Die Solidarwerkstatt Österreich fordert in einem Offenen Brief die österreichische Regierung auf, gegen die Weiterverlängerung der mörderischen EU-Wirtschaftssanktionen gegen Syrien zu stimmen und selbst aus diesem Sanktionsregime auszusteigen, das die Zivilbevölkerung in Syrien brutal trifft und viele Menschen zu Flüchtlingen macht.


Solidarwerkstatt Österreich
Waltherstraße 15
4020 Linz

Offener Brief der Solidarwerkstatt Österreich
an die Österreichische Bundesregierung

Schluss mit den mörderischen Wirtschaftssanktionen gegen Syrien!

Ende Mai 2023 entscheiden die EU-Staaten wieder über die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Diese Entscheidung bedarf der Einstimmigkeit. Österreich hat es also in der Hand, diese völkerrechtswidrigen Sanktionen zu beenden, die sich mörderisch auf die Zivilbevölkerung auswirken und Fluchtursachen anheizen.

Seit 2011 verhängten EU und USA Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Bereits im Mai 2016 kam eine im Auftrag der UNO erstellte Studie zu dem Schluss, die Sanktionen hätten katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung. Die Maßnahmen, die Brüssel und Washington in Kraft gesetzt hätten, seien "das komplizierteste und am weitesten reichende Sanktionsregime, das jemals verhängt wurde" (1).

Hungerkatastrophe: Mehr als 12 Millionen Menschen haben nicht genug zum Essen

Der UN-Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen, Idriss Jazairy, beklagt dass diese Sanktionen "verheerende Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft und das tägliche Leben der einfachen Menschen gehabt haben" (2). Laut jüngsten Einschätzung des UN-Welternährungsprogramms haben derzeit über 12 Millionen Menschen in Syrien nicht genug zum Essen, das ist mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung. Preise für Lebensmittel hätten sich in den letzten Jahren verdreizehnfacht (3). 2,4 Millionen Kinder besuchen keine Schule, die Dunkelziffer liegt deutlich darüber. Die Caritas Österreich alarmiert, dass die Erdbebenkatastrophe im Februar dieses Jahres die humanitäre Katastrophe im Land weiter verschärft hat, aber die Sanktionen die Soforthilfe erschweren (4).

Kollaps des Gesundheitswesens

Auch Medikamentenfabriken, die nicht durch Kriegshandlungen zerstört worden seien, hätten mittlerweile schließen müssen, weil sie die zur Produktion nötigen Grundstoffe nicht mehr beschaffen könnten. Letztlich seien die Sanktionen "der Hauptgrund" für den Kollaps des syrischen Gesundheitssystems (5). In Krankenhäusern heißt es, man könne sogar überlebensnotwendige Medikamente, z.B. Mittel für Krebstherapien, nicht mehr beschaffen. In Damaskus kommen laut Berichten rund zehn Prozent der Patienten, die an Nierenproblemen leiden, ums Leben, da die zur Behandlung erforderlichen medizinischen Geräte nicht mehr mit Ersatzteilen oder mit Software-Updates versehen werden können (6).

„Politik der verbrannten Erde“

Selbst der „European Council on Foreign Relations“ (ECFR) urteilt, dass die westlichen Boykottmaßnahmen „vor allem die verwundbarsten Menschen in der syrischen Bevölkerung treffen“, sie seien „inhuman und zerstörerisch“. Das ECRF wörtlich: „Der Westen führt Krieg gegen die syrische Wirtschaft. … Die EU-US-Sanktionen offenbaren eine Politik der verbrannten Erde, die willkürlich und ohne Unterschied einfache Syrer bestraft" (7).

Christliche Würdenträger fordern Aufhebung der Sanktionen

Bereits 2016 riefen eine Reihe hoher christlicher kirchlicher Würdenträger aus Syrien auf, endlich dieses Embargo zu beenden (siehe hier): „Das Gerede über die Kriegsflüchtlinge aus Syrien sieht nach purer Heuchelei aus, solange man gleichzeitig, diejenigen, die in Syrien bleiben, weiter aushungert, ihnen die medizinische Versorgung, Trinkwasser, Arbeit, Sicherheit und die elementarsten Rechte verweigert.“ Die kirchlichen Würdenträger wiesen auch auf die politische motivierte Doppelbödigkeit der EU-Sanktionen hin: „2012 wurde aufgrund einer schwer verständlichen Entscheidung das Öl-Embargo für die Regionen aufgehoben, die die bewaffnete und dschihadistische Opposition kontrolliert.“ (8)

Im April 2022 haben sich auch in Deutschland Bischöfe der katholischen und orthodoxen Kirche, Pfarrer und Ordensleute einen Offenen Brief an das EU-Parlament unterstützt, in dem das Ende der Sanktionen gefordert wird, denn: Die Sanktionen machen Investitionen unmöglich, behindern den Wiederaufbau und stürzen das Land, das durch den Krieg bereits am Boden liegt, endgültig in eine beispiellose Wirtschaftskrise. Auch die Arbeit christlicher Hilfsorganisationen werde enorm erschwert, da sie aufgrund der Sanktionen westlicher Banken Geld nicht direkt nach Syrien überweisen könnten. Die Maßnahmen führten nicht zum beabsichtigten Sturz von Präsident Baschar al-Assad. "Stattdessen führen sie die Bevölkerung Syriens in eine humanitäre Katastrophe“, heißt es in dem Offenen Brief. (9)

Sanktionen sind völkerrechtswidrig

Der UN-Sicherheitsrat hat die Sanktionen gegen Syrien nie unterstützt. Die UN-Vollversammlung verurteilte die Sanktionen 2013 sogar explizit. In der Resolution A/RES/68/200 wird festgehalten, dass „einseitige wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen die Wirtschaft und die Entwicklungsanstrengungen insbesondere von Entwicklungsländern negativ beeinflussen.“ „Solche Maßnahmen“, fährt die Resolution fort, „stellen eine eklatante Verletzung der Prinzipien des Völkerrechts sowie der Grundprinzipien des multinationalen Handelssystems dar“ (10).

Wir fordern daher die österreichische Regierung auf, bei der Ende Mai anstehenden Abstimmung auf EU-Ebene gegen die Verlängerung der mörderischen und völkerrechtswidrigen EU-Sanktionen gegen Syrien zu stimmen und selbst aus diesem Sanktionsregime auszusteigen. Wir fordern eine Politik, die Fluchtursachen bekämpft, statt sie weiter anzuheizen. Dazu gehört auch die Anhebung der immer noch beschämend geringen Zahlungen Österreichs für das UN-Welternährungsprogramm.

Vorstand der Solidarwerkstatt Österreich
(April 2023)

Quellen:

(1) National Agenda for the Future of Syria: Humanitarian Impact of Syria-Related Unilateral Restrictive Measures. Office of the United Nations Resident Coordinator in the Syrian Arab Republic. 16.05.2016.
(2) Erklärung von Idriss Jazairy, Sonderberichterstatter zu den negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte. Podiumsdiskussion und Pressekonferenz der IPPNW. Berlin, 29. Mai 2018.
(3) Welternährungsprogramm: Millionen Menschen in Syrien haben nicht genug zu essen, 15.3.2023
(4) Caritas zu 12 Jahre Krieg in Syrien: Erdbeben verschärft bestehende humanitäre Krise weiter, 13.3.2023
(5) Rania Khalek: U.S. and EU Sanctions Are Punishing Ordinary Syrians and Crippling Aid Work, U.N. Report Reveals. Theintercept.com 28.09.2016.
(6) Nabih Bulos: For many Syrians, "smart" sanctions are anything but. Latimes.com 24.12.2018.
(7) Nour Samaha: The economic war on Syria: Why Europe risks losing. Ecfr.eu 11.02.2019
(8) http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/68/200
(9) www.domradio.de, 8.4.2022
(10) Resolution A/RES/68/200, adopted by the General Assembly on 20 December 2013, Unilateral economic measures as a means of political and economic coercion against developing countries, Verfügbar unter
http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/68/200