Al-Sisi kam Mitte 2013 mit Hilfe eines Militärputsches in Ägypten an die Macht. Unmittelbar danach sind zwei Zahlen in die Höhe gerauscht: die Zahl der verhängten Todesurteile und die Zahl der Waffen, die EU-Staaten an die ägyptische Diktatur lieferten.

 

Die konkreten Zahlen: Die Zahl der Todesurteile stieg mit der Machtergreifung Al-Sisis sprunghaft an und lag 2018 um das fast 6,5-Fache über der Zahl von 2013 (sh. unten Grafik 1). Die Rüstungsexporte aus EU-Staaten sprangen von 2013 bis 2016 um das 15-Fache in die Höhe und liegen 2018 noch um das mehr als 5-Fache über dem Wert von 2012 (sh. unten Grafik 2).

Die Menschenrechtssituation in Ägypten ist katastrophal. Ein Auszug aus dem Bericht von Human Rights Watch vom 23.7.2018: „Seit der demokratisch gewählte Präsident Mohamed Mursi 2013 abgesetzt wurde, hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten stetig verschlechtert. Polizei- oder Militärkräfte werden für exzessive Gewalt nicht zur Verantwortung gezogen. Regierungskritiker/innen, führende Persönlichkeiten der Opposition und weitere politisch Aktive Personen werden willkürlich festgenommen oder Opfer von Verschwindenlassen. Die Meinungsäußerungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt.“ (2) Laut Human Rights Watch haben dem Putsch 2013 die Behörden mindestens 60.000 Menschen festgenommen, 2.500 Todesurteile wurden verhängt, der Großteil aus politischen Gründen, zumeist unter dem Titel „Anti-Terror-Kampf“. Ziel der Verfolgung sind vor allem die Muslimbrüder, die über eine große Anhängerschaft im Land verfügen.

529 Todesurteile in 15 Minuten

Von einem auch nur ansatzweise fairen Rechtsverfahren kann keine Rede sein. Im März 2014 brauchte ein Gericht im oberägyptischen Minia gerade einmal 15 Minuten, um 529 Menschen zum Tode zu verurteilen. So schreibt „Qantara“, ein Projekt der „Deutschen Welle“, dass die meisten Todesurteile „auf Ermittlungen der ‚Behörde für Nationale Sicherheit‘, also des Inlandsgeheimdienstes, beruhen. Die von dieser Behörde eingebrachten Fälle beruhen häufig auf vertraulichen Quellen, die von den Geheimdienstmitarbeitern bis zum Schluss des Verfahrens nicht offengelegt werden. Meist werden daher Todesstrafen und lebenslange Haftstrafen unter Bezug auf Quellen verhängt, die nur dem Geheimdienst bekannt sind – nicht einmal den Richtern selbst.“ (1) Die „Geständnisse“ werden oft unter der Folter erzwungen. Laut Human Rights Watch „gehören zu den Foltermethoden Schläge, Elektroschocks und manchmal auch Vergewaltigung. Wer sich der Folter schuldig mache, muss nicht mit Strafe rechnen, denn: Präsident Abdel Fattah al-Sisi habe der Polizei und dem nationalen Sicherheitsdienst "grünes Licht gegeben zu foltern, wann immer es ihnen gefällt.“ (2)

„Hervorragende bilaterale Beziehungen“

In der EU werden diese groben Menschenrechtsverletzungen bestenfalls in Sonntagsreden problematisiert. Die harten Fakten bestätigen dagegen, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten die mörderische Diktatur in Ägypten tatkräftig unterstützen. Nach dem Amtsantritt al-Sisis sind die Waffenexporte nach Ägypten sprunghaft in die Höhe geklettert. Hauptexporteure aus dem EU-Raum sind Frankreich, gefolgt von Deutschland.

Die Angaben von Amnesty International zeigen, dass vor allem Kriegsgerät geliefert wurde, das Al-Sisi für die Repression im Inneren dienlich ist: Kleinwaffen und leichte Waffen sowie Munition, gepanzerte Fahrzeuge, Militärhubschrauber und Überwachungstechnologie.

Al-Sisi ist für die EU aber nicht nur als Abnehmer von Waffen von Interesse: Er ist auch bereit, sich für die rigide Flüchtlingsabwehr der EU ins Zeug zu werfen. Als Ende 2018 der österreichische Kanzler Sebastian Kurz al-Sisi in der Wiener Hofburg empfing, lobte Kurz „die hervorragenden bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Ägypten und die gute Kooperation im Kampf gegen die illegale Migration“ (3). Journalistenfragen waren bei der Pressekonferenz von Kurz und al-Sisi nicht zugelassen, um die staatsmännische Harmonie nicht zu trüben. Auch Bundespräsident Van der Bellen empfing al-Sisi mit allen militärischen Ehren. Gemeinsam freuten sich die beiden Herren über die „guten bilateralen Beziehungen“, die „jedoch noch ausbaufähig“ seien (4).

„Unser Schweinehund“

Ein weiterer Aspekt spielt eine große Rolle dafür, dass die EU al-Sisi umwirbt. Die EU-Kommission arbeitet seit Mitte 2013 – was wohl rein zufällig mit dem Zeitpunkt des Putsches zusammenfällt - mit Ägypten an der „Vertiefung der Handels- und Investitionsbeziehungen“, die zu einem „vertieften und umfassenden Freihandelsabkommen“ führen sollen, um „Marktchancen und das Investitionsklima zu verbessern und (neoliberale, Anm. d. Red.) Wirtschaftsreformen in Ägypten zu unterstützen“ (5). Wegen Unterdrückung der Meinungsfreiheit, massenhafter Folter, zehntausenden politischen Gefangenen und einigen tausenden Todesurteilen hat sich die EU noch nie einen lukrativen Markt ruinieren lassen. Das bekräftigte EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker beim ersten Gipfeltreffen der EU mit der Arabischen Liga im Februar 2019: „Die Bedeutung der Menschenrechte dürfe zwar nicht unterschätzt werden – aber man solle das Thema auch nicht überbewerten“ (6).

Auch in Brüssel gilt, was seinerzeit US-Präsident Eisenhower über einen lateinamerikanischen Diktator äußerte: „Sicherlich ist er ein Schweinehund, aber er ist unser Schweinehund.“

Gerald Oberansmayr
(Dezember 2019)

Grafik 1
Aegypten Todesurteile G1
Grafik 2
Aegypten Waffenexporte G2

Quellen: