Israel/Palästina steht vor der Weggabelung: Fortsetzung der bisherigen Ein-Staaten-Lösung auf Apartheidsgrundlage oder demokratische Ein-Staaten-Lösung mit gleichen Rechten und Pflichten für alle dort lebenden Menschen – unabhängig von Herkunft und Religion. Die Zwei-Staatenslösung wurde durch die israelische Siedlungspolitik systematisch zerstört.

Im Jahr 2017 kam ein UNO-Bericht an die Öffentlichkeit, der zu folgendem Schluss gekommen: „Fern jedes vernünftigen Zweifels, belegen die Beweise, dass Israel schuldig ist, ein Apartheidregime gegen das palästinensische Volk errichtet zu haben.“ Dieses Apartheidsregime hat viele Gesichter:

  • Während es allen Juden dieser Welt – und deren Ehepartnern, ihren Kindern, Enkeln und all deren Ehepartnern – möglich ist, staatlich alimentiert nach Israel zu emigrieren, ist dies den im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 vertriebenen Palästinensern und deren Nachkommen strengstens untersagt.
  • 50 Jahre Besatzung haben ein umfassendes System der wirtschaftlichen und politischen Apartheid installiert: Die systematische Zerstörung von Infrastruktur und Ressourcen (z.B. die millionenfache Brandrodung und Entwurzelung der so lebenswichtigen Olivenbäume), der tagtägliche Raub von Land und Wasser, das oft eingesetzte Abstellen von Strom, Telefon, Wasser oder Internet als Kollektivbestrafung, die unerträgliche Einschränkung der Transport- und Bewegungsfreiheit durch das dichtmaschige Netz aus Straßensperren, Checkpoints und Militärbasen, die Kontrolle über die palästinensischen Steuereinnahmen, und insbesondere die Schikanen und Diskriminierungen der israelischen Behörden auf sämtlichen Gebieten – halten die palästinensische Wirtschaft am Boden, die ohne die Besatzung heute etwa den doppelten Entwicklungsstand hätte, wie 2016 ein UN-Bericht ergab.
  • Es existieren zwei getrennten, parallelen Rechtssysteme: das israelische Zivilrecht für die privilegierten jüdischen SiedlerInnen im Großteil des Westjordanlandes (sogenannte Zone C) und ein Militärregime, das auf die palästinensische Bevölkerung der besetzten Gebiete Anwendung findet, welche vertrieben, voneinander getrennt und abgegrenzt in gewissen Gebieten des besetzten Ostjerusalems und des Westjordanlands (sogenannte A- und B-Zonen) leben. Seit 1967 befanden sich fast 40 Prozent der männlichen palästinensischen Bevölkerung der besetzten Gebiete in israelischen Internierungslagern und Gefängnissen, wo sie oft unmenschliche Behandlung, Folter und Entzug von Familienbesuchen erfahren und keinen Zugang zu einem fairen Gericht haben.
  • Lediglich 18% der Fläche des Westjordanlands befinden sich unter vollständiger Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die exklusiv jüdischen Siedlungen in den besetzten Gebieten werden permanent ausgeweitet und zerstückeln palästinesisches Territorium. Dieser koloniale Landraub ist eindeutig völkerrechtswidrig.

Israelische Politik zerstört Zwei-Staaten-Lösung

Jahrzehntelang wurde dieses Apartheidsregime mit dem Verweis auf eine zukünftige Zwei-Staaten-Lösung wenn schon nicht gerechtfertigt, so doch mit einem absehbaren Ablaufdatum versehen. Aber mittlerweile ist klar: Die israelische Politik der permanenten Landnahme in den besetzten Gebieten hat diese Zwei-Staaten-Lösung zerstört. Es gibt kein eigenständiges palästinensisches Staatsgebiet mehr. Die israelische Politik denkt nicht ansatzweise an die Rücknahme der illegalen Siedlungen. Allein seit dem Osloer Friedensprozess 1994 hat sich die Zahl der Siedler im Westjordanland und Ost-Jerusalem auf über 600.000 mehr als verdoppelt. Der Trump-Plan will den Kolonialstatus Palästinas nun endgültig festschreiben.

Die Propagierung der Zwei-Staaten-Lösung dient unter diesen Bedingungen nur mehr dazu, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Die reale Weggabelung, vor der Israel/Palästina steht, ist: Fortsetzen der Einstaaten-Lösung als Apartheidstaat, wo Millionen von Menschen aufgrund ethnischer Kriterien systematisch als Menschen zweiter und dritter Klasse behandelt werden - oder Abzweigen in Richtung einer demokratischen Ein-Staaten-Lösung, wo alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten haben – unabhängig von Herkunft und Religion. Dass letzteres von allen Parteien im Nationalrat als Antisemitismus denunziert und mit Auftrittsverboten belegt wird, ist ein Skandal. Wer den Kampf gegen Antisemitismus vorschiebt, um Apartheid zu rechtfertigen, verhöhnt die Opfer der Shoa. Der Kampf gegen Antisemitismus und Apartheid kann nur Hand in Hand gehen.

Gerald Oberansmayr
(Februar 2019)

Siehe dazu auch: Antisemitismus - überall oder nirgendwo?