Die unterschiedliche Reaktion Österreichs auf den israelischen und iranischen Luftangriff offenbart wieder einmal die doppelten Standards in der österreichischen Außenpolitik.
Bei einem israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus am 1. April 2024 wurde das Konsulatsgebäude der Botschaft der Islamischen Republik Iran in der syrischen Hauptstadt zerstört. Bei dem israelischen Angriff gab es 16 Tote. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte handelte es sich dabei um acht iranische, fünf syrische und einen libanesischen Kombattanten sowie zwei Zivilisten, eine Frau und ihr Sohn. Das benachbarte kanadische Botschaftsgebäude wurde bei dem Raketenbeschuss ebenfalls beschädigt. Die Botschaftsgebäude liegen unmittelbar nebeneinander in der Al-Farabi-Straße im Stadtviertel Mezzeh, dem Botschaftsviertel von Damaskus. Zwischen den beiden Botschaftsgebäuden stand das zerstörte und ebenfalls unter völkerrechtlichen Schutz gemäß Art. 31 des Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963 stehende Konsulatsgebäude. Zudem befand sich in dem zerstörten Konsulatsgebäude auch die völkerrechtlich gemäß Art. 30 des Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961 gleich einer Botschaft als unverletzlich geltende Residenz des iranischen Botschafters und seiner Familie. Kanadas Außenministerin Mélanie Joly erklärte, Kanada sei nicht vorab gewarnt worden.
Zahlreiche Länder und internationale Organisationen verurteilten den Anschlag. Am 13. April 2024 folgte ein iranischer Vergeltungsschlag gegen Israel, auf den wiederum Israel mit einem Luftangriff gegen Iran reagierte.
Der Angriff auf die Auslandsvertretung wird mitunter als Verstoß gegen das Völkerrecht bewertet, nämlich die Charta der Vereinten Nationen, das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen und das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen. Andere Rechtswissenschaftler betrachten den Angriff zwar nicht als Bruch der Wiener Übereinkommen, da sich die Botschaft nicht in Israel befand, womit die Unverletzlichkeit gemäß Artikel 31 nicht gelte; es sei aber ein Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen. Laut Marko Milanović, Professor für Völkerrecht und Herausgeber des European Journal of International Law, gebe es in den internationalen Beziehungen „ein starkes Tabu“ gegen Angriffe auf Botschaften. Ein von den Vereinten Nationen beauftragtes Expertengremium für internationales Recht, bestehend aus Ben Saul, Morris Tidball-Binz, Javaid Rehman , Livingstone Sewanyana und Cecilia M. Bailliet, schrieb, dass Israel keine rechtliche Begründung für den Angriff vorgelegt und es versäumt habe, ihn dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vorab formal anzukündigen. Ihrer Ansicht nach verstieß es daher gegen Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen, der die Anwendung von präventiver Gewalt gegen einen anderen Staat
verbietet. Sie kamen ebenfalls zu dem Schluss, dass die an dem Angriff beteiligten israelischen Beamten mutmaßlich ein Kriegsverbrechen begangen hätten *).
Während das neutrale Österreich den israelischen Angriff nur im Rahmen der EU verurteilte und dabei zur Mäßigung appellierte, reagierte es beim iranisches Gegenschlag gegen israelisches Territorium als Scharfmacher. Im Rahmen des EU-Rats forderte Österreich weitere Sanktionen gegen den Iran. Gleichzeitig kooperiert Österreich weiter mit Israel insbesondere auch auf dem Gebiet des Militärs.
Diese Form der Selbstjustiz, wie sie Israel seit Jahrzehnten betreibt, untergräbt das internationale Rechtssystem. Die doppelten Standards der österreichischen Außenpolitik gefährden nicht nur die internationale Ordnung, sondern sind auch offene Sabotage an einer auf Frieden gerichteten, auf der Neutralität basierenden Außenpolitik. Neutralität gründet hochgradig auf Vertrauen. Das Vertrauen auf die österreichische Neutralität wird so systematisch vom politischen Establishment
zerstört.
Boris Lechthaler
(28. April 2024)
*) Israelischer Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus 2024 – Wikipedia