio. Obdachlose und eine schreckliche Hungersnot, welche durcheine hartnäckige Dürre noch verstärkt wird.
Flotten aus den USA, Europa und Asien rauben illegal Somalias Fischbestand
Die gegenwärtige zerbrechliche Regierung ist kaum in der Lage auch nur die Hauptstadt zu kontrollieren. Die Konfrontationen unter den verschiedenen Fraktionen dauern an. In den Strassen von Somalia regieren Gewalt, Chaos und Anarchieund somit gilt es als das gefährlichste Land der Welt.

Allein die Thunfischflotte, angeführt von Spanien mit 60% und Frankreich mit 40% der Fänge, verarbeitet vor der Küste Somalias zirka 500.000 Tonnen jährlich. Damit tragen die Fischflotten der großen Mächte, an der Spitze jene der Europäischen Union, in dieser Form zur Verarmung der ärmsten Region der Welt bei. Sie rauben seinem Volk die Quelle des Proteins und beenden die Existenzgrundlage der lokalen Fischerei. Auf diese Art verurteilt man ein zerbrechliches Land ohne Hoffnung und in Agonie, an Hunger zu sterben. Seit 1990 hat die somalische Gesellschaft wiederholt vor der UNO und anderen internationalen Institutionen protestiert, aber niemand hat ihre Proteste gehört oder beachtet. Eine Überwachungsgruppe der UNO für Somalia dokumentierte in ihren Berichten die von den ausländischen Flotten verursachte systematische Verwüstung der Zone. Doch die UNO leiht ihren eigenen Kontrolloren keine Aufmerksamkeit und unternimmt absolut nichts, um die Ausbeutung zu stoppen.
Somalia als Deponie des reichen Westens für radioaktiven Müll
Aber damit noch nicht genug der Plage. Nach dem Fall der Regierung 1991 beginnen noch andere Schiffe die Küste Somalias zu frequentieren. Ihre Aktivitäten sind mehr als mysteriös, sie dringen in die territorialen Gewässer ein, werfen Fässer ins Meer und verschwinden.
Alarmiert durch diese suspekten Aktionen versuchen die somalischen Fischer - ohne Erfolg - die Schiffe zum Einstellen der Abladung der Last zu überreden. Der Inhalt der Fässer war 14 Jahre lang rätselhaft, bis Ende 2004 ein vernichtender Tsunami Südostasien geißelte. Als die Welle Somalia erreichte, strandeten hunderte dieser Fässer an der Küste, zerbrachen und ihr Inhalt ergoss sich auf den Boden. Danach wurden viele Bewohner der Zone krank. Atemwegsinfektionen, Darmblutungen, eigenartige chemische Reaktionen auf der Haut und mehr als 300 plötzliche Todesfälle alarmierten die Bevölkerung. Einige Zeit danach gebären Frauen Kinder mit Deformationen und verschiedenen Krankheiten.

Dabei ist das alarmierendste der hohe Anteil an nuklearem Abfall; dieser radioaktive Stoff tötet die Somalier und zerstört den Ozean zur Gänze. Ahmedou Ould Abdallah, Sonderbeauftragter der UNO in Somalia, erklärte gegenüber Al Jazeera, dass die Abfallentsorgung unentwegt weitergeht. Der Diplomat versicherte über Informationen zu verfügen, die belegen, dass europäische und asiatische Konzerne an der Verseuchung der somalischen Küste mit chemischen Giften und nuklearem Abfall beteiligt sind. Ja, die Vereinten Nationen senden ihre Repräsentanten, um die Katastrophe zu bestätigen, um danach das Kapitel ohne weitere Maßnahmen zu schließen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine einzige Verhaftung, keinen einzigen Prozess oder gar Urteil für diese Verbrechen.
Und das passiert nicht nur in Somalia, die Gewässer anderer afrikanischer Staaten wie Elfenbeinküste, Nigeria, Kongo oder Benin sind ebenfalls von der Abladung von Giftmüll der Industrieländer betroffen. Allein im Jahr 2001 wurden 600.000 Tonnen Giftmüll hinterlassen. Der afrikanische Kontinent verwandelt sich in einen Mülleimer für radioaktive Abfälle der reichen Länder. Ein verwüstetes Land, das vor Hunger stirbt. Die reichen Länder eilen heran, um ihnen die Fische wegzunehmen und kontaminieren dafür ihre Gewässer mit giftigem und radioaktivem Abfall.
Widerstand gegen ausländische Fischflotten und Müllkähne
Das ist der Kontext, aus dem die Bezeichnung für die dortige Bevölkerung als Piraten hervorgeht. Vor dieser Situation der fehlenden Verteidigung reagieren einige hoffnungslose Fischer mit der Allianz kleiner bewaffneter Gruppen in Schnellbooten, um die ausländischen Fischflotten und Müllkähne zu verjagen und abzuschrecken. „Vor vielen Jahren waren wir gewohnt viel zu fischen, genug um uns zu ernähren und einen Teil unseres Fanges am Markt zu verkaufen. Aber dann kamen die illegalen ausländischen Fischflotten und Müllkähne, die giftige Abfälle abwerfen und unsere Fischpopulation dezimieren, mir bleibt keine Alternative“. Sie benennen sich selbst „Freiwillige Küstenwache Somalias“ und zählen auf die volle Unterstützung der lokalen Bevölkerung. Einer Untersuchung zufolge unterstützen 70% der Bevölkerung diese Aktivitäten als eine Art der Verteidigung des territorialen Gewässers des Landes. Einer ihrer Anführer, Sugule Ali, erklärt die Motive: „Wir, die versucht sind, die illegale Fischerei und Müllabladung zu beenden, betrachten uns nicht als Meeresbanditen, sondern vielmehr jene, die uns dazuzwingen.“
Aber niemand nimmt sie zunächst ernst, das illegale Fischen und Müllabladen geht ungestraft weiter. Da dies alles in einem von Waffen strotzendem Land passiert, das in rivalisierende Banden zerteilt ist, vereinen sich Ex-Kombattenten mit diesen Fischern und mutieren zu schwer bewaffneten Gruppen. Indem sie die Notwendigkeit der Befreiung erkennen, nützen sie diese für einen lukrativen Handel mit den gekaperten Schiffen aus. Nachdem sie mit dem Aufhalten der Schiffe begannen, räumte sich die Zone von den Eindringlingen und sie begannen weniger oft die Küste zu frequentieren. Die Großmächte sehen ihre lukrativen Fischerei-Geschäfte gefährdet und sich besonders ihrer ökonomischen Müllentsorgung beraubt. Die UNO ignoriert systematischdie somalischen Klagen und hört auf jene Länder, die sich durch deren Aktionen gestört fühlen.
EU-Militärmission Atalanta schützt die wirklichen Piraten
Spanien und Frankreich, Länder mit gewichtigen Fangflotten in der Region, führen eine Petition an, welche eine gemeinsame militärische Aktion fordert. Auf diese Art entsteht die Operation Atalanta. Die Mission verfügt über 8 Kriegs- und Versorgungsschiffe, sowie Flugzeuge zur Überwachung und Erkennung. Nach dem Misserfolg der Operation, weitet diese Ihre Besatzung mit mehr als 20 Schiffen und 1.800 Soldaten aus. Die geschätzten Kosten für die spanische Regierung belaufen sich auf mehr als 6 Mio. € monatlich.

Aber, aus welchen Gründen fischen diese Flotten dort? Warum fangen sie nicht in ihren eigenen territorialen Gewässern? In ihren Ozeanen?
Nein, da gibt es nichts mehr zu fischen, die Ursache dafür ist schrecklich. Sie haben alles dem Erdboden gleichgemacht und alle Fischgründe ausgesaugt. Die reichen Länder haben das Meeresleben ihrer eigenen Ozeane vernichtet. Durch die Industrialisierung des Fischfangs in den kapitalistischen Ländern, wurden die Ökosysteme der Meere, mit dem Ziel, die Gewinne zu maximieren, bis zu ihrem Limit ausgebeutet. Durch die Zerstörung der Kapazität zur Regeneration der Meeresarten ist die Nahrungskette gebrochen und die Gattungen sterben aus.
75% der Fischbänke verschwunden
Laut einer Kundgebung von Greenpeace International wird mindestens ein Viertel aller gefangenen Meerestiere tot ins Meer zurückgeworfen. Wale, Delfine, Albatrosse und Schildkröten, von denen die Fischindustrie frivol als Beifang spricht. Von der Nordsee bis in den Golf von Biscaya, über das kantabrische Meer bis ins Mittelmeer ist die Mehrheit der Arten der Geschöpfe erschöpft oder gar zerstört.
Der Geschichtsprofessor für politische Entwicklung José Carlos García Fajardo bestätigt: Das sind die Ursachen, warum unsere europäischen Flotten nach den fischreichen Zonen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens suchen. In vielen Ländern herrschen skrupellose Regenten, denen es überdies an Mitteln fehlt, ihre territorialen Gewässer vor der Plünderung ihres Reichtums durch falsche Unternehmen zu schützen. Im Jahr 2006 versuchte Senegal seine Naturressourcen dadurch zu schützen, dass es seine Verträge mit den Ländern der Europäischen Union nicht mehr verlängerte. Aber es ist unmöglich, die kapitalistische Fischflotte aufzuhalten. Sie machen sich einfach über die Regeln lustig, indem sie gemischte Unternehmen (joint ventures) gründen, Lizenzen für andere Länder kaufen und unter einer ihnen genehmen Flagge segeln. Über das Internet kann man so eine Vorteilsflagge binnen weniger Minuten, um weniger als 500 € erwerben.
Da die Fischerboote Senegals ihren eigentlichen Nutzen verloren haben, werden sie jetzt für Emigranten, die in Europa eine bessere Zukunft suchen, paradoxerweise in jenen Ländern, die ihre Zukunft zerstört haben, eingesetzt. In Somalia haben die Fischerboote ebenfalls ihre Bestimmung verloren und dienen jetzt der Piraterie. Die globale Ozeankonferenz verkündet, dass weltweit 75% der Fischbänke verschwunden sind. Ebenfalls warnt die FAO, dass bereits 80% der weltweiten Fischreserven überfischt sind und 30% der Meeresarten sich unter der Grenze der biologischen Sicherheit befinden. Folglich rechnen verschiedene wissenschaftlicheStudien damit, dass im Jahr 2048 sämtliche Ressourcen des Fischbestandesunseres Planeten erschöpft sein werden.
Quelle: http://cultural.argenpress.info/2011/09/piratas-somalies.html
Übersetzung: Ernesto Quietensky