Nein, wie die Auseinandersetzungen um Demokratie, Menschenrechte und ein besseres Lebens in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern ausgehen werden, kann hier nicht vorausgesagt werden. Das kann wahrscheinlich zur Zeit niemand, nicht einmal jene Menschen, die im Zentrum der Auseinandersetzungen stehen. Freilich hoffen wir, dass ihre Opfer nicht vergeblich, und ihre Anstrengungen am Ende von Erfolg gekrönt sein werden. Die Volksbewegung in den arabischen Ländern führt uns einmal mehr vor Augen, dass wir in einer Periode grundlegender Umbrüche leben. Dass es weder einen Grund für fatalistischen Pessimismus noch für wundergläubige Tatenlosigkeit gibt.
Hier soll auf ein paar äußere Aspekte der aktuellen Entwicklung aufmerksam gemacht werden:
- Dass irakische Massenvernichtungswaffen für den Angriffskrieg gegen den Irak 2003 verantwortlich waren, wurde bald als inszenierte Lüge enttarnt. Hartnäckiger hielt sich der Vorwand, der Krieg hätte die Auslösung einer Welle der Demokratisierung im Nahen und Mittleren Osten zum Ziel gehabt. Die Aggression mündete in einer Gewaltorgie. Der Irak erlebte nicht eine Welle der Demokratisierung, sondern einen Bürgerkrieg entlang religiöser Zuordnungen. In all den Jahren hatten weder die USA noch die EU Skrupel mit den schlimmsten Tyrannen und reaktionärsten Regimes im Nahen Osten zu kooperieren. Insbesondere das Rüstungsgeschäft blühte. Nunmehr kommt die Demokratiebewegung nicht von außen, sondern von den Menschen selbst.
- Unterfüttert wurde die westliche Hegemonialpolitik mit kulturalistischen Begründungen, die den dahinter verborgenen latenten Rassismus nur spärlich verdeckten. Die Menschen in der Region seien zum Aufbruch in eine moderne Gesellschaft aus kulturellen oder rassischen Gründen nicht in der Lage. Umgekehrt sei deren Hang zu einem politischen Islamismus die neue große Gefahr für die westlichen Demokratien. So sei der Westen nicht nur gezwungen uns mit allen Mitteln vor diesem Islamismus zu schützen, sondern auch die Region zu beherrschen. Diese Zuschreibungen machten blind für die grundlegenden Veränderungen in den arabischen Gesellschaften. Sie erlebten in den letzten Jahrzehnten eine Bildungsexplosion, in deren Ergebnis jetzt Millionen ihr Recht auf Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung einfordern. Ein Aspekt, den z. B. auch das "Manifest of Gazan Youth" deutlich macht.
- Die Gefahr des radikalen politischen Islamismus bildete nicht nur die Legitimationsfolie für die westliche Hegemonialpolitik der vergangenen Jahre, sondern auch für antidemokratische, menschenrechtswidrige Entwicklungen in des westlichen Demokratien selbst. Auch Österreich hat diese Entwicklung nach Punkt und Beistrich mitvollzogen. Ein Ergebnis davon findet sich im §278 des Strafgesetzbuches und in der strafrechtlichen Verfolgung zivilgesellschaftlichen Engagements. (siehe Prozeß gegen 13 TierrechtsaktivistInnen in Wiener Neustadt) Mehr noch: Die reaktionärsten politischen Kräfte, wie z. B: in Österreich die deutschnationale FPÖ, verwendet in der Zwischenzeit die Hetze gegen die angebliche islamische Gefahr als Schmiermittel für ihre Politik.
- Israel wurde jahrelang als einzige Demokratie im Nahen Osten gehandelt. Mit diesem Hinweis wurde vielfach über die völkerrechtswidrige Besatzungspolitik hinweggesehen. Große Aufmerksamkeit haben vor wenigen Wochen die Besuchskontakte von FPÖ-Strache mit israelischen Rechtspolitikern hervorgerufen. Mit dieser neuen israelfreundlichen Politik will der deutschnationale Rechtsextremismus sein ideologisches Spiel mit der islamischen Gefahr abrunden. Die Kontakte finden zu einer Zeit statt, die der israeliche Politologe Gabi Scheffer als „Übergang zu einem autoritär-faschistischen Regime in Israel“ (Haaretz, 26.1.2011) bezeichnet. Eine Entwicklung, die der israelische Autor Moshe Zuckermann, nicht nur auf der politischen Bühne verortet, sondern als einen Prozess in der Tiefe der israelischen Gesellschaft. (Kritische Jüdische Stimme – Österreich, 7.2.2011)
- Berücksichtigen müssen wir auch, dass diese grundlegenden Veränderungen, die alle gängigen Zuschreibungen auf den Kopf stellen, vor der Kulisse einer durch die Weltwirtschaftskrise beschleunigten Verschiebung der globalen Machtverhältnisse stattfinden.
Vielfach wurde in den vergangenen Jahren eine gemeinsame europäische Außenpolitik beschworen. Im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen in Ägypten und Tunesien bestand sie in ein paar gemeinsamen Erklärungen der fünf großen EU-Mitgliedsstaaten. Vor wenigen Tagen wurde der 100. Geburtstag Bruno Kreiskys gefeiert. Er musste für beides herhalten: sowohl für die Lüge von der gemeinsamen europäischen Außenpolitik, als auch für die Rechtskontakte HC Straches. Beides stünde in seiner Tradition. Eine Leichenfledderei ersten Ranges. Es ist tatsächlich Zeit für eine neue österreichische Außenpolitik, auf der Grundlage aktiver Neutralität, unter Abkehr von den Hegemonialkonzeptionen der großen europäischen Mächte und mit aktiver Hinwendung zu den hoffnungsstiftenden Umbrüchen in der Welt.
R. Boris Lechthaler-Zuljevic