Leseprobe aus Kapitel 16 “Mit zunehmender Sorge. Offener Brief ins Herz der Finsternis“ aus der Neuerscheinung "Afrika. Exkusionen an den Grenzen des Weltsystems" von Günther Lanier.

“(…) Wenn Max Weber einst die ersten Schritte des allgemein als Kapitalismus bezeichneten Weltsystems auf die ‘Ethik’ des Protestantismus zurückführte, so mag der asketische ‘Geist’ der ursprünglichen AkkumuliererInnen unter den UnternehmerInnen (Sparen fürs Investieren statt zu konsumieren) das Verwenden moralischer Begriffe noch gerechtfertigt haben. Doch inzwischen hat sich das Bemühen ums Profitmaximieren als sekundäre Primitivität herauskristallisiert, es ist eine ‘Rückentwicklung’, ein Rückfall in als Ausbeutung daherkommende Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen. Und das Zelebrieren von Erfolg auf dem Rücken anderer kommt immer schamloser daher.

Anlass zur Sorge bietet insbesondere die Tatsache, dass sich zumindest zwei der drei Hauptstämme der KapitalistInnen auf Kriegsfuß befinden. Sie tun das immer unverhohlener, haben es offenbar nicht mehr nötig, ihr Spiel zu verstecken.

Da ist zum einen ‘Berlin’, das entweder mit eigenem oder mit seinem Brüsseler Mund die Kriegstrommel rührt, Deutschland und die EU aufrüstet und letztere mehr und mehr in eine Festung verwandelt, die sich gegen den Ansturm der Horden von Exkludierten wehrt, denen zu Hause ein würdiges Dasein verunmöglicht wurde.

Und da ist zum anderen ‘Washington’, derzeit verkörpert von einem nur scheinbar verrückten Milliardär, der seine undurchsichtigen Geschäftspraktiken auf das Managen der Maschinerie des Weltkapitals umlegt und – durchaus mit Erfolg, wie es ausschaut – die resultierenden Finanzflüsse so steuert, dass das Weltsystem noch mehr als bisher zur Melkkuh der um ihn gescharten Superreichen wird. (…)

In Afrika leben wir weitab vom Schuss, den Washington (z.B. auf China) vorhat. Freilich verhindert das nicht, Kollateralopfer zu werden. Siehe Mali, dessen Probleme zu einem erheblichen Teil Abfallprodukte der Intervention der Satten Welt in Libyen sind und dessen Islamisten auch nach Niger und Burkina überschwappen. Siehe Burkina, wo die Clique des Ende 2014 in die Flucht gezwungenen Kompradoren Blaise Compaoré das Land destabilisiert, wo nur geht, und es mittlerweile geschafft hat, Teile des Südostens des Landes dem sowieso nie sehr festen Zugriff zentralstaatlicher Autoritäten zu entziehen. (…)

Handelt es sich bei der voranschreitenden Globalisierung in ihrer Besessenheit des Mehrens materiellen Reichtums nicht um ein Regredieren ins Stadium der Barbarei? Oder sind diese Leute dem Naturzustand des rücksichtslosen Strebens nach persönlichem Gewinn unter Ausschluss  ihrer Mitmenschen nie entwachsen? Haben sie sich als resistent erwiesen gegenüber allen Versuchen, sie zu zivilisieren und den humanistischen Ideen zugänglich zu machen?

Wenn die Kurzen und die Trümpfe und die Junker und alle ihre KumpanInnen diese Primitivität so schätzen, können wir uns – ohne in irgendeiner Weise idealisieren zu wollen – nicht hinter einem Schutzschild der Armut und aus unserer subalternen, von niemand geneideten, vielsprachigen und kulturreichen Teil der Welt heraus weiterhin um das kümmern, worum es uns wirklich geht im Leben?“

Format A5, 576 Seiten, ISBN: 978-3-9504594-4-9, € 19,90, guernica-Verlag 2019

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