Im Rahmen seiner Vortragstournee hielt Daoud al Ghoul, palästinensischer Politologe und Aktivist, am 2. Oktober einen Vortrag in der Pfarre Sankt Markus in Linz. Die Veranstaltung wurde von der Solidarwerkstatt Linz gemeinsam mit der Pfarre Sankt Markus, der Sozialistischen Jugend Linz und dem Arabisch-Palästinensischen Klub in Oberösterreich ausgerichtet. Eine kurze Nachschau.
Im Vorfeld wurde noch versucht, Druck auf die Veranstalter auszuüben, in dem sie als antisemitisch denunziert wurden. Diese betonten aber, dass es unverzichtbar sei, auch die Stimme der PalästinenserInnen zu hören, wenn wir uns wirklich für den Frieden in Palästina engagieren wollen.
Zunächst schilderte Daoud an Hand der Geschichte einer Familie die Vertreibung der palästinensischen Leute aus Jerusalem, beginnend mit Großmutter Rifaat. Sie wurde in Jerusalem geboren, heiratete nach Haifa, von wo sie dann 1948 mit ihrer Familie nach Jerusalem deportiert wurde. Sie wurde nicht als Flüchtling anerkannt, da sie ursprünglich aus Jerusalem stammte. Nachdem sie sich dort wieder ein Leben aufgebaut hatten, wurde sie bereits mit den Familien der nächsten Generation von West- nach Ostjerusalem vertrieben, wogegen ihr Sohn Widerstand leistete. Nun kämpft die dritte Generation - ihre Enkel - gegen den Versuch der neuerlichen Vertreibung aus Silwan. Es ist nur eine von vielen Geschichten, die sich einreiht in die lange Geschichte der ethnischen Säuberungen in Palästina, beginnend mit Nakba von 1948. Heute bleiben nur noch 15% des historischen Palästinas für die indigene palästinensische Bevölkerung. Ihre Gebiete sind zerrissen, voneinander abgeriegelt, getrennt durch Siedlungen und Straßen für jews only. In diesem Kontext müssen auch die versuchten neuerlichen Vertreibungen gesehen werden. Diese sind für Israel zentral, um das nördliche vom südlichen Westjordanland zu trennen.
Die Ereignisse vom Frühjahr 2021
Daoud Al-Ghoul berichtete eindrucksvoll vom Widerstand gegen die Häuserzerstörungen und ethnischen Säuberungen. Heuer im April (im Ramadan) begannen diese mit Sit-Ins, einfach Kaffee trinken, auf den Treppen am Damaskus-Tor. Diese Protestform fand immer mehr Zulauf, bis die Eisenabsperrungen entfernt werden mussten. Danach ereilte die Jugend im Widerstand der Hilferuf der Menschen in Sheik Jarrah und Silwan. Sie fuhren dorthin, um die Bewohner:innen gegen die geplanten Vertreibungen erfolgreich zu unterstützen. Wie aus den Medien bekannt, drang israelisches Militär in die Al-Aksa-Moschee ein, um die Leute vom Beten fernzuhalten. Beten im Ramadan wurde untersagt. Daraufhin geschah etwas noch nie Dagewesenes in der palästinensischen Widerstandsgeschichte: Palästinenser:innen aus dem heutigen Israel reisten zum Gebet in der Al-Aksa-Moschee an. Das israelische Militär versuchte sie zu hindern und stoppten die Busse. Sodann holten Palästinenser:innen aus Jerusalem sie mit ihren privaten PKWs ab. Das dadurch entstandene Verkehrschaos bewog das israelische Militär dazu, die Busse passieren zu lassen. Es sind die kleinen Siege wie dieser, auf die er in seinem Vortrag den Blick richtete.
Optimismus ist angebracht
Man könnte sogar sagen, dass war die zentrale Botschaft des Abends: die vielen kleinen Siege verhelfen zum Optimismus, dass eines Tages die Gerechtigkeit siegen wird. Zu diesen Siegen zählen heuer auf alle Fälle der Stopp der Vertreibungen in Silwan und Sheikh Jarrah, den Krieg in Gaza nicht verloren zu haben, der Abbau der Barrieren am Damaskus-Tor, der Ausbruch von sechs Widerstandskämpfern aus einem israelischen Hochsichterheitsgefängnis und viele andere.
Daoud al Ghoul
Daoud al Ghoul ist Aktivist aus dem Jerusalemer Stadtteil Silwan, Politologie und Reiseführer. Sein Auftreten ist zurückhaltend und bescheiden. Erst durch Nachfragen kommnt man drauf, dass er fast fünf Jahre in israelischen Gefängnissen verbringen musste – als politischer Gefangener zu einem guten Teil in Administrativhaft, also ohne Prozess. Er wolle das nicht in den Vordergrund stellen, denn viele AktivistInnen müssten sehr viel länger in den Fängen der Besatzer verbringen. Die israelische Staatsmacht lässt sich immer Neues einfallen, so z.B. gibt das israelische Militär nun Listen mit Sprechverboten aus, d.h. mit wem jemand keinen Kontakt haben darf.
Aktive Neutralität als Beitrag zum Frieden
Im Mai d. J. hissten der abgetretene und der neue Bundeskanzler die israelische Fahne auf dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium. Während der Kampfhandlungen zelebrierten sie so ihre Verachtung für die Opfer. Österreich kooperiert mit der israelischen Armee und dem militärisch-sicherheitstechnischen Komplex in Israel. Das steht in Widerspruch zu den Rechtspflichten eines neutralen Staates. Österreich muss diese Kooperationen umgehend beenden, den Unterdrückten eine Stimme geben, um so im Sinne der aktiven Neutralität einen Beitrag zum Frieden im Nahen Osten zu leisten.