Im Sommer vergangenen Jahres bildete die konservative Nationale Koalition (Kokoomus) und die rechtsextreme Partei der Finnen (Perussuomalaiset) zusammen mit den kleineren konservativen Christdemokraten und der rechtsliberalen Schwedischen Volkspartei eine Regierung. Schon bald legte sie ein Regierungsprogramm vor, das auf nichts Geringes als die Zerschlagung des finnischen Sozialmodells und des gewerkschaftlichen Einflusses gerichtet war. 


Rotstift im Sozialbereich

Zunächst soll unter dem Schlagwort der Bekämpfung der Staatsverschuldung die Axt an den Sozialstaat und die Sozialversicherung gelegt werden: Dazu zählen die Abschaffung des Kinderzuschlags beim Arbeitslosengeld, die Kürzung des einkommensabhängigen Arbeitslosengeldes bereits nach zwei Monaten, eine verlängerte Wartezeit auf Arbeitslosengeld, Kürzungen beim Wohngeld und erschwerter Zugang zur Sozialhilfe. Für MigrantInnen ist ein eigenes, separates – verfassungswidriges – System der sozialen Sicherung vorgesehen. Und während sie bei öffentlichen Versorgungsstrukturen wie der Altenpflege und der öffentlichen Gesundheitsfürsorge massive Kürzungen vornimmt, steckt die rechts-rechte Regierung mehr Geld in private Versorgungsstrukturen. Auch im Bildungsbereich soll der Rotstift angesetzt werden, besonders im Bereich der Erwachsenenbildung. Sechs Milliarden Euro will die Regierung in den nächsten Jahren einsparen. 

Lohndumping

Sodann sollen die Arbeitsbedingungen verschlechtert und Druck auf die Löhne ausgeübt werden. Dazu zählen die Abschaffung der Bezahlung für den ersten Tag des Krankheitsurlaubs, die Abschaffung des Urlaubs für einen Arbeitsplatzwechsel, die Erleichterung von Kündigungen und befristeten Arbeitsverhältnissen. Besonders zielen der Regierungspläne auf die Zerschlagung der gewerkschaftlichen Verhandlungsmacht. Da es in Finnland kein Mindestlohngesetz gibt, bilden branchenweite und universelle Tarifverträge seit langem das Rückgrat der finnischen Gewerkschaftsbewegung. Universelle Tarifverträge gewährleisten faire Löhne und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle ArbeitnehmerInnen, auch wenn ihr eigener Betrieb nicht organisiert ist. Nun sollen Flächentarifverträge ausgehebelt werden, indem die Allgemeinverbindlichkeit solcher Verträge beseitigt und Verhandlungen auf betriebliche Ebene verlagert werden, auf der die Kapitalseite ungleich stärker ihre Bedingungen diktieren kann. Künftig sollen Abkommen auf Unternehmensebene auch ohne die Mitwirkung betrieblicher GewerkschaftsvertreterInnen abgeschlossen werden können. 

Darüber hinaus soll eine gesetzliche Regelung in Kraft treten, die es Beschäftigten verunmöglicht, individuell bessere Arbeitsbedingungen zu vereinbaren, als die gesetzlichen Regelungen vorsehen. Doch nicht nur durch Fragmentierung der Arbeitnehmerseite soll Lohndumping durchgesetzt werden. Die Regierung schlägt auch ein System vor, bei dem die Löhne in der gesamten Wirtschaft an den Exportsektor gebunden sind. Ein Aufholen der Löhne im Pflege- und Dienstleistungssektor, in dem v. a. Frauen arbeiten, wäre damit unterbunden.

Drakonische Strafen für Streiks

Ganz massiv sind die Attacken auf die Gewerkschaft im Streikrecht. So sollen das Recht auf Sympathiestreiks und politische Streiks unterbunden werden, exorbitante Geldbußen für „illegale“ Streiks über Gewerkschaftsorganisationen verhängt werden (bis 150.000 Euro) und sogar jeder einzelne Streikende selbst mit 200 Euro Strafe, die direkt an den Arbeitgeber zu zahlen sind, belegt werden.

Die Gewerkschaften schlagen zurück

Finnlands Gewerkschaftsbewegung ist traditionell sehr stark. Mehr als 75 Prozent der Menschen, die derzeit arbeiten oder Arbeit suchen, sind Mitglied einer Gewerkschaft. Die Gewerkschaften haben zurückgeschlagen. Mit großen Protestaktionen und mit – politischen – Streiks, an denen sich zwischen September 2023 und dem Frühjahr 2024 300.000 Beschäftigte beteiligten. Wochenlang wurden Industriebetriebe, Energieunternehmen und Häfen bestreikt; U-Bahn, Busse und Züge verkehrten nicht, die Fluggesellschaft Finnair musste hunderte Flüge streichen, Kindergärten und Dienstleistungsbetriebe schlossen sich den Streiks an, die zu den größten in der Geschichte der finnischen Gewerkschaftsbewegung zählen. „Für die Arbeiterbewegung in Finnland steht sehr viel auf dem Spiel“, kommentierte Turja Lehtonen, der stellvertretende Vorsitzende der Industriegewerkschaft. „Hat die Regierung Erfolg, werden ihre Reformen die Kräfteverhältnisse am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft von den Arbeitenden und ihren Vertretungen hin zu den EigentümerInnen und Aktionären der Unternehmen verschieben.“ (1) Regierungsvertreter reagierten äußerst aggressiv auf die Streiks und bezeichneten die Gewerkschaft als „Mafia“. 

EU-Agenda wird über rechts-rechte Regierung umgesetzt

Noch bewegt sich die Regierung kaum. Die Regierung aus Konservativen und Rechtsextremen weiß nicht nur das finnische Großkapital hinter sich, sondern auch die EU-Kommission, die ab 2024 die Fiskalregeln wieder exekutiert. Die EU-Kommission hat im Juni 2024 in ihren länderspezifischen Empfehlungen unmissverständlich von Finnland gefordert, „im Einklang mit dem reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt das Wachstum der Nettoausgaben im Jahr 2025 auf eine Rate zu begrenzen, die damit vereinbar ist, den gesamtstaatlichen Schuldenstand mittelfristig auf einen plausiblen Abwärtspfad zu bringen und das gesamtstaatliche Defizit des Staates unter den im Vertrag festgelegten Referenzwert von drei Prozent des BIP zu senken.“ Gefordert wird eine „Reform der Sozialversicherung“, um „die Anreize zur Arbeit zu verbessern und die langfristige Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen zu unterstützen“ (2). Der finnische Arbeitsminister Arto Satonen von der Nationalen Koalition weiß, dass er die Rückendeckung der EU-Kommission hat: „Die EU hat mit dem Finger auf unsere schuldenbasierten öffentlichen Ausgaben gezeigt. Wir dürfen die Reformen nicht unumgesetzt lassen“ (3), zeigt er sich bereit, den finnische Wohlfahrtsstaat unter den Hammer des EU-Konkurrenzregimes zu bringen. Bereits 2015 bis 2017 hatte eine rechte Regierung über den „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ eine EU-Agenda durchgesetzt und die gewerkschaftliche Mitbestimmung in der Arbeitsgesetzgebung beseitigt.

Der jetzige thatcheristische Großangriff knüpft nahtlos daran an. Die rechtsextreme Finnen-Partei erweist sich dabei als verlässlicher Verbündeter. Es ist erstaunlich, wie rasch diese Partei, die als Opposition EU-kritische und soziale Positionen lauthals vor sich hergetragen hat, umschwenkt, sobald sie in der Regierung sitzt. Die „Wahren Finnen“ (so ihre Selbstbezeichnung bis 2012) haben rasch ihr „wahres“ Gesicht gezeigt: neoliberal, dem Großkapital verbunden und zur Unterordnung unter die EU-Austeritätspolitik bereit. Die Parallelen zur FPÖ sind augenscheinlich. Neoliberalismus und Rechtsextremismus vertragen sich bestens, erst recht im Rahmen des EU-Konkurrenzregimes, in dessen Sumpf beide gedeihen. Diesen trockenzulegen bleibt die strategische Herausforderung.

Anmerkungen

(1) Aus: Jacobin, Finnlands Gewerkschaften schlagen zurück, 21.3.2024

(2) EU-Kommission, Recommendation for a Council Resommendation on the economic, social, employment, structural and budgetary policies of Finland, 19.6.2024

(3) Zit. nach de.euronews.com, 1.2.2024