ImageDie Solidarwerkstatt führte ein Interview zur "Demokratiebewegung in Ägypten" mit Dr. Khalid Geraia, einem Österreicher aus Ägypten. Dabei fragten wir nach den Hintergründen dieser demokratischen Revolution, dem Verhältnis von US und EU zum Mubarak-Regime sowie deren Rolle einst und jetzt, und möglichen Zukunftsperspektiven für Ägypten.

Werkstatt-Blatt: Worin siehst Du die Hintergründe für die demokratische Revolution in Ägypten?

Dr. Khalid Geraia: Es gibt verschiedene Gründe für die demokratische Revolution in Ägypten. Man kann sie in wirtschaftliche, kulturelle, gesellschaftliche und regionale Gründe unterteilen. Die wirtschaftlichen Gründe kann man in eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, und dem großen Gefälle zwischen arm und reich zusammenfassen. 40% der Ägypter leben unter der Armutsgrenze von 60 $ im Monat. Die Religion hat aber unterschiedliche Rollen gespielt. Auf der einen Seite gab es den Einfluss der Golfstaaten in Richtung Beruhigung nach dem Motto „ Wir müssen den Obrigkeiten folgen“. Auf der anderen Seite gab es die religiöse Opposition in Form der Muslimbruderschaft, die ja an den Protesten teilgenommen hat. Die Revolution ist aber von gut ausgebildeten Mittelschichtkindern, die sich mit Internet Facebook und twitter gut auskannten, ausgegangen. Die Muslimbrüder waren bloß ein Teil von vielen anderen Kräften. Diese kann man wiederum in die Liberalen, die Linken und christliche Kopten unterteilen.

Folter stand an der Tagesordnung im Polizeirevier. Manche Menschen haben ihr Leben dort gelassen. Der andauernde Ausnahmezustand, der seit mehr als 70 Jahren besteht, hat viele Bürgerrechte beschnitten. Der Ausnahmezustand ermöglicht der Staatspolizei auf Grund eines Verdachts Menschen ohne Verhandlung einzusperren und dies nicht nur für eine oder zwei Wochen, sondern für mehrere Jahre. Der starke Demokratiemangel und der regelmäßige Wahlbetrug haben zur Unzufriedenheit der Ägypter mit diesem Regime beigetragen. Die Korruption auf vielen Ebenen hat Unmut unter der Bevölkerung noch vergrößert.

Die regionalen Gründe kann man aber mit dem scheinbar unlösbaren chronischen palästinensischen – israelischen Konflikt erklären. Viele Ägypter sind über der Außenpolitik ihrer Regierung verärgert. Vor allem der letzte Krieg im Gazastreifen und die Dauerbelagerung von Gaza haben viele Gemüter erhitzt. Der Gazastreifen hat Ägypten einmal gehört und viele Ägypter sind der Meinung, dass Gaza ein Teil Ägyptens ist.  

Alle diese Ungeheuerlichkeiten haben die Ägypter geduldig ertragen. Sie haben gehofft, dass der Alptraum mit dem Ende der Mubarak-Ära endlich vorbei ist. Aber was für eine große Enttäuschung für die Ägypter, als sie erleben mussten, dass diese Ära noch lang nicht vorbei war. Denn Gamal Mubarak der zweiter Sohn des Ex-Präsidenten kam. Das war ihnen zu viel. Das hat alle Vorstellungen von Gut und Böse übertroffen. Und hat das Fass zum Überlaufen gebracht.                

Werkstatt-Blatt: Wie war das Verhältnis von USA und EU zum Mubarak-Regime? Welche Rolle spielt der Westen jetzt?

Dr. Khalid Geraia: Die USA sind schon immer und auch bis zuletzt zum Mubarak-Regime gestanden. Die EU hat keine eigene Meinung in dieser Hinsicht gehabt. Ashtone hat meistens wiederholt was Hillary Clinton gesagt hat. Die Israelis haben große Angst vor einer zweiten Hamas in Ägypten. Diese Angst, die ja auch teils berechtigt ist, haben die Israelis auf die Amerikaner und Europäer übertragen.

Aber kommt es wirklich zur Übernahme der Regierung seitens der Muslimbruderschaft?

Man glaubt das nicht wenn:

- Erstens die Korrupten rechtlich verfolgt werden und ihre Strafe bekommen.

- Zweitens richtige demokratische Wahlen mit Personal-Ausweis durchgeführt werden.

- Drittens es freie Meinungsäußerung und freier Zugang zu allen Medien gibt und  gleichzeitig die Zensur aufgehoben wird.

- Viertens ein uneingeschränktes Recht auf Parteiengründung und freie politische Arbeit erlaubt wird.

Schließlich schlage ich „peaceful Transition“ als meist gebrauchtes Wort des Jahres vor.          

Werkstatt-Blatt: Welche Perspektiven siehst Du für den demokratischen Aufbruch in Ägypten?

Dr. Khalid Geraia: Es gibt zwei Perspektiven. Die erste optimistische Variante geht Richtung wirkliche Demokratisierung und Korruptionsbekämpfung. Wenn die Machthaber, und das sind die Militärs, den Forderungen der Revolution ehrlich nachgehen. Diese Forderungen sind:

·         Rücktritt von Mubarak (erreicht)

·         Aufhebung der jetzigen Verfassung (erreicht)

·         Auflösung von beiden Kammern (erreicht)

·         Demokratische Verfassung (bearbeitet)

·         Aufhebung des Ausnahmezustandes

·         Die Bildung eines präsidialen Komitees sowie einer

zivilen Übergangsregierung, mit neuen Gesichtern bis zu den Wahlen

·         Freie Meinungsäußerung und freier Zugang zur allen Medien

·         Freie und wirksame Gewerkschaften bilden

·         Uneingeschränktes Recht auf Parteiengründung

·         Auslöschung von militärischen Tribunalen und ihren Urteilen

·         Soziale Gerechtigkeit

Die zweite Perspektive ist eine düstere Variante, wo die Revolution umgegangen wird. Die jetzigen Machthaber opfern ein paar schwarze Schafe, um das Volk zu beruhigen. Und danach bleibt alles beim Alten. Das wäre sicher sehr schlimm. Deswegen finde ich, dass die nächste Periode eine sehr kritische Zeit darstellt, in der wir alle wachsam bleiben müssen!