BERLIN/CARACAS (Eigener Bericht) - Die Bundesregierung fordert ultimativ Neuwahlen in Venezuela und will am kommenden Wochenende einen Umstürzler als "Interimspräsidenten" des Landes anerkennen. Dies hat eine Regierungssprecherin am Samstag via Twitter mitgeteilt. Der beispiellose Schritt, mit dem sich Berlin eine Entscheidungsgewalt über Oberhäupter fremder Staaten anmaßt, ist gemeinsam mit der ehemaligen Kolonialmacht über das heutige Venezuela, Spanien, erfolgt. Er zielt darauf ab, die Opposition im Land an die Macht zu bringen, die von dessen reichen, weißen Eliten getragen wird und in den Jahren, als sie das Land beherrschte, stets loyal zu den transatlantischen Mächten war. Der aktuelle Umsturzversuch ist der jüngste in einer langen Reihe früherer Staatsstreich-Bestrebungen, deren Protagonisten sich oft auf die Förderung durch deutsche Stellen verlassen konnten. Der Umstürzler Juan Guaidó sucht das Ultimatum der Bundesregierung zu nutzen, um Militärs zu einem ergänzenden Putsch zu veranlassen. Für die westlichen Mächte geht es auch darum, im globalen Machtkampf gegen Russland und China die Reihen zu schließen.

Nach Kolonialherrenart

Mit einem Ultimatum fordert die Bundesregierung Neuwahlen in Venezuela und stellt bei Nichterfüllung die Anerkennung des Umstürzlers Juan Guaidó als "Interimspräsident" in Aussicht. "Werden nicht binnen 8 Tagen Wahlen angekündigt", teilte die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung Martina Fietz am Samstag auf Twitter mit, dann "sind wir bereit, Juan Guaidó als Interimspräsidenten anzuerkennen".[1] Der Vorstoß Berlins, das es sich damit anmaßt, nach Kolonialherrenart die Oberhäupter fremder Staaten auszutauschen, ist gemeinsam mit der einstigen Kolonialmacht über das heutige Venezuela, Spanien, und mit Frankreich erfolgt. Großbritannien und die Niederlande haben sich der Berliner Forderung mittlerweile angeschlossen. Die EU behält sich dies für die kommenden Tage vor. Die Vereinigten Staaten sind mit der Anerkennung des Umstürzlers Guaidó bereits am Mittwoch vorgeprescht.

Die alten, weißen Eliten

Der beispiellose Schritt erfolgt, nachdem fast zwei Jahrzehnte lang sämtliche Versuche, die 1999 an die Macht gelangten Regierungen von Hugo Chávez und seinem Nachfolger Nicolás Maduro per Putsch, mit Hilfe von Unruhen oder auch durch Wirtschaftssabotage zu stürzen, scheiterten. Bereits diese Versuche wurden unternommen, weil sich die venezolanische Opposition stets als unfähig erwiesen hatte, auf demokratischem Wege an die Regierung zu kommen. Sie entstammt weitgehend den alten, wohlhabenden, weißen Eliten des Landes; selbst Medien, die zu den schärfsten Gegnern der Regierung Maduro gehören, räumen ein, dass sich weiterhin "die meisten Venezolaner nicht mit den Parteien der Opposition" identifizieren.[2] In Berlin spielt dies keine Rolle. Hatten deutsche Stellen venezolanische Putschisten bislang verdeckt gefördert (german-foreign-policy.com berichtete [3]), so geht Berlin - in Verbindung mit Washington - nun dazu über, die Umstürzler offiziell zu unterstützen. Parallel bereiten US-Stellen weitere Schritte vor; so sollen Rechnungen für Erdölimporte aus Venezuela nicht mehr bezahlt werden, um das Geld Guaidó zur Verfügung zu stellen - unter der Fiktion, es handle sich bei ihm um den venezolanischen Präsidenten.

Der Ruf nach dem Putsch

Guaidó, den die Bundesregierung in Kürze als "Interimspräsidenten" anerkennen will, setzt darauf, seine Selbstproklamation mit einem Putsch zu stabilisieren. Bereits Anfang vergangener Woche hatte die von ihm geleitete Nationalversammlung eine Amnestie verabschiedet, die allen Militärs, die sich an Maduros Sturz beteiligen würden, Straffreiheit gewährte; offiziell wurde dieser Schritt als "Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung" bezeichnet.[4] Bereits am Montag kam es zu einem kläglich gescheiterten Putschversuch von zwei bis drei Dutzend Angehörigen der Nationalgarde, die festgenommen wurden.[5] Davon abgesehen verhält sich das Militär bislang in vollem Umfang loyal gegenüber Präsident und Regierung. Guaidó und seine auswärtigen Helfer haben deshalb am Wochenende nachgelegt. Am gestrigen Sonntag hat der venezolanische Militärattaché in Washington, Oberst José Luis Silva, sich auf Guaidós Seite geschlagen und die venezolanischen Streitkräfte aufgefordert, den Umsturz offen zu unterstützen.[6] In diesem Sinne wird in Caracas auch das Berliner Ultimatum eingesetzt. "Europas" Schritt sei "sehr produktiv", äußerte Guaidó am Wochenende: Er sei sehr günstig für "Beamte und Militärangehörige", die "den Schritt" zu einer Beteiligung am Umsturz "wagen wollen".[7]

Spiel mit dem Bürgerkrieg

Dass Berlin sich nicht nur über die politische Bedeutung, sondern auch über die Gefahren seines Ultimatums im Klaren ist, zeigt eine Stellungnahme aus der vom Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Sie bestätigt, dass "die Opposition und ihre internationalen Verbündeten" darauf setzen, dass "Offiziere der unteren Ränge bereit sind, ihre Loyalität mit dem Regime aufzukündigen".[8] Zwar habe Guaidó mit der Amnestie zu Wochenbeginn "Anreize für Armeeangehörige" gesetzt, heißt es bei der SWP: "Doch bislang zieht dieses Angebot nicht." "Es scheint noch immer die traditionelle Doktrin der Streitkräfte zu tragen", heißt es weiter, "nach der ihr Handeln keinen Anlass geben darf, dass 'Venezolaner auf Venezolaner schießen'". Demnach impliziert die Absicht, Militärs zum Putsch anzustiften, einen Bruch mit dieser "Doktrin". Damit stünde die Gefahr eines Bürgerkriegs unmittelbar im Raum.

Gegen Russland und China

Für die westlichen Mächte hätte ein erfolgreicher Umsturz weitreichende Konsequenzen im Machtkampf gegen Russland und China. Mussten sie sich bis zu Chávez' Amtsantritt Anfang des Jahres 1999 nie Sorge um die Loyalität der wohlhabenden Eliten Venezuelas machen, die nun die Opposition führen, so ist seither der Einfluss Russlands und Chinas immer stärker geworden. So haben russische Unternehmen mittlerweile laut Berichten mehr als 17 Milliarden US-Dollar in Venezuela investiert; insbesondere ist der russische Erdölkonzern Rosneft in der venezolanischen Ölbranche aktiv.[9] Auch China arbeitet wirtschaftlich eng mit Venezuela zusammen und hat das Land mit einer Reihe von Krediten unterstützt. Zuletzt erregte im Westen einige Aufmerksamkeit, dass zwei russische Kampfjets des Modells TU-160, die Atomwaffen tragen können, am 10. Dezember - kurz nach einem Besuch von Präsident Maduro in Moskau - in Maiquetía unweit der Hauptstadt Caracas landeten.[10] Mit der Präsenz seiner zwei TU-160 in der Nähe des US-Territoriums hat sich Russland kurzzeitig erlaubt, was sich die NATO über der Ostsee unweit der russischen Nordwestgrenze regelmäßig herausnimmt - mit Bombern nahe an das gegnerische Hoheitsgebiet heranzufliegen.

Die dritte Front

Ein Gelingen des Umsturzversuchs würde dem ein Ende setzen und im Westen die Reihen im globalen Machtkampf gegen Russland und China schließen. Zuvor war in Brasilien die Regierung des Partido dos Trabalhadores (PT), die ebenfalls in gewissem Umfang mit Russland und China kooperierte, per Justizputsch ausgeschaltet worden; aktuell ist eine ultrarechte, von den Militärs kontrollierte Regierung im Amt (german-foreign-policy.com berichtete [11]). Entsprechend haben vor allem ultrarechte Regierungen in Lateinamerika sich den westlichen Mächten angeschlossen und erkennen den Umstürzler Guaidó als "Präsidenten" an, während etwa Bolivien sowie Mexiko, die nicht auf offene Konfrontation gegenüber Moskau und Beijing setzen, sich dem Schritt klar verweigern. Der globale Machtkampf, in dem sich der Westen militärisch gegen Russland in Stellung gebracht hat und zunehmend - zunächst vor allem wirtschaftlich - China attackiert, erhält mit der Herrschaftsanmaßung Washingtons und Berlins gegenüber Venezuela eine dritte Front - in Lateinamerika.
(28.1.2019)

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[1] Europäer setzen Maduro Frist für Wahl in Venezuela. tagesspiegel.de 26.01.2019.

[2] Der Machtkampf. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.01.2019.

[3] S. dazu Umsturzversuch in Caracas.

[4] Cómo es y a quién está dirigida la Ley de Amnistía que aprobó el Parlamento venezolano. infobae.com 25.01.2019.

[5] Presuntos militares apoyan a oposición venezolana. apnews.com 22.01.2019.

[6] Venezuela crisis: Diplomat to US defects from Maduro. bbc.co.uk 27.01.2019.

[7] Europäer setzen Maduro Frist für Wahl in Venezuela. tagesspiegel.de 26.01.2019.

[8] Günther Maihold: Endspiel in Venezuela? swp-berlin.org 25.01.2019.

[9] Endspiel in Venezuela. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.01.2019.

[10] Russia sends two nuclear-capable bombers to Venezuela. nbcnews.com 11.12.2018.

[11] S. dazu "Jetzt auf Brasilien setzen".